Wo heute der Glaskubus steht, befanden sich in den 70ern eine Betonburg und davor das Kronprinzenpalais. Zum 20. Geburtstag des Kunstmuseums erinnern wir an die wechselvolle Geschichte des Kleinen Schlossplatzes, an Subkultur und viel Streit.
Die Geschichte des Kleinen Schlossplatzes ist eine Geschichte der Emotionen, eine Geschichte des Streits, der Irrtümer, der Hochgefühle. Vor dem Bahnprojekt Stuttgart 21 ist über kein anderes Thema in dieser Stadt so heftig gestritten worden. Es schien, als würden die stadthistorischen Erbanlagen im Herzen der Stadt für ein ewiges Trauma sorgen, als sei die Mitte der Königstraße zum Provisorium verdammt. Hart umkämpft war jeder Schritt von der Ruine des Kronprinzenpalais bis zum rundum verglasten Kunstmuseum, das mit der Ausstellung „Doppelkäseplatte“ (Eintritt frei für die gesamte Ausstellungsdauer) den 20. Geburtstag feiert – zugleich wird die städtische Sammlung 100 Jahre alt.
Im Erdgeschoss bewohnte der Kronprinz sieben Zimmer
Es ist der 2. Dezember 1854. Kronprinz Karl und seine Frau Olga ziehen unter großem Jubel der Bevölkerung in das Stadtpalais ein, das König Wilhelm I. unweit seines Schlosses hat bauen lassen. Der württembergische Thronfolger und die russische Großfürstin haben zuvor unter anderem in der Villa Berg gewohnt. Ihr Palais am Schlossplatz, der zu dieser Zeit noch keinen Königsbau an seiner Seite kennt, besitzt einen von Säulen umkränzten Eingang. Das Hauptgebäude ist fast 80 Meter breit.
Im Erdgeschoss residiert der spätere König in sieben Zimmern. Die Kronprinzessin wohnt im Stock darüber, in dem sich ein Speise- und ein Tanzsaal befinden. Die 20 Zimmer im dritten Stock sind für Hofdamen und Gesinde bestimmt. Auf der Rückseite zur Fürstenstraße hin liegen die Stallungen für die Pferde des Hofes.
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Monarchie muss die Königsfamilie aus dem Palais ausziehen. Von 1919 an nutzt die Stuttgarter Handelshof AG einen großen Teil des Gebäudes für Ausstellungen. Auch Werke der Staatsgalerie kommen hier unter. Die Bomben der Alliierten zerstören das ehemalige Domizil des Kronprinzen zwar, doch man hätte es sanieren und aufbauen können. Der damalige Zeitgeist verlangt indes nach einer „autogerechten Stadt“. OB Arnulf Klett will eine Ost-West-Verbindung in der City schaffen. Heftig wird gestritten – und die Entscheidung hinausgezögert. Erst 1963 wird das Kronprinzenpalais für den Planie-Durchbruch abgerissen – und der Stadt eine tiefe Wunde zugefügt, von der sie sich über Jahrzehnte nicht erholt.
Der Zeitgeist verlangt die „autogerechte Stadt“
Über den Verkehrsknotenpunkt stülpen die Architekten einen Deckel, den sie „Stadtbalkon“ nennen. Als bei der Eröffnungszeremonie des neu gestalteten Kleinen Schlossplatzes im Winter 1968 die etwa 100 Millionen D-Mark teure und fast 6000 Quadratmeter große Betonburg von den Stadthonoratioren gefeiert wird, jubelt die „FAZ“ : „Alles, was in und um Stuttgart als jung, frisch, flott gelten will, lässt sich hier sehen.“
Verkauft werden hier Poster, Schallplatten, Halsketten, Lederröcke, Konzertkarten im Kartenhäusle und vieles mehr. Die Anfangseuphorie hält nicht lange. Die „Mini-City der Trends“ gerät zum Pflegefall. Der Platz steht für Drogen, Schmutz, Tristesse. Zum sozialen Brennpunkt ist ein Quartier geworden, das der Bahnhofserbauer Paul Bonatz mit dem Palais zum „edelsten Bezirk der Stadt“ erklärte hatte. Lampen werden zerstört – keiner erneuert sie. Von so viel Hässlichkeit scheinen selbst Efeu und wilder Wein zurückzuschrecken. Alle Versuche, den Beton zu beranken, scheitern kläglich.
Das Mövenpick auf dem Kleinen Schlossplatz sorgt für Genüsse, an die sich viele Stuttgarterinnen und Stuttgarter bis heute gern erinnern. Der Freundschaftsbecher im „Möpi“ ist unvergessen. Eine neue Situation entsteht, als die Königstraße im Jahr 1977 zur Fußgängerzone wird. Die Fahrspuren mit ihren beiden schwarzen Eingangslöchern bleiben unter dem Betondeckel verwaist, der damit seinen Sinn verliert. Denn der Verkehr ist um einen Stock tiefer gelegt.
Zur Leichtathletik-WM 1993 kommt dem Architekten Walter Belz die Idee, eine 30 Meter breite Freitreppe von der Königstraße hoch zum Kleinen Schlossplatz zu bauen. Dies wird zum Glücksfall für die Stadt. Obendrein findet die Subkultur eine Nische. Wo gekündigte Läden leer standen, wo viele einen „Schandfleck“ sehen, setzt der drohende Abriss Kreativität und Fantasie frei.
Den größten Erfolg hat die 1996 eröffnete Bar Paul’s Boutique, die sich im ehemaligen Kartenhäusle niederlässt und dem Caipirinha nach den Anfängen im alten Zapata zum Siegeszug verhilft. Doch 2002 ist Schluss damit. Der Abriss beginnt für das lang ersehnte Kunstmuseum, das dem Kleinen Schlossplatz nach der wechselvollen Geschichte ein Happy End beschert.
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