Erich Retter im Jahr 2012, als neues VfB-Ehrenmitglied Foto: Pressefoto Baumann

Er war so schnell wie Jesse Owens und so hart wie der Cannstatter Travertin: Der ehemalige VfB-Verteidiger Retter aus Plüderhausen erlebte große Zeiten in Stuttgart und spielte zudem 14-mal für die Nationalmannschaft. Er starb am 27. Dezember.

Stuttgart - Es ist nicht verboten, mit 89 Jahren zu sterben, und doch hätte man Erich Retter so sehr gewünscht, seinen 90. Geburtstag am 17. Februar noch feiern zu dürfen. Auch dieser großen Zeit und ihrer schönen Geschichten wegen. Es war nicht alles besser in den fünfziger Jahren, aber vieles anders – im Fußball und auch beim VfB.

Die Elf mit dem roten Brustring feierte zwei Deutsche Meisterschaften (1950 und 1952) und wurde Pokalsieger (1954 und 1958). Der Trainer hieß Georg „Schorsch“ Wurzer. Die Stützen des Teams waren Robert Schlienz, Karl „Kalli“ Barufka, Erwin Waldner, Rolf Blessing, Karl Bögelein und eben Erich Retter. Er war so schnell wie Jesse Owens und so hart wie der Cannstatter Travertin. Und weil der VfB-Verteidiger aus Plüderhausen alle Tugenden in sich vereinte, die der Chef so schätzte, spielte er 14-mal für die deutsche Nationalmannschaft.

Beim Wunder von der Bern auf der Tribüne

Nur einmal musste Sepp Herberger auf seine verlässliche Konstante verzichten. Kurz vor der Fußball-WM 1954 hatte sich Erich Retter am Meniskus verletzt. Ausgerechnet. Beim Wunder von Bern saß er auf der Tribüne. Jupp Posipal vom HSV ging an seiner Stelle in die Geschichte ein. Auch als der VfB 1958 zum zweiten Mal den Pokal mit nach Hause brachte, war Erich Retter nicht mit am Ball. Wieder verletzt. Man könnte von den Dramen seines Lebens sprechen. Aber weil es auf Erden Wichtigeres gibt als zwei verpasste Fußballspiele, pflegte er stets abzuwinken, wenn sie ihn mit mitleidigem Blick den Beinah-Weltmeister nannten.

„Ich stand da wie verloren“, erinnerte er sich zwar später an den großen Augenblick im Berner Wankdorfstadion, „und ich dachte daran, meine Karriere zu beenden.“ Aber Schorsch Wurzer richtete ihn wieder auf. „Ich brauch’ dich doch, Erich!“ 353-mal trug Retter das VfB-Trikot, zwei Meisterschaften (50/52) und ein Pokalsieg (54) sind auf ewig eng mit seinem Namen verbunden.

Minutenlange Ovationen für das Ehrenmitglied

Und anders als mancher Held der 54er-WM-Mannschaft ist er immer er selbst geblieben. Bis 1984 führte er die Tankstelle in der Mercedesstraße, nur einen Steinwurf vom Stadion entfernt. Als „fair, anständig und fleißig“ beschreibt ihn die VfB-Torhüter-Legende Günther Sawitzki. Bis vor zwei Jahren saß Retter noch neben „Sawi“ im Stadion, wenn ihre Nachfolger im VfB-Trikot um die Anerkennung spielten, die ihnen längst zuteilgeworden war.

Als VfB-Präsident Erwin Staudt die Vereins-Ikone vor Jahren zum Ehrenmitglied ernannte, erhob sich die Mitgliederversammlung zu minutenlangen Ovationen. Manch Besucher standen die Tränen in den Augen.

Daran wird man sich erinnern, wenn die Rede auf Erich Retter kommt. An eine schöne Zeit und an einen Fußball, der irgendwie noch unverfälscht, ehrlich und kantig war. So wie Erich Retter.