Pädagogin Kerstin Sieber (links) unterstützt Mariam bei ihrem Ritt auf Pony Levi. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Im Zusammenspiel mit Tieren fällt vieles leichter. Schüler der Bodelschwinghschule in Stuttgart-Vaihingen können – auch dank der Aktion Weihnachten – regelmäßig auf der Jugendfarm Möhringen am heilpädagogischen Reiten teilnehmen.

Mariam hat die Arme weit nach oben gestreckt und strahlt. Auf dem Rücken von Levi, einem Lewitzer-Pony, fühlt sich die Zweitklässlerin sichtlich wohl, sicher und stark. Wie zum Beweis ballt sie die Fäuste neben ihrem Kopf und macht eine Mucki-Pose. Geführt von Pädagogin Kerstin Sieber dreht Levi derweil seine Runden über den Reitplatz der Möhringer Jugendfarm.

Mithelfen gehört dazu

Einmal freihändig? Kein Problem für Mariam. Selbstvertrauen und Mut gibt ihr dabei Pferd Levi. Foto: Lichtgut//Julian Rettig

Mariam hat das Downsyndrom, ist kleiner als ihre Altersgenossen und sehr zierlich. „Eigentlich ist sie eher ruhig, eine stille Beobachterin“, sagt ihre Lehrerin Silke Zerrweck. „Aber hier blüht sie auf.“ So wie Mariam gehe es vielen Schülerinnen und Schülern aus der Grundstufe der Bodelschwinghschule in Stuttgart-Vaihingen, wenn sie einmal die Woche ihren Vormittag hier auf der Jugendfarm verbringen. Die Kooperation zwischen der Schule für Kinder mit geistiger Behinderung und der Farm besteht schon seit Jahrzehnten. Eine der Gründerinnen des Jugendfarmvereins war selbst Reittherapeutin und etablierte das heilpädagogische Reiten auf der Jugendfarm.

Deshalb leben hier auf dem Feld zwischen Möhringen und Vaihingen neben Hühnern, Gänsen, Schafen, Ziegen, Hasen und einem Esel auch zehn Pferde. Manche von ihnen verbringen ihren Lebensabend auf der Farm, werden zwar nicht mehr zum Reiten eingesetzt, dafür von den Besuchern gehegt und gepflegt. Denn auch das ist Teil des Vormittags auf der Farm. Nach einem Begrüßungskreis versorgen die Schülerinnen und Schüler die Tiere, geben ihnen Futter, streicheln und striegeln die Pferde. Wer gerade nicht reitet, darf auf dem Gelände der Jugendfarm spielen.

Berat beim Striegeln. Vor dem Reiten kümmern sich die Kinder um die Tiere der Farm Foto: Lichtgut//Julian Rettig

Die Kinder lernen, Verantwortung zu übernehmen

Neben Mariam reitet Mitschüler Berat auf Merlin, einem 18-jährigen Tinker-Wallach. Er hat die Augen geschlossen und lässt sich so von einer Lehrerin führen. „Das gefällt mir am besten“, sagt er. „Die Kinder erleben hier nicht nur die Natur bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. Besonders in Kontakt mit den Tieren lernen sie, Verantwortung zu übernehmen, eigene Ängste zu überwinden, und gewinnen Selbstvertrauen“, sagt Marion Kalka.

Marion Kalka hat als Sozialpädagogin lange Zeit das heilpädagogische Reiten auf der Jugendfarm Möhringen betreut. Foto: Lichtgut//Julian Rettig

Die ehemalige hauptamtliche Mitarbeiterin war vor Kerstin Sieber für das heilpädagogische Reiten auf der Farm zuständig. „Besonders die Pferde kommunizieren als Herdentiere auf ganz spezielle Weise mit den Kindern – ohne Moral, ganz direkt“, sagt sie.

Auch Mariam scheint das zu verstehen. Sie reitet nun rückwärts auf Levi, hat sich mit Bauch und Wange auf seinen Rücken gelegt und genießt die Nähe. „Nicht jedes Kind traut sich sofort aufs Pferd. Wir führen die Schülerinnen und Schüler deshalb ganz langsam heran, schauen auch bei den anderen Tieren, wer zu wem passt“ sagt Kalka. Wer nicht reiten möchte, darf das Pony einfach führen: „Wenn einem so ein großes Tier folgt, gibt alleine das viel Selbstvertrauen.“

Auch der Körper soll gestärkt werden

Levi reitet auf Merlin über den Platz, geführt von einer seiner Lehrerinnen. Foto: Lichtgut//Julian Rettig

Durch den Kontakt von Kind und Pferd stellten sich teils außergewöhnliche Erfolge ein, sagt die Lehrerin Silke Zerrweck. So auch bei Mariams Mitschüler Levi, der nun auf dem Rücken von Merlin sitzt. „Levi ist Autist. Für ihn ist es ein riesen Schritt, sich überhaupt auf andere Lebewesen einzulassen“, sagt sie. Hier auf dem Reitplatz merkt man davon nichts. Nach Anleitung von Kerstin Sieber nimmt der Junge zunächst den einen, dann den anderen Arm nach oben, reitet freihändig – und hat sichtlich Spaß dabei. „Einfach nur auf einem Pferd zu sitzen, während dieses in Bewegung ist, hat bereits einen positiven Effekt auf den Körper und die Muskulatur. Man ahmt damit die Gehbewegung des Menschen nach“, sagt Marion Kalka. Da mit einer geistigen Behinderung oft auch eine Bewegungseinschränkung einher geht, habe das Reiten einen doppelt positiven Effekt.

Für Levi und Mariam heißt es nun Absteigen. Zusammen mit Berat, ihren Lehrerinnen und Lehrern und den anderen sieben Mitschülerinnen und Mitschülern stehen sie im Schlusskreis, verabschieden sich vom Team der Jugendfarm und treten dann den Heimweg an – zu Fuß zurück zur Schule. Insgesamt können in diesem Schuljahr knapp 30 Kinder an dem Programm teilnehmen – auch dank der Unterstützung der Aktion Weihnachten, die einen kräftigen Zuschuss zum heilpädagogische Reiten gibt.

So können Sie spenden

Spenden
Die Aktion Weihnachten freut sich über jede Spende. Wenn Ihr Name als Spender veröffentlicht werden darf, vermerken Sie das bitte unbedingt bei der Überweisung. Die Konten lauten: Baden-Württembergische Bank, IBAN DE04 6005 0101 0002 3423 40, oder Schwäbische Bank, IBAN DE85 6002 0100 0000 0063 00.

Farm
Die Jugendfarm Möhringen ist eine Einrichtung der offenen Kinder- und Jugendarbeit, ein pädagogisch betreuter Spielplatz. Sie befindet sich auf einem rund einen Hektar großen städtischen Grundstück zwischen den vier Stuttgarter Stadtteilen Möhringen, Vaihingen, Kaltental und Sonnenberg. Die meisten Besucher sind zwischen 7 und 12 Jahre alt.

Therapie
Seit der Gründung 1972 ist die Jugendfarm auch ein Platz für Kinder mit Behinderungen. Vormittags nutzen Gruppen aus verschiedenen Einrichtungen und Sonderschulen den Platz als Erfahrungs- und Erlebnisraum und zum therapeutischen Reiten.

Angebot
Neben einem großen Hüttenbaubereich mit Feuerstelle, in dem die Kinder werken und spielen, gibt es eine Holz- und Metallwerkstatt, Werkangebote wie Töpfern, Wollverarbeitung oder Buchbinden und zahlreiche Tiere. Es gibt Spielangebote und Bewegungsspiele, gemeinsames Kochen und Backen, Freizeiten, Übernachtungen und Ausflüge. Der Besuch ist kostenlos. Weitere Informationen gibt es unter www.jufa.de. cw