Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hofft auf Unterstützung durch die Pflegekommission. Foto: IMAGO/Jürgen Heinrich

Die Pflegeversicherung steht auf finanziell schwankendem Boden. Ein Wegfall der Pflegestufe 1 brächte jedes Jahr 1,8 Milliarden Euro.

Die Bundesregierung prüft offenbar die Abschaffung der ersten Pflegestufe in der Pflegeversicherung. Das hat zu Wochenbeginn eine heftige Debatte ausgelöst.

 

Der Vorgang ist einerseits erstaunlich, weil in den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD die Unionsseite genau diesen Vorschlag schon einmal auf den Tisch gelegt hatte. Er wurde aber von den Sozialdemokraten entschieden abgelehnt und fand keinen Niederschlag im Vertragstext.

Andererseits ist der finanzielle Druck auf die Pflegeversicherung sehr groß. Laut Prognosen fehlen der Pflegeversicherung für 2026 rund zwei Milliarden Euro. Die Lage wird auch dadurch verschärft, dass der Bund noch immer nicht die Mittel voll zurückgezahlt hat, die aus der Pflegekasse für Pandemie-Kosten entnommen wurden. Die Kassen rechnen vor, dass noch Rückzahlungen von rund sechs Milliarden Euro ausstehen.

860 000 Menschen sind in der ersten Pflegestufe

Angesichts dieser Ausgangslage gerät die Pflegestufe 1 zwangsläufig in den Blick. Sie wurde erst 2017 eingeführt. Hier werden keine ambulanten Sachleistungen durch Pflegedienste oder Pflegegeld gewährt, aber Zuschüsse für den barrierefreien Umbau des Zuhauses und ein monatliches Entlastungsgeld von 131 Euro bei häuslicher Pflege. 2024 waren rund 860 000 Menschen in der ersten Pflegestufe. Würde sie künftig entfallen, führte das zu Einsparungen von rund 1,8 Milliarden Euro im Jahr.

Die Reaktionen auf die Erwägungen der Bundesregierung sind eindeutig aufgeteilt: Opposition und SPD sind empört. Die Union wiegelt ab. „So rettet man nicht den Bundeshaushalt – aber man zerstört Vertrauen“, sagt Simone Fischer, die pflegepolitische Sprecherin der Grünen. Evelyn Schötz, ihre Kollegin von der Linkspartei, nennt die Pläne „grausam für die Betroffenen“, zudem seien die erhofften Einsparungen „eine Fehlkalkulation“, schließlich dienten die Leistungen in der Stufe 1 der Prävention.

Michaela Engelmeier von Sozialverband Deutschland warnt vor einem „fatalen Zeichen“. Foto: SoVD

So sieht das auch der Sozialverband Deutschland (SoVD). Deren Vorsitzende Michaela Engelmeier sagte unserer Zeitung: „86 Prozent aller Pflegebedürftigen werden zu Hause von Angehörigen betreut, viele sind schon jetzt an der Belastungsgrenze und Hilfs- oder Unterstützungsangebote oft Mangelware.“ Hier den Rotstift anzusetzen sei „ein fatales Zeichen“.

Der Widerstand der Opposition ist nicht so verwunderlich. Aber auch der Koalitionspartner SPD ist ausgesprochen sauer. Die Koalition habe „die Pflicht, Orientierung zu geben, statt mit immer neuen Kürzungsdebatten Verunsicherung zu schüren“, sagt SPD-Gesundheitspolitiker Christos Pantazis. Er verwahre sich „entschieden gegen Leistungskürzungen in der Pflegeversicherung“.

Die Union versucht zu beruhigen

Ist das Thema damit vom Tisch? Eher nicht. Im Koalitionsvertrag stehen nämlich konkrete Prüfaufträge für die Reformkommission Pflege, die noch im Oktober erste Vorschläge vorlegen soll. Einer davon betrifft die Einführung von „Nachhaltigkeitsfaktoren“. In Klammer steht dann etwas verschämt: „wie beispielsweise die Einführung einer Karenzzeit“. Das heißt, dass zum Beispiel die Zahlung von Zuschüssen gemäß des Pflegegrades 1 erst ein Jahr nach der Zuweisung der Pflegestufe erfolgen könnte.

Auffallend ist, dass die Union einhellig mit dem Verweis auf die Kommission reagiert. Bis dahin gebe es „keinen Grund zur Panik“, sagt Simone Borchardt, die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion. Es gehe „nicht darum, Menschen die benötigte Hilfe zu entziehen, sondern darum, die Pflegegrade sinnvoll zu strukturieren und gerecht zu gestalten“. Es gelte nun „erstmal die Ergebnisse der Pflegekommission abzuwarten und daraus fundierte Schlüsse zu ziehen“.