Nach der Messerattacke gab es in Chemnitz etliche rechte Demonstrationen. Foto: dpa

Vor dem Amtsgericht musste sich ein 51-Jähriger verantworten, weil er den Haftbefehl gegen einen tatverdächtigen Syrer auf seinem Facebook-Account öffentlich machte und entsprechend kommentierte.

Marbach - Die juristische Aufarbeitung der tödlichen Messerattacke auf einen 35-Jährigen in Chemnitz und den darauffolgenden gewalttätigen Ausschreitungen im Sommer 2018 reicht bis nach Marbach. Vor dem Amtsgericht musste sich jetzt ein 51 Jahre alter Selbstständiger verantworten, weil er den Haftbefehl gegen einen tatverdächtigen Syrer auf seinem Facebook-Account öffentlich machte und entsprechend kommentierte.

Einem Sozialarbeiter aus Bremen war die damals „willkürliche Stimmungsmache gegen Flüchtlinge“ ein Dorn im Auge. „Ich habe beruflich mit Migranten zu tun und die haben das unmittelbar zu spüren bekommen“, berichtete der 46-Jährige als Zeuge im Gerichtssaal. Beim Surfen im Netz stieß er auf die Veröffentlichung des Marbacher Selbstständigen und „seine abwertende Kommentierung“. „Das hat mich sehr geärgert, deshalb habe ich eine Anzeige gemacht.“ Über das Landeskriminalamt Sachsen gelangte die Anzeige im Frühjahr dieses Jahres zur Polizei in Marbach.

Am Rande des Chemnitzer Stadtfestes Ende August 2018 wurden ein Mann durch Messerstiche getötet und zwei weitere schwer verletzt. Rechte und rechtsextreme Gruppen riefen aufgrund von Nachrichten zum Migrationshintergrund der mutmaßlichen Täter zu Demonstrationen auf, die zum Teil gewalttätig verliefen. Die Ereignisse und ihre Bewertung hatten die nachträgliche Versetzung des Verfassungsschutzpräsidenten in den Ruhestand zur Folge.

Drei Tage nach der Tat veröffentlichte - den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zufolge - ein Beamter der Justizvollzugsanstalt Dresden den Haftbefehl gegen einen Tatverdächtigen. In der Anklage vom April dieses Jahres wirft sie ihm vor, die Unterlage unerlaubt mit dem Handy abfotografiert und weitergeleitet zu haben, wodurch sie letztlich in den sozialen Medien landete und zigfach weiterverbreitet wurde. Für die Anklagebehörde ist dies eine Verletzung von Dienstgeheimnissen in Tateinheit mit verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen. Das Strafgesetzbuch sieht in ersterem Delikt eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vor.

Das bislang eher seltene Delikt der verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen sieht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr für Täter vor, die amtliche Dokumente eines Strafverfahrens ganz oder in wesentlichen Teilen bekannt machen, bevor diese in einer öffentlichen Verhandlung erörtert worden sind.

Das Gesetz zielt auf den Schutz eines Tatverdächtigen ab, der noch nicht rechtskräftig verurteilt ist, besonders aber auch auf den Schutz der Justiz, ihre Arbeit sachlich, neutral und ohne in öffentliche Hetze gezogen zu werden, erledigen zu können, führte die Staatsanwaltschaft nachdrücklich im Marbacher Verfahren aus. Mit dieser Art der Stimmungsmache, auf die der Angeklagte aufgesprungen sei, nachdem bereits öffentlich heftig über die Ereignisse diskutiert wurde, ist er für den Ankläger ein kleines Rädchen im Getriebe hin zu Hassmails und Gewalt.

Seinen Antrag auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten und einer Geldstrafe von 4000 Euro hielt die Verteidigung für „vollkommen unangemessen“. Der Facebook-Account seines Mandanten sei von mehreren Geräten im Betrieb zugänglich und nicht passwortgeschützt. Demnach sei gar nicht erwiesen, dass der Angeklagte selbst den Haftbefehl gepostet habe. Die Antwort auf die Frage, wer denn das Dokument verschickt habe, blieben Angeklagter und Verteidigung schuldig.

Das Gericht hielt es für abwegig, dass auf dem ausschließlich mit privatem Foto und privaten Kommentaren versehenen Account ein anderer Mitarbeiter des Betriebs etwas verschickt haben soll. „So grauenvoll die Tat war, ergibt sich dennoch keinerlei Berechtigung für Privatpersonen, sich in Ermittlungen einzumischen“, stellte Richterin Ursula Ziegler-Göller klar und verurteilte den 51-Jährigen zu einer Geldstrafe von 9000 Euro. Im ursprünglichen Strafbefehl war noch von 3000 Euro die Rede gewesen.