Der neue Verteidigungsminister leistete seinen Wehrdienst von 1980 bis 1981. Er habe damals Panzerfahrer werden sollen – wurde dann aber Fahrer eines Offiziers. Foto: AFP/Britta Pedersen

Boris Pistorius gilt als jemand, der die eigenen Leute nicht hängen lassen will – weder Kanzler Scholz noch die deutschen Soldaten.

Olaf Scholz weiß, wie man Menschen warten lassen kann. Er hat in solchen Momenten immer etwas Verschmitztes. „Ich freue mich über Ihr großes Interesse für diese Behörde des Auswärtigen Amtes, das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten, das schon heute, aber auch in der Zukunft, eine ganz, ganz große Rolle für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes spielen wird“, sagt der Kanzler am Mittwochmittag in der Behörde, die er gemeinsam mit Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Brandenburg an der Havel besucht.

 

Scholz spricht in dem Amt, das für die Bearbeitung von Visumsanträgen zuständig ist, zunächst einmal länglich davon, dass viele Menschen in Deutschland arbeiten und studieren wollten oder auch einfach mal Urlaub machen. Und immer so weiter.

„Ein Freund und auch ein guter Politiker“

Dann sagt er irgendwann endlich doch das, worauf alle in diesem Moment gewartet haben. „Ich habe Boris Pistorius gebeten, Bundesminister der Verteidigung zu werden“, sagt der Kanzler. Pistorius, der seit 2013 Landesinnenminister in Niedersachsen ist, sei nicht nur „ein Freund und auch ein guter Politiker“, sondern verfüge auch über viel Erfahrung in der Sicherheitspolitik. Scholz betont, er sei überzeugt, Pistorius sei einer, der mit der Truppe könne und den die Soldaten sehr mögen würden.

Olaf Scholz ist es mal wieder geglückt, dass seine Personalentscheidung bis kurz vor der offiziellen Verkündung geheim geblieben ist – erst am Mittwochvormittag hatte es erste Meldungen zur Personalie Pistorius gegeben. Das ist die positive Sichtweise.

Die negative ist: Der Kanzler musste in den vergangenen Tagen vielleicht doch etwas länger nach einer neuen Person an der Spitze des wichtigen Ministeriums suchen, als er gedacht hatte. Besonders gut vorbereitet war er auf die Situation jedenfalls offensichtlich nicht, als Ende vergangener Woche öffentlich wurde, dass der Rücktritt der bisherigen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) bevorstehe. Und das, obwohl Lambrecht nach zahlreichen Pannen und Peinlichkeiten für alle erkennbar angeschlagen war.

Ein echter Überraschungscoup

Klar ist: Der Kanzler ist seiner Tradition treu geblieben, wichtige Personalien nur im kleinsten Kreis zu besprechen. So hat er es auch bei der ursprünglichen Besetzung der SPD-Ministerien gehalten, als Deutschland wochenlang rätselte, ob Karl Lauterbach Bundesgesundheitsminister werden würde. Bis Scholz im Willy-Brandt-Haus, inklusive rhetorischer Kunstpause, das Ergebnis verkündete, indem er sagte: „Er wird es.“

Auch mit Pistorius ist Scholz ein echter Überraschungscoup gelungen. Öffentlich gehandelt als Lambrecht-Nachfolger wurden Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, SPD-Chef Lars Klingbeil und Arbeitsminister Hubertus Heil. Als aussichtsreiche Kandidatinnen wurden zudem die Wehrbeauftragte Eva Högl und die parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller, genannt.

Eigentlich, ja, eigentlich hätte der Job nach den Regeln, die Scholz sich selbst auferlegt hat, an eine Frau gehen müssen. Parität – 50 Prozent Männer, 50 Prozent Frauen auf den Ministerposten – das hatte Scholz versprochen und zu Beginn der Legislaturperiode auch so umgesetzt. Jetzt hat er anders entschieden.

„Ich will die Bundeswehr starkmachen“

Wer ist dieser Boris Pistorius? In den Jahren als niedersächsischer Innenminister hat er sich einen guten Ruf als pragmatischer Politiker erarbeitet. Der verwitwete Vater von zwei Töchtern besitzt die Fähigkeit zur politischen Rauferei, wie er in der Auseinandersetzung mit dem früheren Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mehr als einmal bewiesen hat. Dabei schlägt er aber nicht über die Stränge. Auch mit SPD-Chefin Saskia Esken hat er sich schon angelegt, wenn sie über die Polizei anders geredet hat, als er es richtig fand.

Pistorius ist einer, der die eigenen Leute nicht hängen lässt, wenn es eng wird – sei es die Polizei oder sei es nun die Bundeswehr. So sehen ihn viele, so sieht er auch sich selbst. Das ist auch seine klare Botschaft, als er sich am Montag in Hannover das erste Mal zum künftigen Amt äußert – kurioserweise noch kurz bevor der Kanzler es in Brandenburg an der Havel tut. Auch das ist Ausdruck eines Selbstbewusstseins, das Lambrecht Scholz so nicht gegenüber gezeigt hat. Und das den Bundeskanzler im Geheimen wahrscheinlich manchmal noch denken lassen wird: „Hätte ich mich doch anders entschieden.“

„Ich will die Bundeswehr starkmachen“, betont Pistorius in Hannover. „Die Aufgaben, die vor der Truppe liegen, sind gewaltig.“ Er spricht davon, wie wichtig ihm die „enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit den Soldaten sei. Dann formuliert er seine zentrale Botschaft ganz ausdrücklich: „Die Truppe kann sich darauf verlassen, dass ich mich, wann immer es nötig ist, vor sie stellen werde.“ Pistorius sagt noch, er blicke mit Demut auf seine neue Aufgabe – in diesen schwierigen Zeiten in der Ukraine. Er lässt hier eine Leidenschaft erkennen, die Christine Lambrecht in ihrer Zeit als Verteidigungsministerin nach Einschätzung vieler Beobachter, aber auch vieler Menschen in der Truppe vermissen ließ. Sie wirkte wie eine Verteidigungsministerin, die eigentlich Innenministerin sein wollte. Er strahlt aus: Ich bin ein Landesinnenminister, der sich nun auf die nächste ganz große Herausforderung freut.

Der Niedersachse hat Rechtswissenschaften in Osnabrück und Münster studiert, zuvor aber eine Lehre zum Groß- und Außenhandelskaufmann absolviert. Seinen Wehrdienst leistet er von 1980 bis 1981. Das war in einer Kaserne in Achim bei Bremen, die es heute nicht mehr gebe, erinnert sich der 62-Jährige. Er habe damals Fahrer des Gepard-Panzers werden sollen. „Daraus ist dann nichts geworden, weil der Kommandeur einen neuen Fahrer suchte. Da bin ich Fahrer des Kommandeurs geworden.“ Ein Pragmatiker eben.

Pistorius wird keine Schonfrist haben

Von der Landespolitik ins zentrale Amt der Zeitenwende? In der Ampelkoalition loben die Politiker die Personalie Pistorius natürlich – auch wenn die Grünen verärgert sind, weil die Parität im Kabinett verletzt wird. Pistorius sei zwar geeignet und qualifiziert, sagt die Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge. „Aber unser Selbstverständnis ist es, dass im Jahre 2023 ein Kabinett paritätisch besetzt ist.“

Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) spricht dagegen von einer „Besetzung aus der B-Mannschaft“. Sachkompetenz und Erfahrung hätten keine Rolle gespielt. Klar ist jedenfalls: Pistorius wird keine Schonfrist haben. Am Donnerstag wird er vereidigt. Am Freitag trifft sich die Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein. Es wird um Panzerlieferungen gehen.

Olaf Scholz spricht beim Termin in Brandenburg an der Havel übrigens noch vom Kampf gegen den Fachkräftemangel. Boris Pistorius muss jetzt zeigen, dass er eine Fachkraft ist – auch im Verteidigungsministerium.