Gleichgültig, wie erfolgreich der einzelne Spieler ist – für die Anbieter sind Sportwetten ein Milliardengeschäft. Foto: imago images/MIS

Erst seit dem Jahr 2020 können Online-Sportwetten legal angeboten werden. Vorher agierten namhafte Anbieter wie Tipico oder Betano im teils illegalen Bereich. Nun folgt eine Niederlage nach der anderen – wie zuletzt vor dem Oberlandesgericht Stuttgart.

Was schon zu Bundesliga-Zeiten unmöglich ist, gilt erst recht für die Wochen der Europameisterschaft: An Sportwettenanbietern können Fußballfans nicht vorbeischauen. Mit dem Marktführer Tipico etwa pflegen die Deutsche Fußball-Liga (DFL) und der Fußball-Bund (DFB) eine immer engere Geschäftspartnerschaft. Im Gerichtssaal jedoch gerät die Gilde zunehmend in die Defensive. Diversen Urteilen zufolge müssen sie teils hohe Verluste erstatten, die Spieler bei illegal angebotenem Online-Glücksspiel verloren hatten.

 

Der jüngste Akt hat sich vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart abgespielt, das mit einer Entscheidung vom 24. Mai Tipico in zweiter Instanz dazu verurteilt hat, 375 432 Euro plus Zinsen von 59 429 Euro zurückzuzahlen. Der Spielsüchtige aus dem Landkreis Schwäbisch Hall hatte zwischen 2014 und 2020 mit Angeboten des auf Malta ansässigen Unternehmens sein komplettes Erbe der Eltern verspielt – ohne Wissen seines privaten Umfelds.

Acht Jahre für ein funktionierendes Vergabeverfahren

Dem unserer Zeitung vorliegenden Urteil zufolge hatte Tipico bis zum 9. Oktober 2020 keine deutsche Erlaubnis zur Veranstaltung von Sportwetten im Internet. Online-Glücksspiel war verboten – mit der Ausnahme für Online-Sportwetten, die mit einer gültigen Konzession ab dem Jahr 2012 erlaubt waren. Damals trat der Glücksspielstaatsvertrag in Kraft. Allerdings war eine solche Lizenz in Deutschland nicht zu erwerben, weil das Zulassungsverfahren durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs scheiterte. So entstand eine enorme rechtliche Grauzone.

Acht Jahre hätten die deutschen Behörden bis 2020 für ein funktionierendes Vergabeverfahren gebraucht, schildert Thomas Schopf von der Ludwigsburger Kanzlei HFS Rechtsanwälte, die den Kläger vertreten hat. „Daran störten sich Anbieter wie Tipico, bet-at-home, bwin, bet365 oder Betano und zahlreiche weitere nicht – sie gingen einfach ohne gültige Lizenz auf den Markt.“ So hätten sie die Sucht mit fehlendem Spielerschutz befördert. Heute verbotene Wettformen, ein fehlendes Einzahlungslimit und das ständige Angebot von Boni hätten auch den nun 34-jährigen Kläger weiter spielen lassen, bis er komplett ruiniert gewesen sei.

Keinen monatlichen Höchsteinsatz vorgegeben

Bestätigt vom OLG Stuttgart argumentierte er mit der Unzulässigkeit der Sportwetten und der Unwirksamkeit der Wettverträge. Das Wettangebot sei nicht erlaubt und auch nicht erlaubnisfähig gewesen. Denn es habe nicht den Anforderungen des Staatsvertrags bezüglich des monatlichen Höchsteinsatzes je Spieler von 1000 Euro sowie der Trennung zwischen Sportwetten und anderen Glücksspielen entsprochen.

Die Rechtsvertreter von Tipico widersprachen vor dem OLG: Das Unternehmen sei seit 2004 legal auf dem deutschen Markt tätig. Der Europäische Gerichtshof habe 2010 das deutsche Sportwettenmonopol für unionsrechtswidrig erklärt. Wenn Anbieter einen Antrag auf Konzessionserteilung gestellt und alle Voraussetzungen – gerichtlich bestätigt – nachgewiesen hätten, aber Online-Sportwetten während der langen Zeit des Vergabeverfahrens nicht hätten anbieten dürfen, so komme dies einer Wiederherstellung des Sportwettenmonopols gleich.

Hinweise des Bundesgerichtshofs geben Richtung vor

Aber auch der offizielle EM-Sponsor Betano kommt in Bredouille: HFS Rechtsanwälte hat einen Kläger vertreten, der 2018 bei Sportwetten des österreichischen Anbieters rund 12 000 Euro verloren hatte. Ebenso lag keine Erlaubnis der deutschen Behörde vor. So klagte der Spieler erfolgreich auf den Ausgleich seiner Verluste. Zu einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) kam es Anfang Mai aber nicht, weil der Anbieter die Revision zwei Tage vor Verhandlungsbeginn zurückzog. Offenbar werden Spieler lieber separat entschädigt, als obergerichtliche Entscheidungen zuzulassen.

Allerdings hatte sich der BGH zuvor mit einem sogenannten Hinweisbeschluss vom 22. März auf die Seite des Klägers gestellt und die Einschätzung abgegeben, dass er von einem Verstoß gegen Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags ausgeht. So muss Betano die 12 000 Euro plus Zinsen zurückzahlen, derweil eine endgültige Klärung ausbleibt. Dennoch erwartet Schopf, dass sich untere Instanzen daran orientieren könnten – auch das OLG Stuttgart nimmt im Urteil mehrfach Bezug auf den BGH-Beschluss.

Tipico versichert: Wir setzen uns für Spielerschutzstandards ein

So setzen die Gerichte immer neue Signale; Tausende Kläger bundesweit hoffen. HFS gibt sich als David, der die Sportwetten-Goliaths ins Straucheln bringt. Die Kanzlei vertritt nach eigenen Angaben mehrere hundert Mandanten, die fast alle spielsüchtig seien – getrieben von Anbietern, die mehr als zehn Jahre fast unkontrolliert von Behörden das Milliardengeschäft gemacht hätten.

Tipico sieht sich mittlerweile „federführend an der Weiterentwicklung der Spielerschutzstandards im deutschen Markt beteiligt“. In den letzten Wochen der abgelaufenen Bundesligasaison habe man als erster Anbieter seine Werbezeit für eine entsprechende Schutzinitiative eingesetzt.

Vor allem Männer erliegen der Spielsucht

Betroffene
 Die Landesstelle für Suchtfragen geht allein in Baden-Württemberg von 46 000 Menschen mit Sportwett-Problemen aus – tangiert sind vor allem Männer von 21 bis 35 Jahren beziehungsweise mit Migrationsgeschichte. Die Betroffenheit sei in Sportclubs besonders hoch – weil vermeintliches Fachwissen zum Wetten verlockt.

Verfügbarkeit
 Die ständige Verfügbarkeit durch digitale Sportwetten würden ein hohes Suchtpotenzial bergen. Die Forschung zeige, dass von den Sportwettern ein Viertel leichte Glücksspielstörungen aufweisen, zwölf Prozent eine mittelschwere Störung und elf Prozent eine schwere Störung entwickelt haben.

Live-Wetten
Die höchste Suchtgefahr geht Fachleuten zufolge von sogenannten Live-Sportwetten aus. Gewettet wird auf ein Sportereignis weit über den Fußball hinaus während seines Verlaufs. Die Möglichkeiten sind vielfältig: Es kann auf Tore oder Torschützen, Halbzeitstände und einiges mehr gewettet werden.