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Familie & Leben

Den Schmerz um ein Sternenkind verarbeiten

Wenn Babys tot auf die Welt kommen oder bald nach der Geburt sterben, ist die Erschütterung groß. Jedes Elternteil trauert auf seine Weise um das verlorene Kind. Auch Angehörige und Freunde fühlen sich oft hilflos.

Den Schmerz um ein Sternenkind verarbeiten

Wut und Schuldgefühle begleiten Eltern von Sternenkindern oft noch sehr lange. Manche fragen sich, warum sie ihr Kind nicht beschützen konnten. Foto: dpa-tmn/Ina Fassbender

Es ist elf Jahre her, dass Martina Plums Sohn Max tot auf die Welt kam. «Es ist ein Gefühl, als würde einem ein Teil des Körpers amputiert. In diesem Moment geht das Leben nicht weiter», sagt die Journalistin aus Castrop-Rauxel. Bald nach der Geburt begann sie wieder mit der Arbeit, der Job gab ihr Halt.

Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 3247 Kinder tot geboren. Die Eltern dieser „Sternenkinder“ genannten Kleinen erlebten die vielleicht schwärzesten Stunden ihres Lebens.

Auch in Martina Plums Leben war nichts mehr wie vorher – auch nicht in ihrem Umfeld. So wechselten Bekannte die Straßenseite, um nicht mit ihr reden zu müssen. Sie erlebte, wie sie manchmal aggressiv wurde. Plötzlich wusste sie nicht mehr, wie Auto fahren geht. „Dinge, die man eigentlich aus dem Effeff kann, funktionieren erst mal nicht mehr.“ Damals gründete sie in ihrer Heimatstadt einen Gesprächskreis für betroffene Eltern, aus dem schließlich der Verein Sternenkinder-Vest wurde. Ein Jahr dauerte es, bis sie ihr Leben wieder normal leben konnte. „Aber die Trauer hört dann natürlich nicht auf.“

Jeder geht mit seiner Trauer anders um – auch die beiden Elternteile. Dies kann die Partnerschaft zusätzlich enorm belasten. So haben Männer oft das Gefühl, sie müssten dafür sorgen, dass das Leben irgendwie weitergeht. Ihre Trauer verstecken sie mitunter, der Mann will der Beschützer sein und die Frau nicht auch noch mit seiner Trauer belasten. Doch die Frau fühlt sich dadurch alleine in ihrem Schmerz. „Ich kenne keine Belastungsprobe für eine Beziehung wie der Tod eines geliebten Kindes“, erklärt der Psychologe Holger Schlageter aus Wiesbaden. Hinzu kommt, dass Trauer extrem viel Energie kostet und möglicherweise keine mehr für den Partner übrig ist.

Dieses Risiko besteht auch im Umgang mit den Geschwistern. Aber sie brauchen ihre Eltern. Dabei trauern Kinder allerdings anders als Erwachsene, der Verlust ist ihnen nicht unbedingt anzumerken. Vieles verarbeiten sie unbewusst. Ihnen können Therapien helfen, in denen sie weniger reden, sondern eher malen oder spielen. Wichtig ist für die Geschwister – ebenso wie für die Eltern –, dass das gestorbene Kind einen Platz in der Familie hat. Es darf nicht zum Tabu werden, sein Name darf und soll ausgesprochen werden. So wird zum Beispiel in der Familie von Martina Plum der Geburtstag von Max jedes Jahr mit Blumen an seinem Grab begangen.

„Ich habe dadurch gelernt, den Tod zu akzeptieren“, sagt die Trauerbegleiterin Edeltraud Edlinger aus München. Sie ist Mutter von drei Kindern, eines von ihnen lag im Alter von sieben Wochen tot in der Wiege. Sie arbeitet nun in einer Beratungsstelle mit betroffenen Eltern und hat das Buch „Gute Hoffnung, jähes Ende“ der verstorbenen Autorin Hannah Lothrop aktualisiert.

„Am Anfang steht meistens der Schock, das Nicht-Wahrhaben-Wollen“, sagt sie. Der anschließende Trauerweg sei ganz verschieden. Ein Besuch von Selbsthilfegruppen – auch im Internet – kann helfen. So erleben die Eltern, dass sie nicht die Einzigen mit diesem Schicksal sind.

Die schlimmste Trauer dauert laut Edlinger oft mindestens so lange wie die Schwangerschaft. Zu den aufkommenden Emotionen können auch Wut und Schuldgefühle gehören. Manche Frauen fragen sich, ob sie etwas falsch gemacht haben und warum sie ihr Kind nicht beschützen konnten. Oder sie suchen nach einem Schuldigen.

Es kann beim Trauern helfen, wenn die Eltern ihr Baby tot gesehen haben. „Das ist natürlich aber auch eine Frage, in welchem Zustand der Körper ist“, gibt Schlageter zu bedenken. Doch so haben die Eltern konkrete Erinnerungen an ihr Kind. Sie können eine Haarlocke abschneiden, Fotos machen, einen Fuß- oder Handabdruck nehmen. Damit bleibt etwas Greifbares zurück. Ansonsten erleben die Frauen die Schwangerschaft und die Geburt – und plötzlich ist ihr Kind weg. Wenn sie sich nicht verabschieden können, suchen manche lange unbewusst nach ihrem Baby.

Auch für die Angehörigen und Freunde der betroffenen Eltern ist die Nachricht oft ein Schock. Bei ihnen entsteht die Unsicherheit, wie sie sich verhalten sollen. „Ganz wichtig ist es, keine Plattitüden von sich zu geben, wie etwa ‚Das wird schon wieder’ oder ‚Du kannst doch noch ein Kind kriegen’. Die wirken wie Hammerschläge“, sagt Plum. Die eigenen Gefühle können mit Sätzen wie „Ich bin traurig“, „Ich bin erschüttert“ oder „Ich habe keine Worte“ ausgedrückt werden.

Die Angehörigen und Freunde sollten sich Zeit zum Zuhören nehmen, das Weinen, Schweigen und vielleicht auch Aggressivität aushalten. Sie können zum Beispiel fragen, ob eine Kerze für das Kind angezündet werden soll oder welchen Namen es hat. Auch ganz pragmatische Hilfe ist wichtig, wie das Kochen von Essen. Dem anderen soll das Gefühl gegeben werden, dass jemand sich kümmert und immer erreichbar ist. „Trauerbegleitung bedeutet vornehmlich Dasein und Aushalten. Egal was“, fasst es der Psychologe Schlageter zusammen. Sabine Maurer, dpa