Sandra Detzer und Edzard Reuter im Gespräch mit Georg Blume (rechts) Foto: Ralf Poller/Avant

Ex-Daimlerboss Edzard Reuter und die Grünen-Bundespolitikerin Sandra Detzer sprechen über den Ukraine-Krieg und die Klimakrise. Dabei prallen nicht nur die Generationen aufeinander.

Verdrehte Welt! Manches ist in der Tat ein bisschen ver-rückt an diesem Montagabend in der Stiftskirche zu Ludwigsburg. Auf dem Podium sitzt der ehemalige Chef von Daimler-Benz, Edzard Reuter. Er ist sagenhafte 94 Jahre alt und seit 1946 SPD-Parteimitglied. Neben Reuter: die vor einem Jahr gewählte Ludwigsburger Grünen-Bundestagsabgeordnete Sandra Detzer, 42.

Für Reuter ist der Einsatz für den Klimaschutz zu gering

Reuter, der einst so mächtige Mann aus der bundesdeutschen Automobilindustrie, erklärt, es müsse viel mehr getan werden – mehr, um den Klimawandel zu stoppen. Und mehr für die Einigung Europas.

Und was sagt die Politikerin, eine Vertreterin der Enkelgeneration des rüstigen, alten Mannes? Von der Partei, die Frieden und alternative Energiepolitik als erfolgreiche Gründungsimpulse bediente? Sandra Detzer erklärt, dass alles leider, leider mehr Zeit brauche. Womöglich zu viel Zeit? Die Ampel-Regierung aus SPD, FDP und Grünen sei mit großen Zielen angetreten, habe sich aber nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine neu orientieren und zusammenraufen müssen. Und womöglich Zeit verloren? Sie stimmt Reuter zu, der eben erklärt hat, mehr „Führung“ sei nötig. Detzer spricht aber lieber von „Leadership“, klingt besser als Führung. Es sei allerdings immer auch erforderlich, genügend Menschen zu überzeugen und mitzunehmen. Das sei nun mal Demokratie, sagt sie. Wenn jemand eine Formel finden sollte, die Führung durch schwierige Zeiten und zugleich hohe Zustimmungswerte garantiere, so jemandem würde sie den Nobelpreis gönnen. Sagt die Politikerin und lacht – wissend, dass es so eine Zauberformel wohl nicht gibt.

„Sandra, hast du geschlafen?“

Durch das Gespräch führt der Journalist Georg Blume, der für Detzer in Berlin arbeitet. Er liest aus Reuters Buch „Der Preis der Freiheit. Was Europa nun tun muss. Ein Weckruf.“ Der Autor kritisiert darin, dass zu viele Menschen in Deutschland zu sehr an sich selbst dächten, er spricht von „Ichlingen“. Und er sagt mit Blick in Richtung Zukunft, ein ständiges Mehr und Mehr, also permanentes Wachstum – der Wirtschaft und der Zahl der Erdbevölkerung zum Beispiel – sei tödlich für den Planeten. Der Vorwurf an die Politiker: sie hätten geschlafen. Blume fragt Detzer: „Sandra, hast du geschlafen?“ Die Probleme – etwas der Klimawandel – seien zu lange zur Seite geschoben werden, antwortet die Abgeordnete.

Schuld allerdings, sagt sie, seien eher die Babyboomer, also die Männer und Frauen, die zwischen 1946 und 1964 zur Welt kamen. Große Teile der später Geborenen, Menschen wie sie selbst, so Detzer, hätten die Zeichen der Zeit erkannt. Sie verweist unter anderem auf Fridays for Future.

Reuter sagt, ihn habe die Zeit unmittelbar nach den Zweiten Weltkrieg fürs Leben geprägt. Er sei damals mit seinen Eltern zurück aus der Türkei gekommen, wohin die Familie während des Nationalsozialismus geflohen war. Damals hätten alle gewusst: Nur gemeinsam sei es möglich, den Wiederaufbau zu meistern ebenso wie die Integration der vielen Flüchtlinge, die zunächst niemand habe aufnehmen wollte. Ob die aktuellen Bilder aus der Ukraine und die Flüchtlinge, die vor dem Krieg fliehen und nach Deutschland kommen, die Menschen ähnlich prägten, wie den jungen Edzard Reuter? Diese Frage Blumes beantwortet Sandra Detzer so: Vermutlich nicht in derselben Intensität. Sie sei allerdings zuversichtlich, dass der Krieg dazu führe, dass das „Friedens- und Wohlstandsversprechen in Europa“ vorankomme. Reuter erklärt dazu: Er hoffe, dass Sandra Detzer Recht habe.

Vorsichtig optimistische Worte des weisen, alten Mannes.