Zurück in Marbach beim Sichten der Bilder. Foto:  

Der 25-jährige Nico Scheich aus Marbach war nach der Explosion in Beirut als Katastrophenhelfer im Libanon.

Marbach - Die Bilder der Explosion auf dem Industriegelände des Hafens im Norden von Beirut am Abend des 4. August gingen um die Welt. Eine Druckwelle zerstörte Teile des Hafens und richtete Schäden in weiten Teilen der Stadt an. Laut libanesischen Regierungsangaben wurden mindestens 220 Menschen getötet und mehr als 6000 verletzt. Ort der Explosion waren Lagerhallen, in denen hochexplosive Materialien aufbewahrt wurden. Die Nachricht über die Explosion verbreitete sich in Wort und Bildern in Windeseile über die sozialen Medien auf der ganzen Welt. Auch Nico Scheich erfährt auf diesem Weg von der Katastrophe – und ist in Alarmbereitschaft.

2007 trat der heute 25-Jährige der Marbacher Jugendfeuerwehr bei, mit dem Erreichen der Volljährigkeit wechselte er zu den Aktiven. Ein Jahr später, nachdem ein Taifun auf den Philippinen gewütet hatte, wurde Nico Scheich Mitglied bei @fire, einer gemeinnützigen, spendenfinanzierten Hilfsorganisation, die weltweit Nothilfe nach verheerenden Naturkatastrophen leistet. „Die Feuerwehr hier ist für die kleineren und größeren Nöte zuständig, aber ich wollte über den Tellerrand hinausschauen“, begründet der Marbacher sein Engagement. Die bundesweit rund 250 Mitglieder von @fire sind vor allem Mitarbeiter von Berufsfeuerwehren, freiwilligen Feuerwehren und Rettungsdiensten, die sich zusätzlich ehrenamtlich in der internationalen Hilfe engagieren.

Die Helfer werden für zwei Einsatzbereiche speziell ausgebildet: Zum einen für das Bekämpfen von Waldbränden, zum anderen für das Suchen und Retten von Verschütteten nach Erdbeben. Nico Scheich ist auf Letzteres spezialisiert. „Wir sind ein kleines, mobiles Team und versuchen vor Ort, möglichst effizient zu arbeiten“, sagt Scheich.

Doch zurück zur Katastrophe im Libanon. Nachdem sich am Morgen nach der Explosion schnell herauskristallisiert habe, dass die Folgen schlimmer sind als zunächst gedacht, so Scheich, habe der Libanon über die Europäische Union Hilfe angefordert. „Und der libanesische Botschafter in Berlin wollte, dass @fire vor Ort Hilfe leistet.“ Am Nachmittag erreicht den 25-Jährigen eine SMS mit der Info, dass er sich bereithalten solle. Sein Arbeitgeber, die Firma teamtechnik aus Freiberg, stellt den Techniker für einen möglichen Einsatz frei. Gegen 18 Uhr kommt das Go der Einsatzzentrale, um 22 Uhr startet der Flieger in Frankfurt. „Jeder von uns hat immer einen gepackten Rucksack griffbereit, der uns 24 Stunden Autarkie verschafft – unter anderem mit Essen, einem Erste-Hilfe-Set und Knieschonern. Für das restliche Packen habe ich noch 20 Minuten investiert.“

13 Katastrophenhelfer von @fire, zwei Tonnen Material und zwei Hunde fliegen zusammen mit Kräften des Technischen Hilfswerks (THW) in den Nahen Osten. Nach vier Stunden Flug kommen sie mitten in der Nacht an – und werden zum Coronatest gebeten. Dann geht es weiter nach Beirut, wo beide Teams in einer deutsch-libanesischen Schule untergebracht sind. Das Militär weist den Deutschen Hilfstrupps den Einsatzsektor zu. „Unsere Aufgabe war es, in mehreren Lagerhallen, die 100 bis 200 Meter vom Explosionsort entfernt waren, nach Überlebenden zu suchen“, schildert Nico Scheich die Aufgabe. Vor der Suche stand die Priorisierung der zerstörten Gebäude. Sprich: Wo sind die Chanchen am größten, dass es noch Überlebende gibt? Immer mit dabei – das Militär. „Die waren alle freundlich, aber doch sehr bestimmt im Auftreten.“

Relativ schnell ist klar, dass es in besagtem Sektor niemanden zu retten gibt. Das Geophon nimmt keine Klopfgeräusche auf und auch die Hunde schlagen nicht an. „Technische Geräte können keine Hundenase ersetzen“, sagt Nico Scheich und schmunzelt.

Am Samstagmorgen brechen die lokalen Behörden die Rettungsaktion ab. Scheich und seine Kollegen bekommen eine andere Aufgabe: Die Begutachtung der Gebäude im Hafen und die Einteilung der Schäden je nach Stärke. In der Nacht auf Montag setzt sich der Marbacher um 4 Uhr wieder in den Flieger zurück in die Heimat, wo gleich nach der Landung das erste Interview mit dem SWR wartet. Für den 25-Jährigen, der eigentlich nur helfen will und aus seiner Sicht nur seinen Job macht, eine ungewohnte Situation: „Ich will mich nicht profilieren.“ Andererseits ist es ihm ein Anliegen, für die Arbeit der nicht staatlichen Katastrophenschutz-Organisation und letztlich auch für Spenden für @fire zu werben. Die Bilder des Einsatzes werden ihn begleiten. „Ich habe keine Toten gesehen und darüber bin ich froh, aber eine Zerstörung in diesem Ausmaß zu sehen, war sehr erschreckend. Das war wie nach einem Bombenangriff. Die Druckwelle hat Vögel tot vom Himmel fallen lassen.“ Dazu die Gerüche, die extrem hohe Luftfeuchtigkeit, der Staub in der Luft. „Das ist eine Reizüberflutung, die man ein paar Tage sacken lassen muss.“

Nico Scheich wird bei der nächsten Runde der Veranstaltung  „Fische im Tee“ am Montag, 24. August, bei den Marbacher Weingärtnern auf der Terrasse zu Gast sein. Einlass ist um 19 Uhr, los geht’s um 20 Uhr. Es wird um Voranmeldung unter www.fischeimtee.com gebeten. Sollte das Wetter schlecht sein, wird die Veranstaltung nicht stattfinden. Weitere Infos zur Hilfsorganisation @fire gibt es im Internet unter www.at-fire.de.