Das Porträt von John Lennon hat der Teilnehmer Herr L. gemalt. Foto: Viola Volland

In der Tagesstätte des Gemeindepsychiatrischen Zentrums in Filderstadt gibt es seit einigen Monaten eine Malgruppe. Sie wird von einem Künstler geleitet, der selbst psychisch krank ist, und folgt einem besonderen Konzept.

Herr L. greift zu einer Ölkreide in Orange und fängt an, ein Kästchen auszumalen. Ihm gegenüber sitzt Herr H., hochkonzentriert, einen Edding in der Hand. Er malt damit rundliche Formen, sein Bild ist inspiriert vom spanischen Künstler Miró. Herrn B. wiederum, der ebenfalls am Tisch sitzt, haben es Gesichter angetan, die einen mal würdevoll, mal dämonisch anblicken. Er hat den Pinsel in der Hand und tunkt diesen in gelbe Acrylfarbe. Er mag kräftige Farben.

Die Männer und Frauen sprechen nicht viel, die an diesem Montag in der Tagesstätte des Gemeindepsychiatrischen Dienstes in Filderstadt zusammengekommen sind. Bei ihnen in der Malgruppe herrsche meistens eine „schaffige Stille“, sagt Herr L. Niemand muss hier reden. Aber wenn jemand reden will, dann reden sie. Und gemalt wird grundsätzlich, worauf man Lust hat.

Niemand soll das Gefühl haben, nicht gut genug zu sein

Das Konzept von Herrn B., der die Malgruppe leitet, unterscheidet sich deutlich von dem der letzten Gruppenleiterin – eine externe Malerin, die mit dem Anspruch ans Werk ging, den Teilnehmenden Techniken zu vermitteln. Da fühlten sich einige unter Druck gesetzt. „Wir sind hier alle gleichberechtigt und geben uns gegenseitig Tipps“, sagt Herr B. Niemand soll das Gefühl haben, etwas nicht zu schaffen.

Herr B. ist Künstler – und selbst Klient des Gemeindepsychiatrischen Zentrums in Filderstadt. Als ihn der Sozialpädagoge Wolfgang Swobodnik fragte, ob er sich vorstellen könnte, eine Malgruppe zu leiten, zweifelte er zunächst, ob er dazu fähig wäre. „Ich dachte, ich kann das nicht“, aber dann hat er sich doch getraut. Nun spürt der 56-Jährige, wie gut es ihm selbst tut, dass es so gut läuft.

Ein Bild von Herrn B. Foto: vv

„Für mich ist das Tolle, dass die Erkrankung hier nicht im Vordergrund steht“, sagt der Teilnehmer Herr L. Die Diagnosen, die sie natürlich alle mitbringen, spielten bei den Treffen keine Rolle. Ganz anders als in der Kunsttherapie, die er zusätzlich macht. In der Malgruppe gehe es um Spaß, sagt Herr L. Sie ist nicht als Therapie gedacht – und hat auf ihn doch eine therapeutische Wirkung.

„Wenn ich male, ist die Psychose weg“

Kürzlich ging es ihm zum Beispiel gar nicht gut. „Ich hatte viele Gedanken, war so müd, wie gelähmt“, sagt Herr L., der unter anderem unter Zwangsgedanken leidet. Dann hat er es doch zur Gruppe geschafft. Nach den zwei Stunden Malen hatte sich etwas in ihm gelöst. Auch Herr B. hat das festgestellt: „Wenn ich male, ist die Psychose weg.“ Seine farbenfrohen Werke wirken teils psychedelisch. „Da ist Spannung drin“, meint auch Wolfgang Swobodnik.

Herr B. setzt gerne knallige Farben ein. Foto: v/v

Der Sozialpädagoge ist begeistert von der Malgruppe, die sich zu einer der beliebtesten Angebote der Tagesstätte gemausert habe, seit sie im Februar gestartet ist. Sie folge dem Prinzip: die Ressourcen, die alle haben, zu stärken. Möglich gemacht hat das Projekt eine Spende unserer Benefizaktion Aktion Weihnachten. Wir kommen unter anderem für die Materialkosten auf, die anfallen.

Ein Kurs in der Volkshochschule? Aktuell nicht denkbar

Herr L. möchte die Malgruppe jedenfalls nicht mehr missen. Er weiß noch, dass ihm die Kunsttherapeutin einmal vorschlug, in der Volkshochschule einen Malkurs für die Technik zu belegen. Für den 52-Jährigen wäre das aber noch nicht möglich. Was wäre, wenn die anderen Kursteilnehmer Fragen stellen nach Beruf, nach Familie? Was sollte er sagen? Die Vorstellung löst Ängste bei ihm aus. Er braucht den geschützten Rahmen.

Viel Leben im Kopf – ein Werk von Frau H. Foto: vv

Die Kindheit und Jugend von Herrn L. ist von großem Leistungsdruck geprägt gewesen – er war Leistungssportler, gehörte in seiner Disziplin zur Elite in Deutschland. Dann, er war noch nicht erwachsen, erschütterte ein Schicksalsschlag die Familie: Sein Vater wurde zum Schwerstpflegefall. Bis zu dessen Tod hat Herr L. den Vater mitgepflegt. Sein Leben kam ihm lange wie ein einziger Kraftakt vor. Aber wenn Herr L. malt, immer montags in der Gruppe, fühlt er sich ganz unbeschwert. Die Leichtigkeit ist noch neu für ihn. Aber er spielt damit bereits in einigen seiner Werke. „Ich mag unsere Gruppe“, sagt auch Frau H., die gerade mit einem Blumenbild fertig geworden ist. „Wir loben uns ganz viel.“

So können Sie spenden

Konten
Die Aktion Weihnachten freut sich über Spenden. Die Konten lauten: Baden-Württembergische Bank, IBAN DE04 6005 0101 0002 3423 40, oder Schwäbische Bank, IBAN DE85 6002 0100 0000 0063 00. Wenn Ihr Name als Spender in der gedruckten Zeitung veröffentlicht werden darf, vermerken Sie das bitte unbedingt bei der Überweisung. Alle Artikel zur laufenden Benefizaktion lesen Sie hier.