Tierschützerin Silvie Brucklacher dokumentiert den Taubenandrang am Schlag im Max-Kade-Weg per Foto. Mehr Bilder finden Sie in unserer Bildergalerie. Foto: Leif Piechowski

Im neuen Schlag auf der Rathausgarage sollen bald 100 Vögel wohnen – Herberge kostet 25.000 Euro.

Stuttgart - Tauben legen zwar während des ganzen Jahres Eier. Dennoch haben auch sie jetzt Frühlingsgefühle.„Derzeit suchen sie unter Dächern, Simsen und Balkonen verstärkt Nistplätze“, sagt Silvie Brucklacher, die Taubenbeauftragte des Tierschutzvereins Stuttgart.

In den mittlerweile sechs Taubenschlägen tauschen die 70-Jährige und ihre Mitstreiter die Taubeneier gegen Attrappen aus. Dadurch will die Stadt, die das Projekt finanziert, die Vermehrung der Vögel einschränken. Und Tierschützerin Brucklacher ist überzeugt: „Jede Stadttaube, die nicht geboren wird, hat Glück. Denn auf sie wartet kein schönes, artgerechtes Leben.“

Die 20 Tauben, die kommende Woche nach und nach in ihr neues 25.000 Euro teures Heim auf dem Rathausdach ziehen sollen, tun dies zumindest anfangs nicht ganz freiwillig. „Wir müssen sie vier bis sechs Wochen einsperren, damit sie sich an ihr Zuhause gewöhnen“, sagt Brucklacher. Die Vögel, die so zu ihrem Glück gezwungen werden sollen, sind Tauben, die verletzt waren und von Tierfreunden gefunden und wieder hochgepäppelt worden sind. Platz im Schlag auf dem Dach der Rathausgarage haben rund 100 Vögel. Nach der Eingewöhnungsphase sollen die sesshaft gewordenen Tiere wie auf der nahen Leonhardskirche weitere Artgenossen anlocken.

Geburtsrat sinkt trotzdem spürbar

Auf dem evangelischen Gotteshaus wurde im November 2009 für 25.000 Euro ein Taubenschlag eingerichtet, in dem mittlerweile rund 150 Vögel ihre Nistplätze haben. Weil rund 100 weitere Tauben Interesse an einer Unterbringung dort bekunden, wurde auf dem Kirchendach ein zweiter Schlag mit noch mal 150 Plätzen eingerichtet. Dort warten derzeit 25 Tiere auf ihre Freilassung. Gedulden müssen sie sich noch so lange, bis das für die Kirchensanierung notwendige Gerüst abgebaut ist. „Die Stangen könnten ihnen Angst machen, so dass sie wegfliegen und nicht mehr zurückkommen“, fürchtet die Taubenexpertin.

Weitere Taubenschläge mit Platz für zwischen 100 und 200 Vögel gibt es am Max-Kade-Weg, im Hauptbahnhof und auf dem Parkhaus Mühlgrün in Bad Cannstatt. An allen Standorten zusammen wurden laut Brucklacher gut 2100 Taubeneier eingesammelt und gegen die Attrappen ausgetauscht. Alle würden zwar nicht ausgebrütet. Die Geburtsrate würde jedoch Jahr für Jahr spürbar sinken, meint Brucklacher.

Manche Passanten werfen Steine auf den Schlag

Mit rund 1000 entnommenen Eiern im vergangenen Jahr verzeichnet der Schlag auf der Leonhardskirche die beste Bilanz. Das begehbare Taubenhaus am Max-Kade-Weg, das vor zwei Jahren für rund 37.000 Euro im Stadtgarten aufgestellt wurde, schnitt mit nur 25 ausgetauschten Eiern am schlechtesten ab. „Die Tiere kommen dort nicht zur Ruhe. Es gibt sogar Passanten, die Steine auf den Schlag werfen“, empört sich Brucklacher.

Außerdem würden Falken und Marder ihre Schützlinge auf Trab halten und sie die Eier deshalb an anderen Orten unkontrolliert ablegen. Im Hauptbahnhof ist trotz der Abrissarbeiten die Ausbeute hoch. Obwohl die Bagger bis auf fünf Meter an den Schlag herangerückt sind, wurden dort laut Brucklacher an die 600 Eier ausgetauscht.

Zimmerservice plus Vollpension kosten jedes Jahr 44.000 Euro

Außer dem Tierschutzverein, der drei ehrenamtliche Taubenwarte abgestellt hat, ist die Caritas an dem Projekt beteiligt. Zunächst haben Langzeitarbeitslose als Ein-Euro-Jobber den Tieren die Ei-Attrappen untergejubelt, die Schläge geputzt und desinfiziert und die Vögel gefüttert. Innerhalb des Bundesprojekts „Bürgerarbeit“ haben drei Arbeitslose Verträge bis Ende 2014 bekommen. Sie kümmern sich für 900 Euro im Monat jeweils 30 Stunden pro Woche um die Vögel.

Der Zimmerservice für die Tauben samt Vollpension kostet die Stadt pro Jahr 44.000 Euro. Für 75.000 Euro sollen so bald wie möglich zwei bis drei weitere All-inclusive-Objekte erstellt werden. „Wir haben einen sogenannten Taubenkümmerer eingestellt, der sich nach geeigneten Standorten umsieht“, sagt Christine Vogel. Sie ist beim Amt für öffentliche Ordnung zuständig für den Tierschutz.

Taubenschützerin Brucklacher könnte sich ein solches Quartier auf dem Dach des Literaturhauses oder beim Eckensee im Schlossgarten vorstellen. Bis es so weit ist, will sie Privatpersonen Ei-Attrappen und etwa 20 Nistkästen zur Verfügung stellen. „Wir entwickeln gerade einen Prototyp“, sagt sie. Sie geht davon aus, dass sich mit 20 Taubenschlägen oder -türmen die Zahl der Tiere nachhaltig reduzieren ließe und die vorhandenen Vögel „eine reelle Chance auf ein artgerechtes Leben“ hätten“.

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