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Familie & Leben

Gebrochenes Herz und graue Haare

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, wirbelt das für Hinterbliebene nicht nur die Gefühle durcheinander. Auch der Körper spielt mitunter verrückt. Was steckt dahinter - und was hilft?

Gebrochenes Herz und graue Haare

Trauer findet nicht nur in Gedanken statt - auch der Körper leidet. Foto: Christin Klose/dpa-tmn

Wer einen geliebten Menschen verliert, für den stellt sich alles auf den Kopf. Und auch der Körper funktioniert in einer Trauerphase manchmal nicht mehr wie gewohnt. 

Etwa, wenn sich der Brustkorb gefühlt so eng zusammenschnürt, dass tiefe Atemzüge kaum möglich sind. Oder wenn beim Kämmen deutlich mehr Haare in der Bürste hängen bleiben als vorher. „Im Verlustfall hängt alles zusammen. Körper und Geist sind kaum zu trennen“, sagt Heidi Müller, Wissenschaftlerin im Bereich der Trauerforschung.

„Jeder Mensch trauert anders“, sagt Susanne Haller, Leiterin der Elisabeth-Kübler-Ross-Akademie am Hospiz Stuttgart. Dementsprechend vielfältig seien körperliche Reaktionen auf einen einschneidenden Verlust. Ob Migräne, Schwindel, Enge in der Brust, Herzrasen, Rückenschmerzen oder Durchfall: Die Bandbreite ist groß. 

Trauerende gehen gebeugt

Einige Symptome sind für Außenstehende unsichtbar, andere fallen direkt ins Auge. Zum Beispiel die Körperhaltung: „Viele Trauernde gehen nicht mehr so aufrecht, der Kopf hängt ein wenig, sie bewegen sich langsamer“, beschreibt Annette Wagner. Sie ist Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Trauerbegleitung (BVT) und unter anderem auch als Klinikseelsorgerin tätig. 

In ihrer Arbeit mit trauernden Menschen fällt ihr immer wieder auf, dass diese – selbst an warmen Tagen – gehörig frösteln. Ein heißer Tee und eine kuschelige Decke sind dann nicht nur für die Seele wichtig, sondern auch für den Körper. 

Über Nacht ergraut?

Oft wird erzählt, dass das Haar mit der Trauer im Zeitraffer grau werden kann. So wird etwa dem Philosophen Karl Marx nachgesagt, nach dem Tod seines achtjährigen Sohnes über Nacht ergraut zu sein. Allzu häufig kommt dieses Phänomen jedoch nicht vor. Annette Wagner hat es nach eigenen Worten in 20 Jahren Trauerbegleitung nur einmal erlebt, bei einer Witwe: „Ihre Haare sind binnen drei Tagen schlohweiß geworden“, erzählt sie.

Selbst wenn die Haare nicht ergrauen, wirken viele Trauernde für Außenstehende dennoch wie gealtert. „Die Mundwinkel fallen, die Haut ist aschig, unter den Augen sind dunkle Ringe – so sieht ein trauriger Mensch aus“, sagt Wagner. 

Das habe auch mit den Lebensumständen in der Trauerphase zu tun, erläutert Expertin Wagner: Nach einem Verlust rattert der Kopf oft so sehr, dass Trauernde schlecht in den Schlaf finden. Dazu kommt häufig Appetitlosigkeit. Wenn dann auch noch die Bewegung im Alltag zu kurz kommt, fehlt dem Körper eine gute Durchblutung – all das sieht man einem trauernden Menschen manchmal an.

Die Ursachen für die teils heftigen Reaktionen des Organismus bei Trauerfällen sind nicht vollends ergründet. Belegt ist, dass der Todesfall eines geliebten Menschen das Risiko für bestimmte Herz-Kreislauferkrankungen zeitweise erhöhen kann. 

Im Zweifel zum Arzt

Es sei wichtig, sagt Susanne Haller vom Hospiz Stuttgart, dass Trauernde körperliche Beschwerden nicht einfach mit Aussagen wie „Das ist eben die Trauer“ abtun, sondern sich nicht scheuen, damit zum Arzt oder zur Ärztin zu gehen. 

Halten die körperlichen Beschwerden eine Weile lang an, schleicht sich rasch ein quälender Gedanke an: „Mache ich etwas falsch?“ Viele Trauernde verspüren Druck, am Arbeitsplatz und abseits davon schnell wieder volle Leistung erbringen zu müssen.

Wenn Körper und Psyche das nicht mitmachen, sorgt das für Frust. Trauerforscherin Heidi Müller nimmt dabei auch die Anforderungen der Gesellschaft kritisch in den Blick: „Früher kam die Welt nach einem Todesfall für einen Menschen zum Stillstand. Heutzutage – in einer dynamischen Zeit mit einem hohen Tempo – ist das nicht mehr so.“ 

Trauern kostet Energie

Auch wenn es nicht immer leicht ist, sich den gesellschaftlichen Erwartungen zu entziehen: Laut Müller ist es wichtig, dass sich Trauernde Pausen erlauben und Zeit für Dinge nehmen, die ihnen guttun. Trauer kostet den Körper viel Energie. 

„Aber: Sie ist ein ganz natürlicher Ausdruck. Trauer ist nicht das Problem, sondern die Lösung“, so Trauerbegleiterin Annette Wagner. Können Trauernde anerkennen, dass an ihren – körperlichen oder mentalen – Reaktionen auf den Verlust nichts falsch ist, kann das für Erleichterung sorgen. Ricarda Dieckmann, dpa


Wenn Kollegen trauern: Kleine Gesten können helfen

Ein Blumenstrauß oder eine Nachricht? Darüber sprechen, oder lieber nicht? Wenn Teammitglieder den Tod eines lieben Menschen verkraften müssen, sind auch Kolleginnen und Kollegen gefragt. Doch wie?

Verliert eine Kollegin oder ein Kollege einen nahe stehenden Menschen, stellt sich für die übrigen Teammitglieder die Frage: Wie verhalten wir uns nun nur richtig – und wie können wir am besten unterstützen? 

Eine allgemeingültige Antwort darauf gibt es nicht. Wichtig ist, sich an den Wünschen der Betroffenen zu orientieren. Und das Teammitglied zu fragen, ob er oder sie über den Verlust sprechen möchte oder lieber nicht. Dazu rät die Trauerberaterin Tanja Brinkmann im Online-Magazin „BAM“ der Arbeitnehmerkammer Bremen. „Bestenfalls klärt das die Führungskraft vorher.“ 

Schließlich trauert nicht jeder Mensch gleich oder hat die gleichen Bedürfnisse nach dem schweren Verlust eines geliebten Menschen, schon gar nicht am Arbeitsplatz. „Manche möchten über ihren Verlust reden, andere wollen einfach nur Arbeit und Normalität“, so Brinkmann, die das Netzwerk Trauer am Arbeitsplatz gegründet hat. 

Unsicherheiten ansprechen

Unterstützen können je nachdem dann auch kleine Gesten, etwa ein Blumenstrauß vor dem Spind des Betroffenen oder ein Willkommensplakat bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz. 

Besonders hilfreich sei für Trauernde zudem die Rücksichtnahme im Team, so Brinkmann: „Zu sehen, dass da jemand gerade einen wichtigen Menschen in seinem Leben verloren hat und deswegen nicht hundertprozentig leistungsfähig ist.“ 

Eines sollten besonders Vorgesetzte in jedem Fall vermeiden: Sich aus reiner Unsicherheit zurücknehmen. Besser: Die eigene Unsicherheit mit der Situation transparent machen. Sagen könne man Brinkmann zufolge etwa: „Ich weiß leider überhaupt nicht, was ich gerade sagen soll. Aber wenn du irgendetwas brauchst, sag es mir total gern.“ dpa/tmn