Tonnenschwere Beutekunst: Rodins „Bürger von Calais“ Foto: Zentralinstitut für Kunstgeschichte

Ob „Die Frau in Gold“ oder George Clooneys „The Monuments Men“ : der NS-Kunstraub ist längst ein Fall für Hollywood. „Und das sehe ich ganz positiv“, sagt Iris Lauterbach, „so bleibt dieses brisante Thema präsent.“ Die Kunsthistorikerin forscht seit mehr als zwanzig Jahren in dieser Sache.

München -

Frau Lauterbach, George Clooney wäre der richtige Mann für ein Grußwort.
Allerdings, das würde die Attraktivität noch mal steigern . . . Aber im Ernst, sein Film zeigt ja, wie sehr er am Thema interessiert ist. Der Einsatz der „Monuments Men“ war schließlich die Voraussetzung für die Arbeit des Collecting Point. Genau da setzt mein Buch ein.
Man kann sich die Recherchen am Collecting Point, der größten der von den Amerikanern am Kriegsende eingerichteten Kunstsammelstellen am Königsplatz in München, heute gar nicht mehr vorstellen. Ohne Internet!
Und ohne Computer. Es gab natürlich Schreibkräfte, die Listen über Listen tippen mussten, um Zehntausende von Kunstwerken zu erfassen. Für einen großen Teil hatten die Nazis allerdings selbst die beste Vorarbeit geleistet: Der Kunstraub wurde akribisch dokumentiert.
Die Amerikaner sprachen von der „großen Kunstraubmaschine“.
Hitler plante ein riesiges Museum in Linz, aber auch kleinere regionale Museen sollten von den Kunstraubzügen profitieren. Um den Anschein der Legalität zu wahren, wurde für Linz auch im Ausland eingekauft. Nebenbei hat man die bedeutenden jüdischen Sammlungen beschlagnahmt. Und alles feinsäuberlich notiert. Diese „Raubbilanzen“ sind dann in die Hände der Alliierten gelangt.
Der Eindruck, dass die Amerikaner die Restitution gestemmt haben, ist weit verbreitet.
Das war aber ein internationaler Vorgang. Die Amerikaner haben zwar den Collecting Point getragen, doch dort waren Vertreter aus allen betroffenen europäischen Ländern im Einsatz. Nach Frankreich und den Niederlanden kam gleich die Sowjetunion, an die riesige Mengen an Kunstwerken zurückgingen.
Was war mit den großen Privatsammlungen?
Auch die gingen an die jeweiligen Staaten. Das war im Abkommen zur „äußeren Restitution“ so geregelt. In Polen oder der Tschechoslowakei wurden diese Kunstgüter dann sofort verstaatlicht, die wahren Eigentümer gingen also leer aus. Erst nach der großen politischen Wende kam wieder Bewegung in die Sache. Die berühmte Sammlung Lobkowicz hing zum Beispiel jahrzehntelang in der Nationalgalerie in Prag und wurde erst Anfang der 1990er Jahre an die Familie zurückgegeben. Auch im Westen hat man die Rückführung nicht immer forciert betrieben, vor allem wenn nicht eindeutig war, wem das Ganze gehört. Da herrschte das Motto: Wer etwas vermisst, soll sich melden. Vielen ist erst spät klar geworden, dass man die Eigentümer aktiv suchen muss.
Wo viel Wertvolles zusammenkommt . . .
. . . verschwindet auch etwas, ja. Neben den Diebstählen im früheren Führerbau fielen auch am Collecting Point Verluste auf. Dessen Leiter, der Kunsthistoriker und Art Officer Edgar Breitenbach, hat dann entdeckt, dass einige Gänge unter den Nazi-Gebäuden offen waren und Werke rausgeschmuggelt werden konnten. Im Schwabing der Nachkriegszeit florierte der Straßenkunstmarkt. Unterm Trenchcoat konnte man kleinformatige Gemälde ganz gut verstecken.
Sie schreiben auch von einem echten Hochstapler.
Ja, Ante Topic Mimara hat sich eiskalt als Entsandter Jugoslawiens vorgestellt. Durch ein Techtelmechtel mit einer Angestellten am Collecting Point kam er an die entscheidenden Informationen: was der jugoslawische Staat beansprucht. Die Kunstwerke wurden übergeben – und Mimara ist damit verschwunden. Es hat lange gedauert, bis man ihn in Tanger aufgespürt hat, das ist eine richtige Räuberpistole.
Es gab ja auch Collecting Points in Marburg, Wiesbaden und Offenbach.
Aber in Oberbayern und im Salzkammergut waren die meisten Depots. Es hatte einfach praktische Gründe, dass rund 80 Prozent der Raubkunst über München zurückgingen.
Das wurde im Parteibau der Nazis abgewickelt. Ein bewusstes Zeichen?
München war in weiten Teilen zerbombt – und die NSDAP-Gebäude gut in Schuss. Wasser, Heizung, alles hat besten funktioniert.
Also dachten die Amerikaner vor allem praktisch?
Ich hatte 1996 noch Gelegenheit, mit „Monuments Man“ Craig Hugh Smyth zu sprechen. Als ich ihn fragte, ob er wusste, was das hier für brisante Gebäude waren, schüttelte er nur den Kopf. Das hätte er erst später erfahren, und das sei ihm auch ziemlich egal gewesen. Die hatten einfach ihren Job zu machen.
Auf den Fotos sieht man vor allem die berühmten Gemälde, die den Collecting Point passiert haben.
Dabei landeten dort sogar Nachttöpfe. Das Spektrum reichte von kleinen Münzen oder barocken Fingerhüten bis zu Rodins tonnenschweren „Bürgern von Calais“ – Hildebrand Gurlitt hatte sie bei einem Pariser Händler für das Wallraf-Richartz-Museum in Köln gekauft. Es gab übrigens auch amüsante Positionen wie die Nummer 50039. Das waren 339 Flaschen Wein und Likör aus Görings Burg Veldenstein in Franken. Sie kamen 1950 in den Collecting Point – 316 wurden ein Jahr später an die Bayerische Staatskanzlei übergeben und quittiert. Der Schwund von 23 Flaschen hat dann immerhin geholfen, die „Property-Card“ genau auszufüllen. Unter der Rubrik „Zustand“ steht: „na ja“.
Wie viele Objekte wurden überhaupt restituiert?
Ganz genau kann man das nicht sagen, weil unter einer Nummer oft ein ganzer Komplex an Einzelwerken geführt wurde. Bei einem Porzellanservice etwa oder einem Bilderzyklus. Registriert sind bis 1949 knapp 33 000 Positionen, die ins Ausland zurückgingen. Man darf also von rund 80 000 Objekten ausgehen.
Die Amerikaner dachten aber auch an die Zukunft der „Kunststadt München“.
Das heutige Kunstareal war durchaus in ihrem Sinn. Edwin C. Rae, einer der Hauptverantwortlichen unter den „Monuments Men“, wies bei einem Interview im ehemaligen Führerbau auf den Königsplatz hinaus und meinte: „Ich hoffe, dass in baldiger Zeit dieser ganze Komplex wieder entsteht und zusammen mit den früheren Parteigebäuden und dem Haus der Kunst einen großen Kunstblock ergibt.“ Das garnierte er außerdem mit einer interessanten Einschätzung: „Wenn sie in München Politik machen, kommt wenig Gutes dabei heraus. Wenn sie sich aber in Kunst versenken, erzielen sie bewunderungswürdige Leistungen.“