Bei Volkswagen (das Foto zeigt die Konzernzentrale in Wolfsburg) wurde manipuliert – so etwas soll künftig erschwert werden. Foto: dpa

Mit realitätsnäheren Tests will die EU dafür sorgen, dass Dieselfahrzeuge künftig nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch in der Realität wenig Schadstoffe an die Umwelt abgeben. Doch einige Regelungen wecken Zweifel daran, dass künftig Manipulationen ausgeschlossen werden können.

Stuttgart - Nie wieder soll sich ein Betrugsskandal wie der um manipulierte Abgasmesswerte bei Dieselfahrzeugen wiederholen können – da ist sich die Autobranche einig mit ihren Aufsehern. Und deshalb spendet sie sogar Beifall dafür, dass die Zulassungsbehörden der EU sie ab Herbst strenger an die Kandare nehmen wollen. „Die neuen Tests werden helfen, die verständliche Verwirrung rund um den Diesel zu beseitigen“, sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche, der vor einem Jahr auch zum Präsidenten des europäischen Autoherstellerverbands ACEA gewählt wurde. Das neue Verfahren werde „sehr viel mehr denkbare Fahrsituationen darstellen und damit viel näher an der Realität sein“.

Das ist auch bitter nötig, denn die realitätsfernen Testverfahren sind der Hauptgrund dafür, dass VW jahrelang mit manipulierter Abgasreinigungssoftware durch die Maschen der Zulassungsverfahren schlüpfen konnte. Weil von vornherein bis ins Detail klar ist, bei welchen Temperaturen, bei welchen Geschwindigkeiten und wie lange das Auto getestet wird, können aber auch andere Hersteller ihre Autos für die Tests optimieren. Auf dem Prüfstand erreichen sie dann perfekte Grenzwerte, in der täglichen Praxis schießt der Schadstoffausstoß dann in die Höhe.

Selbst bei den Autos, die offiziell der bisher strengsten Schadstoffnorm namens Euro 6 entsprechen, liegt der Stickoxidausstoß in der Realität weit oberhalb des Grenzwerts von 80 Milligramm pro Kilometer. Im Durchschnitt sind die Werte im Verkehr fünf- bis siebenmal so hoch wie auf dem Prüfstand erlaubt. Das ermittelte die internationale Umweltorganisation ICCT, die weltweit Aufsehen erregte, weil ihre Untersuchungen die VW-Manipulationen auffliegen ließen.

Das größte Problem: Auch künftig sollen nur ausgeswählte Autos getestet werden

Doch lassen sich mit den künftigen Testverfahren derartige Abweichungen verhindern? ICCT-Europa-Chef Peter Mock ist skeptisch: Künftig würden Tests zwar „die realen Fahrbedingungen breiter abdecken“, sagt er – das mache es für die Hersteller viel schwieriger, die Autos für das Bestehen der Tests zu optimieren. Dennoch gebe es auch in Zukunft noch eine Reihe von Lücken. Die größte davon sei die, dass auch bei den künftigen Zulassungsverfahren lediglich Prototypen getestet werden, die die Industrie zur Verfügung stellt. Wie viel Abgas die später in Serie produzierten Autos ausstoßen, lasse sich mit diesem Vorgehen allerdings nicht nachprüfen. „Abschalteinrichtungen, wie sie VW genutzt hat, würden auch nach dem neuen Verfahren nicht erkannt werden“, sagte Mock unserer Zeitung.

Natürlich führt am Test von Prototypen kein Weg vorbei – schließlich können Autos erst nach den Tests in Serie gehen. Doch das kann nach Mocks Einschätzung kein Grund sein, die Autos, die später verkauft werden, von Tests zu verschonen. Denn erst wenn auch Fahrzeuge in Kundenhand stichprobenartig getestet werden, lässt sich sagen, ob deren Schadstoffwerte noch denen der zuvor vom Hersteller ausgewählten Prototypen entsprechen. In den USA würden auch Personenwagen auf diese Weise getestet: Die Fahrer müssten das Auto eine bis zwei Wochen hergeben und bekämen in dieser Zeit ein Ersatzauto.

Auch der Umstand, dass die Hälfte der Tests gar nicht von Prüforganisationen, sondern von den Herstellern selbst vorgenommen werden, ist für den ICCT ein Grund zur Skepsis: Die Bedingungen, die man dafür wählt, würden dadurch „eher am oberen Ende der Möglichkeiten liegen“, sagt Mock. Wolle man die Abgaswerte realistisch messen, müsse man aber auch am „unteren Ende“ messen. Die gleiche Skepsis hat Mock gegenüber dem Umstand, dass Tests nicht nur für die einzelnen Modelle, sondern für ganze Modellfamilien gültig sein sollen. Auch hier bestehe das Risiko, dass die Auswahl im Sinne der Hersteller vorgenommen wird.

Die Verschärfung kommt, aber sie kommt langsam

Neue Modelle, die ab September dieses Jahres die Typzulassung erhalten, müssen zwingend nach dem neuen Verfahren getestet werden. Dabei werden die Abgaswerte auch im realen Straßenverkehr gemessen, und die Tests auf dem Prüfstand sollen der Realität näher kommen. Erst im September 2019 müssen auch ältere Modelle, die dann noch produziert werden, das Testverfahren durchlaufen haben. Diese Zeit ist weit länger als nötig, meint Mock. Denn selbst wenn in drei Jahren alle neuen Modelle die strengeren Tests passiert haben müssen, pusten Autos mit schlechteren Werten auch Jahre später noch zu viele Stickoxide in die Luft, die unter anderem die Atemwege reizen können. Bis dahin können zudem solche Autos auch neu auf den Markt gebracht werden. Technisch gibt es keinen Grund, so lange zu warten, meint Mock – denn Motoren, die nicht nur im Test, sondern auch in der Realität geringe Schadstoffwerte aufweisen, gebe es bereits: etwa den neuen Dieselmotor OM 654, den Daimler für drei Milliarden Euro entwickelt hat und in den kommenden Jahren in seine neuen Modelle einbauen wird.