Sie haben die Idee mit „Mood Brew“: Alicia Jäger, Paul Rometsch, Ben Hoppe, Yannick Mieck und Tomas Schneider (v. links). Foto: Lichtgut/Julian Rettig

In Stuttgart gründen Schülerinnen und Schüler binnen Stunden in einem Workshop ein Unternehmen. Möglich macht es die Start-up-Förderung des Landes. Was steckt dahinter?

Das Getränk für die passende Stimmung: „Mood Brew“ haben es die jungen Stuttgarter Erfinder genannt. Eine Variante ist anregend, aber alkohol- und koffeinfrei. Andere gibt es für ruhige oder glückliche Stunden. Sie alle sind mit natürlichen Pflanzensorten versetzt für 1,50 bis 2,30 Euro in der recycelbaren Aludose zu kaufen. „100 Prozent Gefühl, null Prozent Alkohol, null Prozent künstlicher Zucker“, wirbt das Team.

 

So könnte es einmal sein. Wahrscheinlich aber nicht – denn die Geschäftsidee wurde binnen weniger Stunden geboren und als Übung in der beruflichen Schule ProGenius in nur drei Minuten präsentiert. „Pitch“ heißt das neudeutsch und ist fester Bestandteil von Start-up-Präsentationen, bei denen am Ende Investoren zu Existenzgründern finden. Dass aus Schülerinnen und Schülern einmal Gründer werden, will das baden-württembergische Wirtschaftsministerium mit der Kampagne „Start-up BW Young Talents“ erreichen.

80 Schulen haben dieses Jahr an den Workshops teilgenommen

Dieses Jahr haben bereits 80 Schulen an den Workshops teilgenommen. An diesem Vormittag sind sechs kleine Teams der Klassen 12 und 13 im Stuttgarter Stadtteil Feuerbach dabei, um bis zum Nachmittag neue Geschäftsideen zu finden. Zwei Workshop-Leiter hat das Land dafür engagiert – einer davon der Stuttgarter Max Hartmann, der Existenzgründer in der Produktentwicklung berät.

„Die Idee ist, mit einem leeren Blatt in den Workshop zu gehen und mit einem möglichen Produkt wieder heraus“, sagt der 32-Jährige. Es sei ein Crashkurs von fünf Stunden: Warum Innovationen wichtig sind. Wie man im Team zusammenarbeitet. Brainstorming- und Kreativmethoden, um zu eigenen Ideen zu finden. Es geht um die Geschäftsidee und um den Kundennutzen. Um Alleinstellungsmerkmale und Konkurrenzbeobachtung, um Werbung, Vertrieb und natürlich um Einnahmen.

Es sind erstaunliche Ideen, die später vorgestellt werden – denn die Präsentationen sind Teil des Workshops: Eine Reise-App, über die sich vor Ort Aktivitäten buchen lassen, die in keinem Reiseführer stehen. Ein Restaurantführer, der Hindernisse für behinderte Menschen berücksichtigt. Ein Produktefinder für Supermärkte. Immer sind es kostenlose Apps, die in den sozialen Netzwerken bekannt gemacht und Teil von Communitys werden und wo die Anbieter Provisionen zahlen.

Max Hartmann (links) und Patrick Nagel leiteten den Workshop. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Wie fundiert die Ideen sind, will eine dreiköpfige Jury im Anschluss jeder Präsentation wissen und hat ihrerseits drei Minuten Zeit für Nachfragen. „Wenn ich am Tag unterschiedliche Stimmungen und Bedürfnisse habe, kann ich die Getränke auch mischen?“, wird etwa das „Mood Brew“-Team gefragt. „Theoretisch ja, aber lieber separat, um das einzelne Bedürfnis am besten zu befriedigen“, kommt es zurück. Und die Zielgruppe? „Vor allem unsere Generation, aber auch alle gesundheitsbewussten Menschen.“

„Mein Onkel arbeitet in der Getränkebranche“, sagt Tomas Schneider vom „Mood Brew“-Team etwas später im Gespräch mit dem Reporter. So habe er für die Geschäftsidee bereits einige Erfahrungen gesammelt. Eigentlich wollte das Team einen Promilletester für Autofahrer entwickeln, bei dem sich das Auto erst nach dem Test entsperren lässt. „Zu unrealistisch“ sei das gewesen, sagt Alicia Jäger.

Nüchtern bewertet das fünfköpfige Team auch, ob man sich nach dem Abitur selbst als Existenzgründer sieht. Jäger will lieber Architektur studieren, ein anderer Medizin. Einig ist man sich, dass es „ein guter Einblick war, wie ein Start-up funktioniert“.

Dann folgt das Finale mit dem Jury-Feedback. Für „Mood Brew“ gibt es lobende Worte: die Präsentation durchdacht, die Rückfragen souverän beantwortet. „Insgesamt war das ein Produkt, das keine Innovation ist, aber aus dem man viel herausholen kann.“ Dafür erhält „Mood Brew“, den zweiten Preis. Der erste geht an das Team mit der Reise-App.

Das darf sich mit seiner Geschäftsidee in einem Landesfinale beweisen. Im vergangenen Endausscheid standen etwa eine App für die virtuelle Anprobe von Kleidungsstücken, ein Ausleihautomat für Sportausrüstung und mit Wasser gefüllte orthopädische Schuhsohlen zur Abstimmung.

Die Jury: Jennifer Sperrle, Annemone Weller und Schulleiter Ralph Kammermeyer (von links). Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Jurymitglied und Schulleiter Ralph Kammermeyer ist dann nicht mehr dabei – für diesen Nachmittag hat er selbst genügend neue Erfahrungen gemacht. „Für mich war das eine wahnsinnige Konzentrationsleistung in kurzer Zeit. Ich war überrascht, was in jeweils drei Minuten alles möglich ist.“ Auch deshalb ist er von dem Format überzeugt: „An einem Tag Praxis lernen die Schülerinnen und Schüler mehr als in sechs Wochen Theorie-Unterricht.“

Landesprojekt für mehr Unternehmertum

Projekt
„Start-up BW Young Talents“ wird als Teil der Landeskampagne Start-up BW vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus gefördert. Ziel sei, „bereits Jugendliche für die Themen Innovation, Start-up und unternehmerisches Handeln sowie für Unternehmensnachfolge zu sensibilisieren“, heißt es.

Resonanz
Workshops finden landesweit statt. Von 2017 bis 2025 wurden rund 400 Workshops mit 12.500 Schülerinnen und Schülern der Klassen 9 bis 13 veranstaltet, in diesem Jahr fanden bereits 80 Workshops statt. Die Nachfrage ging über die Zahl möglicher Workshops hinaus.