Blick auf das neu eröffnete Einkaufszentrum Gerber in Stuttgart Foto: Leif Piechowski

Konsum trifft Kultur – welche Rolle wird der Architektur zuteil? Gastredner und Schweizer Stadtwanderer Benedikt Loderer sprach beim Jahrestag des Bunds der Architekten in Stuttgart über „Baukultur als Konsumgut“. Für die Stuttgarter – nicht nur nach den kürzlich hochgezogenen Kaufrauschtempeln – ein sensibles Thema.

Stuttgart - Im Weißen Saal des Neuen Schlosses in Stuttgart eröffnete am Dienstag erstmals Alexander Vohl, der neue Landesvorsitzende, den Jahresempfang des Bundes Deutscher Architekten (BDA). Dank an den Amtsvorgänger Peter Schürmann inklusive.

Bundesweit leben nach BDA-Angaben etwa 5000 Mitglieder, mehr als ein Fünftel gehören dem baden-württembergischen Verband an. Nicht jeder Gebäudezeichner kann beitreten: Es bedarf einer Berufung, die auf herausragender Qualifikation fußt.

Die Schlossmauern selbst erzählen nur eine diverser Architekturgeschichten, die beweisen, dass es beim Bau nicht immer nur um Bauherr und Architekt geht: 1744 erschien dem 16-jährigen Herzog Carl Eugen die bisherige Residenz zu bourgeois. Kurzerhand drohte er, seinen Sitz nach Ludwigsburg zu verlegen. Diesen Prestigeverlust wollte schließlich keiner in Kauf nehmen, das Neue Schloss wurde errichtet.

Milaneo und Gerber als Exempel zeitgenössischen Baus

Auch die Stuttgarter der Gegenwart wirken – nicht nur nach den kürzlich hochgezogenen Kaufrauschtempeln – architektursensibler denn je. Da ragen die Projekte Milaneo und Gerber als Exempel zeitgenössischen Baus aus dem Boden der Landeshauptstadt: Konsum trifft Kultur – welche Rolle wird der Architektur zuteil?

Gut gelaunt und humorig sprach der eingeladene Schweizer Architekturpublizist Benedikt Loderer über „Baukultur als Konsumgut“. Keinen Hehl machte er daraus, dass er sich gebauchpinselt fühle. Er gestand, so zu tun, als sei er solch Ehre gewohnt..

Doch passen Terme wie „Bau“ und „Kultur“ und „Konsum“ zusammen? Bedeutet „bauen“ denn nicht das Kreieren von Langlebigem, „konsumieren“ nicht permanentes Aufbrauchen, also Zerstören von unermüdlich neu produzierter Ware? Und „Kultur“ könne man niemals kaufen, findet Loderer: „Nur machen! Und die Kulturregel Nummer eins lautet: So wie du baust, so kultiviert bist du.“ Dies gelte allerdings nur für die Schweiz. Hierzulande, behauptet der Eidgenosse, sei es umgekehrt.

Sein Theatervergleich trifft insgeheim sicher den ein oder anderen Baukünstler: Soll eine neue Konstruktion ins vorherrschende Ensemble eingebettet werden, hält der Schöpfer dieses nicht selten für die Hauptrolle. Dabei hat er vermutlich das Stück gar nicht gelesen respektive die Historie der Umgebung nur überflogen. Im schlimmsten Fall stülpt er seinem Werk noch ein falsches Kostüm über – die Kirche tritt im Gewand einer Fabrik auf.

Konsum - entscheidend für unser Bewusstsein?

Den Konsum bezeichnete Loderer gar als „revolutionäre Kraft“. Konsum sei „das Subjekt der Geschichte“, welches unser Bewusstsein bestimme. Konsum erzeuge schließlich Wohlstand – und Wohlstand wolle bauen. Einerseits also ja: Baukultur ist Konsumgut. Doch: „Baukultur will bleiben und nicht verbrauchen! Sie ist das Gegenteil des Konsums!“ Er widersprach sich nicht. Das Aufdröseln dieses scheinbaren Paradoxons lag in seiner Absicht.

Allen, die bessere Architektur in Baden-Württemberg fordern, wohl also jedem Landeshauptstädter, bietet der Geißenpeter, wie er selbst von sich sprach, eine simple Lösung: „Fördern Sie die Architektur-Wettbewerbe!“ Dies versucht der BDA. Im vergangenen Jahr lobte man erstmals den BDA-Nachwuchspreis Baden-Württemberg aus.

Und warum fordert auch der Nicht-Architekt bessere Architektur? „Die Gestalt der Stadt und ihrer Gebäude beschreiben die Art des Zusammenlebens der Menschen, ihre Sicht auf die eigene Existenz und ihr Leben“, hatte Vohl zu Beginn verkündet. Damit appellierte er natürlich ans architektonische Bewusstsein, suggerierte aber auch, dass der Architekt den Städter definiert. Man möge hoffen, dass sich das Bild, das Stadtplaner und Architekten vom Stuttgarter zu haben scheinen, schleunigst ändert. Denn: Was sagen eisige Fensterflächen und matter Beton über Zusammenleben und Selbstwahrnehmung der darin Arbeitenden und Wohnenden aus?