Herr B. hat als Kind etwas Traumatisches erlebt: Seine geliebte Tante, bei der er fast jedes Wochenende verbrachte, beging Suizid. Der Zwanzigjährige kann erst seit Kurzem über den Verlust sprechen.
Herr B. weiß, was Armut ist. Er ist in Armut aufgewachsen. Seine Mutter ist erwerbsunfähig, der Vater sei ebenfalls „schon lange nicht mehr vermittelbar“. Das Geld war immer knapp zu Hause. Nun arbeitet der 20-Jährige bei der Stuttgarter Tafel im Rahmen einer vom Jobcenter finanzierten Maßnahme. Jeden Tag sieht er die Schlangen vor dem Tafel-Laden. Er mag seine Aufgabe: „Mir gefällt der Kontakt zu den Kunden, den Leuten zu helfen, die auch wenig haben.“
Weil er an der Kasse sitzt, bekommt er aber auch immer wieder Frust ab. Manche Leute kämen in den Laden und schrien einen direkt an, erzählt er. Das gehöre dazu. Es gebe zum Glück ja auch die anderen. Ein Kunde zum Beispiel habe kürzlich sogar einen selbst gebackenen Kuchen vorbeigebracht. Das hat ihn sehr gefreut.
Er simulierte, damit er nicht in die Schule muss
Herr B. lebt noch bei den Eltern. Die schönsten, aber auch die schrecklichsten Kindheitserinnerungen verbindet er aber mit seiner Tante. Er habe fast jedes Wochenende bei der Schwester seiner Mutter verbracht und dort auch regelmäßig übernachtet. „Sie war meine Lieblingstante, und ich war ihr Lieblingsneffe“, sagt er. Auch nach der Schule sei er oft nicht nach Hause, sondern zur Tante gegangen. „Wir haben Spiele gespielt, sind spazieren gegangen“, er habe sich dort wohl und akzeptiert gefühlt.
Anders als in der Schule. Herr B. hat eine Förderschule besucht. Dort sei er „massiv gemobbt worden“, erzählt er – und zwar über Jahre. Die Mitschüler hätten ihn schikaniert, beleidigt, sich einen Spaß damit gemacht, ihn mit „Morddrohungen“ zu verunsichern. Lehrer hätten ihm nicht zur Seite gestanden, als er sie um Hilfe bat. Er habe deshalb auch gefehlt – meist wegen Bauchwehs. „Ich habe auch simuliert, dass ich nicht in die Schule muss“, berichtet er ganz ehrlich. Und die Tante stand immer hinter ihm. Sie habe ihm auch Erlebnisse ermöglicht, die für seine Eltern nicht drin waren: wie die gemeinsame Fahrt in den Freizeitpark. Dass es seiner Tante nicht gut ging, verbarg diese vor dem Jungen. Als er elf Jahre alt war, passierte „das Schreckliche“: Sie brachte sich um.
Als er elf Jahre alt war, passierte „das Schreckliche“
„Es war ein Todesfall, der mich sehr geprägt hat“, sagt Herr B.. Lange Jahre habe er über den Verlust nicht sprechen können. Fiel zu Hause der Name der Tante, sei er aus dem Zimmer gelaufen.
Das hat sich erst vor Kurzem geändert – dank einer Psychotherapie und der Psychopharmaka, die er inzwischen nimmt. Seither gelingt es ihm, Belastendes auch auszusprechen. „Ich habe große Fortschritte gemacht“, sagt Herr B.. Auch sonst: Vor zwei Jahren hatte er sein Coming-out. Seine Eltern haben besser reagiert als befürchtet, als er ihnen erzählte, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt: „Mein Vater war erst nicht begeistert, aber dann hat er gesagt: ,Es ist okay, dass Du so bist, ich habe Dich lieb‘.“
Die Augen haben sich verschlechtert
Herr B. hofft, auf dem Arbeitsmarkt Tritt zu fassen. Am liebsten würde er eine Ausbildung im Einzelhandel machen. Nur hat er bisher keinen Schulabschluss. Aber einige Anbieter gäben auch Menschen wie ihm, die auf der Förderschule waren, eine Chance. Bis Mitte Februar ist er noch bei der Tafel. Allerdings haben sich zuletzt seine Augen verschlechtert, sodass er dringend eine neue Brille braucht. Er habe schon Kopfschmerzen, sagt Herr B.. Doch die neuen Gläser kann er sich nicht leisten. Die Neue Arbeit, die die Maßnahme bei der Tafel vermittelt hat, hat für den 20-Jährigen einen Antrag bei der Aktion Weihnachten gestellt. Wir wollen den Brillenkauf ermöglichen.
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