Ilse Kern (links) gibt Sophie Kühn Tipps, wie sie ihr Bild Foto: Potente

Ilse Kern ist gerne kreativ – und leitet mit 93 Jahren eine Malgruppe im Seniorenheim Haus Miriam in Waiblingen.

Waiblingen - Als Ilse Kern um die 50 war, hat ihr eine Bekannte vorgeschlagen, sich ehrenamtlich zu engagieren. Das hielt die Waiblingerin für keine schlechte Idee. Sie meldete sich im Seniorenzentrum Marienheim, das damals gerade frisch bezogen worden war, besuchte mehrere Fortbildungen an der Landessportschule Ruit und bot dann Seniorengymnastikkurse an. „Als ich 70 war, hab’ ich aber gesagt: ,I hopf’ da nimmer rum’“, erinnert sich Ilse Kern. Das war die Geburtsstunde ihrer Malgruppe im Marienheim. Diese leitet Ilse Kern nun schon seit gut zwei Jahrzehnten – trotz ihrer mittlerweile 93 Jahre. Was sie antreibt? „Die Leute sind glücklich beim Malen.“

Gemalt wird immer freitags

Freitagvormittags macht sich Ilse Kern von ihrem Zuhause in der Wasserturmsiedlung auf den Weg zur Malstunde, die seit dem Umzug des Seniorenzentrums im Haus Miriam in Waiblingen-Süd stattfindet. „Frau Kern gehört fast zum Inventar“, sagt Melanie Carle-Gentek vom Team des Seniorenheims liebevoll.

Sie hat schon alles vorbereitet: Auf einem großen Tisch in einer der Wohngruppen stehen gefüllte Wassergläser, Behälter mit Pinseln und Aquarellfarben. Daneben liegen Papierbögen und Lappen bereit. „Man muss kein großer Künstler sein, um hier mitzumachen“, sagt Melanie Carle-Gentek, „aber jeder gibt sich Mühe und alles läuft mit viel Wertschätzung ab. Den letzten Feinschliff, den gibt Frau Kern.“

Manche Teilnehmer sind quasi von der ersten Stunde an dabei gewesen und malen seit vielen Jahren mit der 93-Jährigen. Andere, wie Sophie Kühn, haben die Freude am Malen erst spät entdeckt. „Ich bin seit zwei Jahren dabei und habe vorher nie gemalt“, erzählt sie und tupft noch etwas Farbe auf das Papier. Dann betrachtet sie mit kritischem Blick das Nest aus orangefarbenen Krokussen. Fertig? „Nein“, sagt Ilse Kern, die sich neben Sophie Kühn gesetzt hat. Jetzt kommt der Feinschliff.

Ilse Kern mischt etwas Grün mit Blau, sagt „das gibt jetzt einen Schatten“ und setzt geübt einige Striche ins Grün der Krokusblätter. Nebenbei erklärt sie Sophie Kühn, wieso sie beim Malen eines Halms unten anfangen muss: „Gras fängt unten dick an und muss oben spitzig sein. Wenn Sie oben anfangen, ist es falsch rum.“ Sophie Kühn setzt also den Pinsel am unteren Papierrand an und führt ihn schwungvoll nach oben. „Wunderbar“, lobt Ilse Kern.

Ein bisschen Sonne muss sein

Fertig? „Nein“, sagt Ilse Kern – im unteren Bereich fehle noch etwas Braun: „Es muss ja einen Boden geben, auf dem die Krokusse stehen.“ Der nächsten Malerin gibt sie den Tipp: „Da könnte noch die Sonne rein scheinen.“ Spricht’s und befeuchtet das Papier, tupft mit einem Lappen etwas vom Himmelsblau weg, setzt stattdessen gelbe Akzente, verwischt sie und sagt: „Ein bissle Sonne brauchen wir. Aber nicht den ganzen Himmel sonnig malen, schließlich ist Frühling!“ Bei Gertrud Bambach schaut Ilse Kern nur geschwind im Vorbeigehen über die Schulter und sagt: „Wie immer sehr schön.“ Gemeint ist der Krokuskelch, den diese in zartem Pink zu Papier gebracht hat. „Der braucht jetzt noch schwarze Konturen“, beschließt Gertrud Bambach, die offensichtlich viel Erfahrung im Malen hat. Die stammt aus ihrer Berufszeit. „Ich war Retuscheurin bei der Süddeutschen Lichtdruck-Anstalt in Stuttgart. Dort habe ich mit Anilinfarben Negative für Kunstdrucke bearbeitet.“ Das ist lange her – doch Malen und Skizzieren, das tut sie immer noch gerne: „Man fühlt sich danach besser.“

Das sieht Ilse Kern genauso. Kreativ sein, basteln und werkeln – das sei immer ihr Ding gewesen, erzählt die Waiblingerin. „Das Malen habe ich angefangen, als mein Mann schwer krank war.“ Der Umgang mit Aquarellfarben, Pinsel und Papier habe ihr geholfen, zu entspannen und auf andere Gedanken zu kommen. Den Effekt nimmt Ilse Kern auch bei den Teilnehmern in der Malgruppe wahr: „Sie gehen als andere Leute weg, als sie kamen.“