Am Freitag startete das Afrika-Festival auf dem Erwin-Schoettle-Platz im Stuttgarter Süden – mit vielen Regeln für die Sicherheit. Foto: Leif Piechowski

Brandschutz, Hygienevorschriften, Fluchtwege – wer ein Straßen- oder Stadtteilfest organisieren will, muss sich an Auflagen halten. Weil die immer zahlreicher werden, stehen viele Vereine vor einem Problem. So auch die Organisatoren des Afrika-Festivals, das an diesem Wochenende stattfindet.

Stuttgart - Alice Vetter-Takin ist genervt. Sie beugt sich über ein Blatt Papier, die linke Hand stützt die Stirn, mit der rechten malt sie grüne Punkte auf den Plan, der den Erwin-Schoettle-Platz im Stuttgarter Süden von oben zeigt. Bäume: Die spielen für den Verein Afrika-Festival Stuttgart in diesem Jahr eine große Rolle. Denn beim Afrika-Festival, das an diesem Wochenende über die Bühne geht, darf kein Stand mehr direkt unter einer Baumkrone stehen. Das Wurzelwerk könnte beschädigt werden. Auch die Fahrzeuge der Händler müssen woanders parken. So habe es das Garten- und Friedhofsamt bei einer Platzbegehung festgelegt.

Da der Platz von Bäumen gesäumt ist, stehen die Organisatoren, neben Vetter-Takin gibt es vier Komitee-Mitglieder, vor einem großen Problem: Wohin mit den Händlern und Gastronomen, die rund um die Bühne afrikanisches Essen, Getränke, Schmuck oder Deko-Artikel verkaufen. „Die Standgebühr ist unsere Haupteinnahmequelle, davon zahlen wir unter anderem die Musiker und Künstler, die auf unserer Bühne auftreten“, sagt Vetter-Takin und fügt hinzu: „Auf der einen Seite will die Stadt Feste auf den Plätzen, auf der anderen Seite legt sie uns immer mehr Steine in den Weg.“

Die Baumauflage ist dabei nur ein Auszug aus einer Liste an Bestimmungen, die in diesem Jahr neu hinzugekommen sind. So müssen die insgesamt 15 Vereinsmitglieder sieben Ordner stellen. Sie sollen die Fluchtwege frei halten, kontrollieren, ob die Hygienevorschriften an den Essensständen und die Auflagen für Gasflaschen eingehalten werden.

Fluchtwegplan für 2000 Euro

Auch Axel Heldmann, Vorsitzender des Handels- und Gewerbevereins Bohnenviertel e. V., hält die Flut an Auflagen für übertrieben. Das Bohnenviertelfest, das vom kommenden Donnerstag an in der historischen Altstadt stattfindet, sei mittlerweile doppelt so teuer wie im Anfangsjahr 2005. Damals gaben die Veranstalter noch 7000 Euro aus. Der zeitliche Aufwand habe sich vervierfacht, und das, obwohl das Fest sich über die Jahre kaum vergrößert habe.

Vor allem beim Thema Sicherheit lege die Stadt weiter nach. „In diesem Jahr mussten wir ein externes Büro beauftragen, das uns einen Fluchtwegeplan erstellt. Das allein hat 2000 Euro gekostet“, sagt Heldmann. Doppelt so viele Sanitäter wie noch 2005 seien in diesem Jahr im Einsatz. „In anderen Städten kommt man den Organisatoren entgegen, drückt hier und da mal ein Auge zu“, sagt Heldmann. In Stuttgart seien diese Zeiten vorbei. „Ich wurde gefragt: ‚Wollen Sie dafür verantwortlich sein, wenn Menschen sterben?’“, so der Gastronom, der das Restaurant und Hotel Zauberlehrling in der Altstadt betreibt.

Auch das Bohnenviertelfest hat Verluste erlitten. Weil es zu gefährlich war, gibt es in diesem Jahr keine gasbetriebenen Grills und ähnliche Geräte in den Ständen. Laut Heldmann seien deshalb einige Teilnehmer abgesprungen, deren Gebühr jetzt fehle.

Beim Garten- und Friedhofsamt bestätigt man den Eindruck. „Wir sind strenger geworden“, sagt Andreas Hellmann. Reifenspuren auf dem Rasen, beschädigte Baumwurzeln, aber vor allem abgeknickte Äste kämen immer häufiger vor, weil die Veranstalter die Bäume als Kabelhalter oder Litfaßsäulen missbrauchten. Im Falle des Afrika-Festivals wisse man allerdings nichts von einer Auflage, die Stände unter Baumkronen verbiete.

„Mitarbeiter, die Genehmigungen erteilen, sind sensibler geworden“

Auch Hermann Karpf, persönlicher Referent von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer, gibt zu, dass es besonders im Bereich Brandschutz mehr Auflagen gibt als noch vor ein paar Jahren. „Wir wollen die Leute damit nicht schikanieren“, sagt er. Es komme allerdings nicht mehr infrage, die Dinge auf dem kleinen Dienstweg zu lösen: „Mitarbeiter, die Genehmigungen erteilen, sind sensibler geworden.“ Katastrophen in anderen Städten hätten deutlich gezeigt, dass man sich im Ernstfall strafbar mache. Schärfere Kontrollen durch das Ordnungsamt gebe es deshalb nicht. „Das kann auch nicht unser Ziel sein. Wir gehen immer noch davon aus, dass wir den Veranstaltern vertrauen können“, sagt er. Allerdings zeige sich immer häufiger, dass die es mit den Auflagen nicht so ernst nehmen.

Als Beispiel nennt Karpf das Schimmelhüttenfest. 28 Jahre lang veranstaltete die Vereinigung der Wengerter und Freunde des Schimmelhüttenwegs das Fest auf einem kleinen Teil der Straße zwischen Stuttgart-Süd und -Degerloch. Dazu spannten sie ein großes Zeltdach quer über den Weg und stellten den Innenraum mit Tischen und Bänken voll. „Das war in der Dimension eigentlich nie erlaubt“, sagt Karpf. Schließlich müsse genug Platz sein, damit Rettungsfahrzeuge im Notfall durchfahren können. In diesem Jahr sei eine Sachbearbeiterin auf den Fall aufmerksam geworden, weil sie ein Bild vom Zelt im Internet gesehen hatte. Sie genehmigte das Fest nicht.

Die Veranstalter wurden angemahnt, daraufhin sagten diese das Fest ganz ab. „Für uns hat sich das nicht mehr gelohnt. Zwei Drittel unserer Sitzplätze wären weggefallen“, sagt Thomas Wolfrum, Vorsitzender der Vereinigung. Für die Reaktion des Ordnungsamts hat er kein Verständnis. „28 Jahre lang war das kein Problem, und dann wird so kurz vor dem Fest plötzlich etwas beanstandet“, sagt er. Da das Schimmelhüttenfest die einzige Einnahmequelle des Vereins ist, sieht er diesen jetzt in Gefahr. Auflagen müssten praxisgerechter sein, das Verhalten der Stadt grenze an „zeitgeistige Hysterie“.

Ganz aufgeben wollen Alice Vetter-Takin und ihre Kollegen vom Verein Afrika-Festival nicht. Allerdings suchen sie sich einen neuen Platz für ihr Festival – einen mit weniger Grünanlagen. Dann, so hoffen sie, finden wieder alle Händler einen Platz für ihren Stand.