DIE HISTORIKERIN „Die Serie ist ein wilder Mix, und die Drehbuchschreiber haben gut recherchiert, ob es nun um Herrscherinnen geht oder um adlige männliche Bastarde, deren brüchige Position man bei Jon Snow gut erkennen kann. Drachen, die Prinzessinnen bedrängen, bis sie von einem Ritter befreit werden, gibt’s in den Heiligenlegenden, die Bettelordensbrüder seit dem 13. Jahrhundert auf den Marktplätzen vorgetragen haben, oder in der Ritterepik für gehobenere Kreise. Die Serie bezieht die Antike mit ein und Mythen aller Art: griechische Heldensagen, die nordische Mythologie und die Wikinger, aber auch mongolische Legenden und solche aus dem Süden und Südosten. Die Leute im Norden muten skandinavisch an, die Wasserleute auf den Eiseninseln britisch, und Königsmund, wo Cersei Lannister regiert, erinnert an das Neapel zur Zeit Königin Johannas I. von Anjou. Die Mauer ähnelt dem Hadrianswall, der die wilden Pikten von der britisch-römischen Bevölkerung trennte. Die Städte im Osten könnten in Persien liegen, auf der Arabischen Halbinsel, in Ostafrika, am Indischen Ozean. Das Verrückte ist: Die Serie wechselt von einem kulturellen Kontext in den nächsten, die Leitkultur ist aber eine Art hochmittelalterliche Ritterkultur. Allerdings wird Fremdes nicht automatisch als minderwertig abgeurteilt. Das ist vielleicht die Message in einer Zeit, in der man sich in Europa auf das Nationale im eher negativen Sinn zurückbesinnt: dass man ein Gefühl dafür entwickelt, dass Zivilisation nicht nur europäisch ist, sondern sich überall parallel entwickelt hat.Die Welt in „Game of Thrones“ ist vernetzt wie das mittelalterliche Kerneuropa, das Heilige Römische Reich, das im kulturellen und politischen Austausch stand mit Afrika und Asien, mit Amerika, wenn man an die Wikinger denkt und an Grönland. Die Einflüsse reichten bis nach Australien: Der Stauferkönig Friedrich II. hatte mindestens einen Kakadu an seinem Hof, das belegt sein Falkenbuch. Ich möchte nicht im Mittelalter leben, aber der weite Blick, das Interesse für fremde Kulturen gefällt mir sehr.“ Ellen Widder ist Professorin für mittelalterliche Geschichte in Tübingen (Foto: Uni Tübingen)
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