Die Ex-Freundin ist die einzige Zeugin – und Nebenklägerin. Foto: dpa

Ein 23-Jähriger ist von seiner ehemaligen Freundin wegen Gewalt in der Beziehung angezeigt worden. Sie ist die einzige Zeugin für die Vorfälle, die sich zu großen Teilen in ihrer Sindelfinger Wohnung abspielten.

Sindelfingen - Bereits nach der ersten Nacht hat der Streit begonnen: Der Angeklagte soll seine Freundin mehrmals geschlagen und beleidigt, bedroht, genötigt und erpresst haben. Vor dem Böblinger Amtsgericht traf sich das Paar nun wieder. Die 25-jährige Frau hatte den Mann nach dem Beziehungsaus angezeigt. Rund zwei Jahre lang waren sie zusammen gewesen, und von Anfang an soll es Schläge gegeben haben. Der Mann hatte nach der ersten Nacht nämlich entdeckt, dass sie für einen Begleitservice arbeitete. „Da ist er völlig ausgerastet“, berichtete die Frau am Mittwoch in der Verhandlung. Während die Staatsanwaltschaft den einschlägig vorbestraften Angeklagten ins Gefängnis schicken wollte, fällte das Schöffengericht „eine Gnadenentscheidung“ und räumte ihm eine Bewährungsstrafe ein – im Prinzip aus Mangel an Zeugenaussagen.

Das Paar lernte sich über Facebook kennen

Im Juli 2013 hat die Bankkauffrau aus Sindelfingen den jungen Mann über das soziale Netzwerk Facebook kennengelernt. Und nach der ersten gemeinsamen Nacht im August kontrollierte er ihr Handy. Die Adresse ihrer Eltern notierte er sich und die ihres Chefs und drohte, die für den Escortservice gemachten Fotos an sie weiterzuleiten. Immer wieder beschimpfte er sie als Hure und schlug zu. „Ich konnte die Beziehung nicht beenden, ich hatte viel zu viel Angst“, erklärte sie. Der 23-Jährige zog bei ihr ein und überwachte angeblich jeden ihrer Schritte. Zum Escortservice habe er sie weiterhin geschickt, weil er die Einnahmen wollte, da er selbst nicht arbeitete. Einen Kredit über 8000 Euro hat sie für ihn auch aufgenommen, das Geld habe er in kurzer Zeit ausgegeben. „Ich hatte kein Selbstwertgefühl mehr, ohne ihn war ich nichts“, erklärte sie dem Richter, der das Abhängigkeitsverhältnis kaum verstehen konnte: „Ich habe ihn ja krankhaft geliebt.“

Der Angeklagte hat zumindest seinem Vorstrafenregister zufolge einen Hang zur Gewalt. Als 16-Jähriger wurde er erstmals wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Kaum war er volljährig geworden, landete er für zwei Jahre im Gefängnis wegen desselben Delikts. Und im Herbst vor zwei Jahren kam er für rund ein halbes Jahr in Untersuchungshaft und wurde vom Amtsgericht Stuttgart verurteilt: Er hatte seine Schwester mehrfach geschlagen und gedroht, sie umzubringen. Denn auch sie hatte für einen Escortservice gearbeitet. Im Alter von fünf Jahren war er aus dem serbischen Teil des Kosovos nach Deutschland gekommen, die Hauptschule schloss er ab, einen Beruf hat er nicht gelernt. Nach eigenen Angaben ist er Mitglied einer kriminellen Bande gewesen und nach Duisburg gezogen, um Abstand davon zu bekommen. In der jetzigen Verhandlung wollte er zunächst keine Angaben machen. „Ich war total verliebt in diese Frau“, sagte er dann am Ende der Beweisaufnahme, „es hat mich zerrissen, dass sie mich immer wieder angelogen hat.“ Denn er habe von ihr verlangt, die Arbeit beim Escortservice aufzugeben. Die Beleidigungen räumte er ein, den Rest bezeichnete er als Lüge. Seine Ex-Freundin habe ihn nur angezeigt, weil er eine neue Lebensgefährtin gefunden hatte, meinte er.

Die Staatsanwältin hätte den Mann ins Gefängnis geschickt

Für die acht angeklagten Fälle von Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Nötigung, Bedrohung, Nachstellung und Erpressung forderte die Staatsanwältin einmal eine Strafe von zwei Jahren und einmal eine Strafe von zehn Monaten – ohne Bewährung. Es sei zwar nicht nachvollziehbar, warum sich die 25-Jährige so lange dieser Situation ausgesetzt habe, dennoch hielt sie sie für glaubwürdig. Der Verteidiger kritisierte hingegen, dass die Anklage nur auf den Aussagen der jungen Frau beruhe. Die Polizei habe keine Zeugen ermittelt, die Verletzungen gesehen oder die Belästigung mitbekommen hätten. „Ist das genügend, um einen jungen Mann für längere Zeit in Haft zu bringen?“, fragte er. Als einen Beziehungsstreit bezeichnete er die Querelen und forderte den Freispruch.

Mit Freiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten sowie von sieben Monaten, jeweils auf Bewährung, bewertete das Schöffengericht die Taten. „Wir glauben der Zeugin“, sagte der Vorsitzende Richter zwar. Allerdings kritisierte auch er die Ermittlungen der Polizei „als sehr zurückhaltend“. Für die Taten lägen keinerlei objektiven Beweismittel vor. Auch das Verhalten der Frau blieb ihm unerklärlich: Als der Angeklagte in Untersuchungshaft saß, hatte sie ihm noch seitenlange Liebesbriefe geschrieben.