Die Linke gilt neben der AfD als besonders erfolgreich bei Tiktok. Das hat vor allem mit ihren Influencern zu tun. Was sind das für Leute?
Der Wahlerfolg der Partei Die Linke bei der Bundestagswahl vom Februar mit 8,8 Prozent der Zweitstimmen wird insbesondere ihrem Tiktok-Auftritt zugesprochen. Heidi Reichinneks Brandmauer-Rede ging viral mit mittlerweile 7,7 Millionen Aufrufen allein auf Tiktok. Auch die „Silberlocken“, also die drei (älteren) Direktkandidaten Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow, tauchten plötzlich in vielen Feeds von Tiktok-Usern auf.
Doch der Erfolg war und ist nicht nur den offiziellen Accounts von Partei und Politikern geschuldet, wie eine Analyse der Daten von rund 700 Tiktok-Usern zeigt. Unsere Zeitung hat gemeinsam mit dem BR, dem Weizenbaum-Institut und der Uni Zürich zur „Datenspende“ aufgerufen und die Nutzungsdaten analysiert.
Ohne Influencer geht es nicht gut
Von keiner anderen Partei tauchen politische Inhalte ähnlich oft in den vom Tiktok-Algorithmus kuratierten Feeds auf. Zwar sind deutlich mehr Datenspender aus dem linken als aus dem rechten politischen Spektrum in dem Datensatz enthalten. Doch auch verglichen mit SPD und Grünen bekamen die User mehr als doppelt so häufig Linkspartei-Inhalte zu sehen. Erstmals weist eine Analyse anhand echter Nutzerdaten nach, wie wichtig das Parteienvorfeld auf Tiktok ist.
Die prozentualen Anteile sind gering, weil Politik auf Tiktok insgesamt eine geringe Rolle spielt. Dennoch zeigt sich: Im linken Spektrum ist die Linkspartei erfolgreich, und das besonders wegen ihres Vorfelds. Tiktok-Accounts, die von Influencern oder namentlich nicht bekannten Privatmenschen betrieben werden, sorgen für eine vergleichsweise starke Verbreitung von Linkspartei-Inhalten. Womit sich die Frage stellt: Wer sind diese Menschen?
Einer davon ist „It’s Daniel“. Er bezieht sich in seinen Videos auf Posts von anderen und stellt „Fakten gegenüber Behauptungen“, wie er selbst sagt. AfD-Politiker und rechte Influencer, aber auch Nachrichtenportale wie Nius von Ex-Bild-Chef Julian Reichelt sind das meistens.
Eine seiner Lieblinge ist die rechte Tiktokerin „annamarinada“ aus Stuttgart. Als sie zum Beispiel in einem Video behauptet, ein Seniorenheim in Hamburg sei geräumt worden, um Platz für Geflüchtete zu schaffen, widerspricht er: „Da wurde kein Rentner auf die Straße gesetzt.“ Das Heim habe aus Personalgründen geschlossen werden müssen, die Bewohner seien in ein anderes Heim umgezogen.
Unabhängig davon habe die Stadt das Heim gemietet, nun zögen Pflegebedürftige mit Migrationsgeschichte dort ein, die zuvor in einem Containerdorf gewohnt hätten. „Es ist schrecklich“, sagt „annamarinada“ in ihrem Video. Darauf Daniel: „Das einzig Schreckliche daran ist, dass es nicht genügend Personal für Altenpflege gibt.“ Er seufzt. „Es ist alles sehr viel unspektakulärer, als du dat hier darstellst.“
„Linkspopulist mit Reichweite“
230 000 Tiktok-User folgen „It’s Daniel“. Im Gespräch mit unserer Zeitung bezeichnet er sich als „Linkspopulist mit Reichweite“. Sein Ziel: „Dass die Leute aufhören, AfD zu wählen.“ Was sie wählen, sei ihm am Ende schnurz. „Den Kampf kann man später führen, wenn die Rechten aus dem Parlament raus sind“, sagt er.
Daniel teilt nicht nur linke Inhalte, er ist auch Mitglied der Linkspartei und hat so ein, zwei Kontakte in die Bundesgeschäftsstelle. Deshalb habe er auch die Möglichkeit, mit Politikern wie Heidi Reichinnek Videos zu machen. Auch mit den Social Media-Teams von Bundestagsabgeordneten habe er sich schon ausgetauscht.
An Beratungsangeboten habe er aber noch nie teilgenommen. Die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung bietet Weiterbildungen für linke Influencer an. Über die Plattform „Die Linke Einhornfabrik“ will die Partei darüber hinaus ihre Inhalte über die sozialen Medien stark machen. Wer teilnimmt, wird in Gruppen und Verteiler aufgenommen, um „unsere Hashtags nach vorn“ zu pushen und „unseren Genossinnen und Genossen auf Social Media“ beizustehen.
Ein weiterer linker Influencer ist „Honey Balecta“. Mit seinen Inhalten hat er bislang knapp 52 000 Follower gewonnen. Seine Themen: Faschismus, Polizeigewalt, warum man Friedrich Merz nicht wählen kann. Auch er will Aufklärungsarbeit leisten, die Dinge darstellen, wie sie sind – und dann die Analyse, die sich für ihn daraus ergibt, einflechten.
Auch hier gibt es eine klare Wahlempfehlung: Die Linke. Der Tiktoker ist Mitglied der Partei, hat aber auch an keinen Beratungsangeboten teilgenommen. Warum er linken Content macht? „Alles andere würde mir immens verantwortungslos vorkommen“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Sein Ziel ist, „dass es nicht noch schlimmer wird“. Im Gegensatz zu vielen rechten Influencern meint er damit aber den Rechtsruck und nicht die Sicherheit in Deutschland.
Ein Beispiel von seinem Tiktok-Account: Vor der Bundestagswahl rät „Honey Balecta“ Unentschlossenen, sich etwa folgende Frage zu stellen: „Willst du Verbesserungen für dich oder Verschlechterungen für die anderen?“ Damit könne man sich gegen Populismus schützen, weil „populistische Parteien in aller Regel keine wirklichen Verbesserungen anzubieten haben – deshalb setzen sie vor allem auf Verschlechterungen von anderen Menschen als die, die sie direkt ansprechen“, so der Tenor.
Experte ordnet diese Inhalte ein
„Ein erzieherisches Moment“, das attestiert Maik Fielitz vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena den beiden Tiktokern. Fielitz beschäftigt sich viel mit sozialen Medien und politischer Kommunikation. Er ist sich gar nicht sicher, wie gut solche analytischen Videos auf Tiktok funktionieren.
Bei für Tiktok ungewöhnlich langen Analysen müsse man erst mal hängen bleiben. Mit den Formaten wolle man eher den Nachdenklichen spielen und nicht den klassischen Influencer – „aber man bedient eigentlich die gleichen Emotionen und die gleichen Mechanismen“. Nämlich die, die eine Community und eine parasoziale Beziehung aufbauen.
Wie auf Tiktok üblich, landen auch die linken Influencer und Vorfeldaccounts mal virale Hits, die von Hunderttausenden gesehen werden, mal erreichen sie mit ihren Videos nur wenige Tausend Nutzer. Da geht es Leuten wie dem „Einmannthinktank“ Honey Balecta nicht anders als Heidi Reichinnek. Für den Erfolg der Linkspartei sind sie gleichermaßen verantwortlich.