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Die Gala zum 50-Jahr-Jubiläum des Stuttgarter Balletts vergegenwärtigt ein Stück Tanzgeschichte.

Stuttgart - Das ist einmalig: ein halbes Jahrhundert personifizierte Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Stuttgarter Ballett an einem Abend vereint. 170 ehemalige Solisten und Ensemblemitglieder, Reid Andersons Kompanie und die John-Cranko-Schule machten dies bei der Gala zum 50. Geburtstag möglich.

Ob zum 40. Geburtstag des Stuttgarter Balletts 2001 oder zum 60. Geburtstag von Ballettchef Reid Anderson 2009 – die John-Cranko-Schule ist immer Teil des Ganzen. Doch bei der Gala zum Andenken an John Crankos Start als Ballettchef in Stuttgart im Jahr 1961 nutzte Reid Anderson die Gunst der Stunde für eine einprägsame Demonstration: Ohne Übergang mündeten die „Etüden“ des tänzerischen Nachwuchses ins „Defilee“ der Kompanie – bezeugt nicht nur von Crankos legendären Initialen Richard Cragun, Birgit Keil, Marcia Haydée und Egon Madsen von der Königsloge aus, sondern auch von 170 ehemaligen Kompaniemitgliedern, vielen Stuttgart eng verbundenen Choreografen, Ehrengästen aus Politik und Wirtschaft sowie dem treuen Ballettpublikum. Eindringlicher als mit diesem die Generationen verknüpfenden Familienbild, das deutsche Ballettgeschichte geschrieben hat und weiter schreibt, kann man wohl kaum an das Land und die Stadt für den Neubau der Cranko-Schule appellieren.

Von viel Beifall und einigen Buhrufen begleitet, hatte Ministerpräsident Stefan Mappus unmittelbar zuvor das Stuttgarter Ballett als den „besten Kulturbotschafter, den sich Baden-Württemberg wünschen könne“, gewürdigt und versichert, den Neubau der Schule gemeinsam mit der Stadt anzugehen. Er glaube fest daran: „Wenn wir das in den Haushalt aufnehmen, was wir tun werden, dann wird die Stadt mitziehen.“ Ob Reid Anderson diese Worte reichen? Auffällig war, dass sich dieser beim Land Baden-Württemberg und seinem Hauptsponsor der EnBW für die Unterstützung der Gala bedankte, nicht aber namentlich beim Ministerpräsidenten.

Auswärtige Gäste mit wenig Einblick in die aktuelle Debatte dürften sich über die mit etwas Unmut aufgeladene Stimmung gewundert haben.

Mit 23 Darbietungen, darunter zehn Stücke von befreundeten Kompanien, war der Abend übervoll. Dass Gastbeiträge oft Pas de deux sind, überrascht nicht. Schade nur, dass sich auch die Stuttgarter dem Publikum fast nur paarweise präsentierten und so der beschworene Corps-Geist auf der Bühne aus dem Blick geriet. „This Is The Moment“ – stimmgewaltig eröffnete Randy Diamond den Abend mit einem Musical-Song und bewies damit, dass nach dem Tanz noch andere Talente ausgelebt sein wollen.

Auffällig an der Programmgestaltung war ohnehin, dass sie weit mehr auf die Gegenwart setzte als auf Erinnerung. So präsentierte Anderson die wunderbar eigensinnigen Geschenke, die ihm seine Hauschoreografen – die beiden offiziellen Christian Spuck und Marco Goecke sowie Douglas Lee – zum 60. Geburtstag ersonnen hatten. Spucks frech-skurriles „Ständchen“ brachte Witz in den sonst eher besinnlichen Abend. Zugleich bewies Alexander Zaitsev, dass echte Komik in Ernst gründet.

Schön auch, den seit „Orlando“ mit einem offenen und selbstgewissen Blick auftretenden Friedemann Vogel in Marco Goeckes „Fancy Goods“ als jazzig verzücktes Körperorchester zu erleben. Auch Douglas Lees „Fanfare LX“ zeigte beim Wiedersehen, dass seine athletische Bewegungssprache voller Windungen dem Vergleich mit ähnlich technisch aufgeladenen Pas de deux standhält. Zu diesen zählte die einzige Uraufführung: Sabrina Matthews „In Peril“, kraftvoll getanzt von Heather Ogden und Guillaume Côté vom kanadischen Nationalballett. Aber auch Stephan Thoss’ „My Way“, Stephen Baynes Duo aus „Molto Vivace“ mit Amber Scott und Adam Bull vom Australian Ballet, Hans van Manens spannungsreiches „Two Pieces For Het“ mit dem enorm bühnenpräsenten Marijn Rademaker und Alicia Amatriain.

Noch ein Paar, das sich einprägt: Katja Wünsche und Alexander Zaitsev in einem Duo aus Mauro Bigonzettis „Kazimir’s Colours“. 1996 in Stuttgart uraufgeführt, steht das von der Malerei des Russen Kazimir Malewitsch inspirierte Stück für die fruchtbare Arbeit der Kompanie mit auswärtigen Choreografen.

Doch es kamen auch die zum Zug, die von Stuttgart aus in die Welt zogen: John Neumeier mit seinem berührenden Liebesduett aus „Othello“, Jiri Kylián mit seinem verschlungenen Pas de trois aus „Rückkehr ins fremde Land“, William Forsythe mit seinem wegbereitenden Noverre-Debüt „Urlicht“ zum Live-Gesang von Christiane Iven und Uwe Scholz mit „Jeunehomme“, verkörpert von Blythe Newman und Admill Kuyler aus Karlsruhe. Dass Marcia Haydée einen etwas konventionell-pathetischen „Carmen“-Pas-de-deux aus Chile mitbringt, belegt die weltweiten Spuren. Näher dran ist Eric Gauthiers mit seinem hier so passender Liebesbrief an Cranko „Dear John“ mit Egon Madsen. Ganz persönlich: Bridget Breiners Solo „Au’leen“, die zum Bass ihres Mannes Phillip Ens ganz körperlich die Seele einer in sich Gefangenen auszuloten schien.

Für eine fremde Note sorgte „Awaking from The Dream“ aus „Peony Pavillion“ von Fei Bo und dem chinesischen Nationalballett. Die langen Gewänder ließen die Körperlinien von Wang Qimin und Li Jun zu einer poetischen Pinselzeichnung verwischen. Exotische Klassik bot das Royal Ballet aus London mit Sarah Lamb und Federico Bonelli aus Frederick Ashtons „Thaïs“.

Enttäuschend, beglückend zugleich: das Wiedersehen mit Robert Tewsley in einer „Mayerling“-Szene von Kenneth MacMillan. Zum Tanzen kam Tewsley nicht, doch seine Darstellung ist schwer zu übertreffen. Nach Vladimir Malakhovs delikatem Solo „Sterbender Schwan“ von Mauro de Candia durfte man mit Sue Jin Kang und Jason Reilly in Crankos „Onegin“-Finale erschaudern. Schluss war aber erst, als sich die 50 Jahre Stuttgarter Ballett auf der Bühne zu einem Meer an Gesichtern verdichteten.