Probesitzen für die eigene Hochzeit: Mirjam und Marcel auf der Messe „Trau Dich!“ in der Liederhalle. Weitere Eindrücke zeigt die Fotostrecke. Foto: Lichtgut - Oliver Willikonsky

Mirjam und Marcel haben sich im Dezember verlobt, im August wollen sie heiraten und gehen deshalb auf eine der vielen Hochzeitsmessen. Eine gute Idee?

Stuttgart - Es ist Geschmackssache, ob man als angehendes Hochzeitspaar das Angebot „Tanning vom Profi“ seltsamer finden soll oder doch die Arzthelferin, die vorschlägt, die Zähne zu bleichen und flugs eine Schablone mit weißen bis erdbraunen Zahnmodellen zur Hand hat. Marcel jedenfalls schaut einigermaßen irritiert, als die junge Dame mit den weißen Zähnen feststellt, dass sein Gebiss schon Richtung braun gehe: „Da kommt ein Bleaching auf jeden Fall in Frage.“

Der 25-Jährige verdreht die Augen und geht weiter. Keine zwei Wochen ist es her, dass er Mirjam den Antrag gemacht hat. Seit einem Jahr, zehn Monaten und 14 Tagen sind sie zusammen – das haben sie sofort parat. Doch statt auf Wolke sieben zu schweben, wanken die beiden jetzt über die Hochzeitsmesse und kriegen Flyer von Figurstudios in die Hände, von Brautmodeläden, Hochzeitslocations, Caterern, Reiseveranstaltern, Goldschmieden. Nein sagen können sie nur beim Thema Musik: „Ich bin selbst Sängerin“, bemerkt Mirjam dann und lässt die Band links liegen, die „Er gehört zu mir“ spielt, und auch das Duo, das zum Traumschiff-Sound trällert: „Ich kenne nichts, das so schön ist wie du.“

Ein Ordner voller Ideen

Mirjam und Marcel sind spät dran. Im August wollen sie heiraten, organisiert ist bisher nichts. Deshalb besuchen sie die „Trau Dich!“, die laut eigenen Angaben größte Hochzeitsmesse Deutschlands. Sie findet bundesweit in sieben Städten statt, unter anderem in der Stuttgarter Liederhalle, und gilt als Messe für den Mainstream: nicht zu teuer, nicht zu ausgefallen. Gut 200 Aussteller sind da, Mirjam und Marcel sammeln bei ihrem Rundgang sechs Tüten voller Broschüren ein. Dass die 22-jährige Pflegerin und der drei Jahre ältere Einzelhandels-Azubi, die beide bei ihren Eltern im Stuttgarter Speckgürtel leben, danach schlauer sind, könnte man nicht behaupten. Dass sie sich auf den Besuch vorbereitet haben, auch nicht.

Das macht insofern nichts, als Mirjam seit Kindertagen einen Ordner mit Ideen für die eigene Hochzeit pflegt. Marcel hört sich ihre Vorschläge an und sagt mal „Ja“, mal „Nein“, mal „Weiß nicht“. Auch lernt man beim unvorbereiteten Gang über eine Hochzeitsmesse, dass eine Trauung anno 2017 wenig mit dem zu tun hat, wie man vor zwanzig Jahren gefeiert hat. Zumindest als Normalsterblicher.

Robinson-Crusoe-Feeling oder Cake aufs Zimmer?

Heiraten, das zeigt sich in der Liederhalle, ist ein florierendes Geschäft mit eigenen Regeln. Regel eins: den Preis vernebeln. Ein Anbieter verteilt 120-Euro-Gutscheine, Kommentar: „Brautschuhe geschenkt“, allerdings fängt das günstigste Modell bei 150 Euro an; bei der Hochzeitsreise zahlt die Frau nichts, der Mann umso mehr; es gibt 70 Euro Rabatt auf selbst geschmiedete Trauringe, wenn man sofort einen Termin ausmacht und das Geschäft zustandekommt.

Regel zwei: englischsprachige Trendbegriffe. Eine Verkäuferin spricht über die Entscheidung zwischen „Robinson-Crusoe-Feeling“ und „Cake aufs Zimmer“ bei der Hochzeitsreise. Der leicht abgerockte „Shabby Chic“ liege immer noch im Trend, berichtet der „Convention Sales Manager“ eines Stuttgarter Hotels, das unter der Woche Geschäftsleute empfängt und am Wochenende Hochzeitspaare. Die meisten von denen wünschten immer noch ein „Fairytale Wedding“, eine Märchenhochzeit. Wenige Stände weiter bestätigt Claudia Maisner: „Das Modell Prinzessinnen-Glamour-Traumhochzeit ist immer noch ganz stark“.

Maisner ist Anzeigenleiterin bei Braut Media aus Münster. Deren wichtigstes Erzeugnis ist das sechs Mal im Jahr erscheinenden Magazin „Braut“ mit der Beilage „Bräutigam“. Das ist programmatisch zu verstehen: „Bräutigam“ ist mit 60 Seiten nur ein Fünftel so dick wie das Heft mit den weißen Kleidern, Schmink- und Feiertipps. Der Bräutigam, Regel drei, ist beim Heiraten Beiwerk. Hier entscheidet die Braut.

Es herrscht totaler Wettbewerb

Bei Mirjam und Marcel ist es nicht anders. „Du machst dir gar keine Vorstellungen davon, wie die Feier sein soll“, sagt die 22-Jährige, „Ich hab’ 100 und weiß nicht, welche ich nehmen soll“. Auf 13 Hochzeiten war Mirjam in den vergangenen anderthalb Jahren, neunmal hat sie gesungen, siebenmal an der Deko mitgebastelt, sechsmal war sie Brautjungfer, einmal Trauzeugin. „Jeder versucht, seine individuelle Hochzeit zu gestalten“, sagt sie. Trotzdem stand am Ende auf jeder Feier eine Candybar mit bunten Süßigkeiten, und die Gäste grinsten für lustige Selbstporträts in eine Photobox.

Auf die Idee mit der Photobox könnte man auf Messen wie der „Trau Dich!“ kommen, wo etliche Anbieter vertreten sind, beim Durchblättern eines Hochzeitmagazins oder online, auf Hochzeitsblogs und im Fotonetzwerk Pinterest. Also überall. Heiraten ist totaler Wettbewerb – von Ideen, von Anbietern, von Hochzeitspaaren.

Derzeit ist Hochzeitsmessensaison

Wer heiratet, fühlt sich schnell unter Druck gesetzt: schöner, besser, opulenter zu feiern als die anderen. Die Hochzeitsmessen, die zwischen Herbst und Frühjahr in Göppingen, Esslingen, Ludwigsburg und so ziemlich jeder anderen mittelgroßen Stadt stattfinden, tragen dazu bei. Sie nähmen diesen Druck auch wahr, sagen die Organisatorinnen der Hochzeitsmesse „Fest versprochen“, die dieses Wochenende im Wizemann gastiert. Aber: „Es bleibt ja jedem selbst überlassen, ob er sich dem aussetzt.“

Wer sich dem Druck beugt, zahlt – mit seiner Zeit, weil er zum Beispiel wochenlang an der Deko bastelt, oder eben mit Geld. Mirjam und Marcel ernten auf der „Trau Dich!“ erstaunte Blicke, wenn sie die von ihnen angepeilten 8000 Euro als Budget nennen – inklusive Hochzeitsreise. Viel mehr ist nicht drin, wenn ein Partner in Teilzeit arbeitet und der andere noch in Ausbildung ist.

Was Heiraten kostet

„Ich dachte, eine Hochzeit wäre billiger“, gesteht Mirjam. „Wir sind nicht im Beuteschema dieser Anbieter“, stellt Marcel fest. Man heiratet heute meist nicht mehr so jung wie die beiden, deshalb hat man in der Regel dafür auch mehr Geld zur Verfügung. Und die Ansprüche steigen.

Die Preise auf der „Trau Dich!“: Catering im Hotel mit drei Gängen und einigen Getränken – 90 bis 130 Euro pro Person. Anzug mit Weste, Plastron und Tuch – 739 Euro. Photobox inklusive 100 Blatt Papier – 325 Euro. Noch einzurechnen sind Brautkleid und Schuhe, Hochzeitstorte und Sektempfang, Deko, Fotograf und DJ, Einladungs-, Tisch- und Dankeskarten, Make-Up und Friseur, Gästebuch und Gastgeschenke, Tanzkurs und Hochzeitsreise – um das Nötigste zu nennen.

Machen Hochzeitsmessen unglücklich? „Viele, die heute rausgegangen sind, haben sich sicher geärgert, dass sie gar nicht alles haben können, was sie hier sehen. Dass sie den falschen Mann heiraten, der zu wenig Geld hat“, vermutet Mirjam. Fühlt sich ihr Verlobter angesprochen? Er wolle später so viel verdienen, dass er die Familie ernähren kann, sagt Marcel.

„Wir zeigen es denen!“

Nach dreieinhalb Stunden auf der Messe sitzt er in einem Café und sagt, er fühle sich müde, aber nicht entmutigt. „Am Ende ist Bescheidenheit auch ein Wert“, findet er, „es geht doch darum, dass man glücklich ist, das ist doch der Sinn der Ehe.“ Mirjam sagt: „Wir zeigen es denen! Die Leute sollen nach unserer Hochzeit sagen können: Es hat geregnet und die hatten keine Photobox, aber Mirjam und Marcel waren trotzdem glücklich.“ Marcel sagt, dass es früher doch auch ging: „Da haben halt die Eltern die Feier gezahlt, und die Flitterwochen gingen an den Kaiserstuhl oder ins Allgäu.“ Destinationen, die auf der Messe nicht beworben werden. Beim Honeymoon liegen derzeit die Seychellen, Mauritius und die Malediven im Trend.

So eine Reise ist teuer, ebenso der für die angepeilte Trauung im Freien obligatorische, üppig bewachsene Bogen, unter dem das Paar probeweise Platz genommen hat. Es ärgere sie nur ein bisschen, dass sie nicht all die schönen, letztlich vielleicht unnötigen Dinge bei ihrer Hochzeit kaufen kann, die sie auf der Messe gesehen hat, sagt Mirjam. „Denn wenn man sagt, dass einen das sehr ärgert, wäre man ja total verzogen.“