Marius Hubel als Mortimer Bernstein mit seinen verrückten Tanten. Foto: ThS

In Ludwigsburg ist Frank Capras Komödienklassiker von 1944 in der Inszenierung von Peter Kratz neu aufgelegt worden.

Ludwigsburg - Im schreiend gelben Hemd und mit Hornbrille auf der Nase springt Mortimer jäh von seinem Zuschauerplatz im Publikum auf – und macht Helen, der Pastorentochter, einen Antrag. Leichten Fußes überqueren die frisch Verlobten nun die Grenze zwischen Fiktion und Realität, indem sie auf die Bühne treten und an der Haustür der Schwestern Bernstein klingeln.

Modern und zeitgemäß will sie sein, die aktualisierte Version von „Arsen und Spitzenhäubchen“ unter der Regie von Peter Kratz. Er hat den Klassiker des Ludwigsburger Theatersommers, basierend auf Frank Capras gleichnamigen Film von 1944, jetzt neu interpretiert – die alte, ebenfalls vom Intendanten selbst stammende Inszenierung ist zwanzig Jahre alt und seit ihrer Premiere das erfolgreichste Stück im Cluss-Garten überhaupt.

Der All-Zeit-Erfolg mag am tragikomischen Spiel liegen, das in der Ludwigsburger Fassung mit Zeitgeschichte angereichert ist: Da sind die liebenswerten alten Tantchen Martha (Sibille Helfenberger) und Adele (Nina Maria Föhr), die als Nazi-Jägerinnen alleinstehende Herren mit Arsen vergiften. Zu den scheinbar harmlosen Tanten gesellt sich der einzig Vernünftige der Familie, der Neffe Mortimer (Marius Hubel). Von Beruf Theaterkritiker, will er seinen Tanten von der Verlobung mit Helen (Bernadette Hug) berichten, als er eine Leiche im Wohnzimmer entdeckt. Für eine zusätzliche Eskalation in der Stube sorgt dann das plötzliche Auftauchen eines weiteren Neffen, weshalb Mortimer schon bald als Krisenmanager gefordert ist.

Alles sehr kompliziert

Die Handlung der Komödie, die ursprünglich von Joseph Kesselring stammt , ist mit all ihren Verwicklungen nicht leicht zu verfolgen. Skurriler Humor und makabrer Wahnsinn verbinden sich hier zur Kritik am Tableau einer aberwitzigen Gesellschaft. Mit seiner Ludwigsburger Neuauflage stiftet Kratz aber nun zu allem Überfluss noch mehr Verwirrung. Größte Irritation des zweistündigen Abends: Mortimer selbst. Kratz benutzt diese Figur als Sprachrohr: „Die Fiktion ist zur Realität geworden. Ein Verfremdungseffekt. Brecht, ihr versteht. Der Wirklichkeit enthoben!“, doziert der Theaterkritiker und wendet sich damit direkt ans Publikum im Cluss-Garten.

Paradoxerweise muss Mortimer auch noch in Echtzeit eine Kritik der laufenden Inszenierung schreiben, in der er ja selbst mitspielt. Brechts Verfremdungseffekt setzt Kratz oft ein, ja, zu oft, denn passagenweise reißt er den Zuschauer immer wieder aus der sonst doch sehr stimmigen Handlung – und das trübt dann doch ein wenig den insgesamt guten Gesamteindruck, den der Abend hinterlässt.

PS: In dieser Spielzeit wird „Arsen und Spitzenhäubchen“ auch im Stuttgarter Schauspielhaus gezeigt werden. Regie führt dann Jan Bosse.

Weitere Aufführungen: Noch bis zum 10. September, täglich außer Montag im Cluss-Garten, 20 Uhr.