Fluss unter der Stadt: Der Nesenbach ist zu einem Abwasserkanal geworden, der in die Kläranlage von Mühlhausen mündet Foto: Michael Haußmann

Stuttgart am Nesenbach – oft kann man diese Kennzeichnung lesen. In Wahrheit liegt die Stadt nicht am, sondern über dem Fluss, der zum Abwasserkanal heruntergekommen ist. Internet-Nutzer des Stuttgart-Albums berichten von Zeiten, in denen dies noch anders war.

Stuttgart - Stuttgart am Nesenbach – oft kann man diese Kennzeichnung lesen. In Wahrheit liegt die Stadt nicht am, sondern über dem Fluss, der zum Abwasserkanal heruntergekommen ist. Internet-Nutzer des Stuttgart-Albums berichten von Zeiten, in denen dies noch anders war

Die Stadt, die einen Bahnhof tieferlegen will, hat einst einen ganzen Fluss unter die Erde versenkt. Nein, es ist kein Märchen. Beim Nesenbach denkt der Schauspieler Boris R. Hauck an die Toilettenfrau, die davon träumt, so schön zu singen wie die Callas, aber dann nur Klobrillen schrubbt.

Das holde Flüsslein wollten eine Diva sein. Aus den Honigwiesen in Vaihingen entspringt es, führt aber wahrlich kein Honig mit sich, wenn es runter in die Stuttgarter Unterwelt muss, um nach 13 dreckigen Kilometern im Klärwerk Mühlhausen zu enden.

„Ich, der Nesenbach – ein Fluss packt aus“, so heißt das Bühnenprogramm, mit dem Boris R. Hauck am 29. März beim Arbeiterbildungsverein in Untertürkheim Premiere feiert. Um das Schicksal des einstmals stolzen Gewässers geht es, um die schöne Zarentochter Katharina, die sich bei ihren Spaziergängen im Wasser des Bächleins spiegelte. „Selbst heute hat der Stadtfluss noch immer nicht seine Ruhe“, sagt Hauck, „für den Tiefbahnhof wird er erneut umgebettet.“ Die Verlegung des überdeckelten Bachs unter den Bahnhofstrog war Voraussetzung für Stuttgart 21. Auch wenn es technisch kompliziert und bei Geologen umstritten ist – das Eisenbahnbundesamt genehmigte den Nesenbach-Düker.

Bei Bauarbeiten durfte der Fluss ans Tageslicht

Bei anderen Bauarbeiten – für das Dorotheenquartier von Breuninger – durfte der versteckte und verdreckte Fluss noch einmal ans Tageslicht - also das, was von ihm übrig geblieben ist. Zu sehen war nur ein dickes Rohr, das durch die Baustelle führte und unter einem Torbogen verschwand – der Bach, der mal die Lebensader der Stadt war, hat seine Freiheit längst verloren, dient aber dazu, heimlich den Dreck wegzuspülen. Der städtische Eigenbetrieb Stadtentwässerung Stuttgart (SES) führt dies bei Besichtigungen vor, die am Neckartor starten. Im Normalfall ist der Kanal halbvoll mit den Abwässern, die für die Kläranlage in Mühlhausen bestimmt sind. Regnet es stark, schwillt der Bach zu einem reißenden Strom an.

Auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums erinnern sich etliche an den Wasserlauf, als er noch zu sehen war. Michael Groß schreibt: „Ich kenne den Nesenbach aus meiner Kindheit. Am SSB-Depot, wo es nach Kaltental geht, war er ungezähmt und ein (verbotener) Tummelplatz für uns. Ich werde nie vergessen, wie sich Fluten zu Tale stürzten, als es 1972 das große Unwetter mit Hagel gab. Die Auffangbecken waren randvoll, und man kam sich beim Rauschen wie in einem Bergdorf vor.“

Ihre 1937 geborenen Eltern, hat Sonja Ebert gepostet, haben an der Heslacher Wand im Nesenbach als Kinder gebadet. „Man kann ihn auf der Nesenbachstraße ganz leise gluckern hören, wenn man sein Ohr auf den Asphalt legt“, verrät Gianni Florales. „Die Dinkelacker-Biere an Tübinger Straße“, weiß Dieter Läpple, „hatten den Beinamen ,Nesenbachwasser.“

Im Sommer verbreitete das Gewässer oft Gestank

Über Jahrhunderte hinweg war der Fluss ein wichtiger Trinkwasserlieferant. Doch mit jeder neu gefassten Quelle ist dem Bach immer mehr Wasser in seinem Oberlauf entzogen worden. Den Müllern fehlte deshalb das Wasser für ihre Wasserräder. Deren Beschwerde ist es zu verdanken, dass 1566 der Pfaffensee mit dem Christophstollen als Abfluss in der Heidenklinge angelegt wurde.

Weil das Gewässer besonders im Sommer zum Himmel stank, gab es 1778 die ersten Überdeckelungen. 1850 lebten 50 000 Menschen in Stuttgart - ohne Kläranlage. Gerber, Handwerker, Bierbrauer und alle anderen ließen ihre Abfälle, allerlei Unappetitliches, in den dreckigen Fluten verschwinden.

Aus dem Auge, aus dem Sinn? Seit Jahren setzt sich der Verschönerungsverein Stuttgart dafür ein, den Bach freizulegen. Ein durch die Stadt plätscherndes Gewässer sei ein belebendes Element für die Innenstadt. Obendrein gäbe ein wieder aufgetauchter Nesenbach der Stadt ein Stück Identität zurück. Dafür spricht sich auf unserer Facebook-Seite auch Andreas Betsch aus: „Stuttgart hat noch mehr Bäche wie nur den Nesenbach. Diese könnten ins Stadtbild gebracht werden. Würden dem Charme Stuttgarts gut tun. Wie der Vogelsangbach in Feuerbach und die kleinen Bäche aus den Klingen wie Dobelklinge, Bopserklinge könnten diese Gewässer das Stadtbild verschönern, für Abkühlung und bessere Luft sorgen.“

Beim Stichwort Nesenbach denken viele an das Breuninger U. Wer hier vom Mittelbau zum Hochhaus wollte, musste Rolltreppen benutzen. Beim Runter- und Hochfahren konnte man Aquarien bewundern. „Darauf habe ich mich als Kinder immer gefreut“, schreibt Armin. Es stimmt, dass der Nesenbach mitten durch das Kaufhaus führt und man daher einen kleinen Umweg machen muss – aber das Wasser in den Aquarien war viel zu sauber, als dass es von dem Abwasserkanal stammen konnte. Joachim Bleher ist dahintergekommen: „Irgendwann habe ich mich gewundert, warum die Fische nie den Bach runtergeschwommen sind.“