Dario Fo und Franca Rame. Foto: sett

Rache ist keine Lösung. Nicht für Medea, nicht für die Opfer von Ausbeutung, Männergewalt und Rassismus. Und doch: Alle sinnen zuerst auf Rache, die Tochter eines Opfers aus dem Jugoslawienkrieg genauso wie die italienische Nutte und Medea, die aus ihrer Heimat geflohene Königstochter. Das Maxim-Gorki-Theater und Texte von Franca Rame sorgten für Glücksmomente beim 12. Stuttgarter Europa-Theater-Treffen.

Rache ist keine Lösung. Nicht für Medea, nicht für die Opfer von Ausbeutung, Männergewalt und Rassismus. Und doch: Alle sinnen zuerst auf Rache, die Tochter eines Opfers aus dem Jugoslawienkrieg genauso wie die italienische Nutte und Medea, die aus ihrer Heimat geflohene Königstochter. „Common Ground“, das Stück von Yael Ronen, und eine Lesung von Edith Koerber mit Texten Franca Rames waren am Wochenende zwei beglückende Momente beim 12. Stuttgarter Europa-Theater-Treffen, die dem Rachegedanken Widerstand boten.

Sechs Schauspieler entäußern sich, werfen Holzkisten, toben mit Worten. Ihre Körper beben, sie schreien in einem Punksong: „Nichts wird bleiben, nichts wird bleiben außer Schmerz.“ Sie spielen Krieg, Erdbeben, Vernichtung. Auf einer Videowand wechseln Fotos, Symbolbilder, Lichtspots. Dann Stille. Sie sind erschöpft, räumen auf und konfrontieren durch ihr Rasen das Publikum mit dem ganz alltäglichen Wahnsinn. In Afrika, Asien, Nahost und im Herzen Europas. Ori Nahmias, Vernesa Berbo, Dejan Bucin, Mateja Meded, Jasmina Music, Niels Bormann – Schauspieler und Wahl-Berliner – waren mit Regisseurin Yael Ronen (auch sie Wahl-Berlinern) in Bosnien. Auf der Suche nach dem gemeinsamen Bezug entwickelten sie das Projekt „Common Ground“. „Erklär mir Jugoslawien“, sagt der Deutsche. Sein serbischer Kollege scheitert. Später wird eine Version von Titos einstigem Großreich als denkbare Idee keimen:

der Balkan, Heimat für alle Ethnien. Die Jungen konfrontierten sich mit der Geschichte ihrer Familien. Sie besuchten Orte des Terrors und deuten sie in Szenen nach: das frühere Konzentrationslager (einst und jetzt wieder eine Schule), Totenäcker mit und ohne Gedenkstein. Sie hörten Berichte von Vergewaltigungen, am Samstag im Jes erinnern sie sich in „Common Ground“.

„Zachar – erinnern“ ist Teil der jüdischen Tradition. Wer sich erinnert, vergisst nicht, weiß die 1976 in Jerusalem geborene Yael Ronen. Ein Krönchen in ihren Händen zerquetschend, verrät Jasmina Music als Ich-Erzählerin den Ort des größten KZ in Westbosnien. Einen fiktiven Telefonhörer in der Hand, berichtet Mateja Meded – sie hat ihren Vater Jahre nicht gesehen - von einem mysteriösen Anruf. Zwei junge Frauen, beide Opfer: die eine Tochter eines Hingerichteten, die andere Tochter eines Kriegsverbrechers – Schwestern im Leid. Beide fluchen, beide wollen rächen, sie umarmen sich, wollen zurück nach Berlin – Heimat Deutschland. „Die Idee der Nation ist ein Krebs“, schleudert das Ensemble vom Maxim-Gorki-Theater Berlin in die Zuschauerreihen. Der Applaus findet fast kein Ende.

Groteske statt Rache: Franca Rame rettet sich in ihrem Monolog „Nur Kinder, Küche, Kirche“ in die Ironie. Edith Koerber, Intendantin der tri-bühne, inszeniert am Sonntag in der Galerie Abtart lustvoll die bitterböse Geschichte einer Arbeiterfrau. Im derb beschriebenen Chaos zwischen Kind, anspruchsvollem Ehemann und ausbeuterischem „Herrn Multi“ fliegen bald die Fetzen. Noch konsequent böser hört sich der „Monolog einer Nutte in der Heilanstalt“ an. Ihre Rache griechischen Ausmaßes nennt Franca Rame „ein politisches Signal“ und den von Edith Koerber vorgetragenen dritten Monolog „Medea“ ihr wichtigstes Stück. „Frauen erschlaffen, Männer reifen“ – für diese ungerechte Logik erfand Franca Rame einen neuen, widerständischen Typus Frau.