Karin Radström ist die erste Chefin der Lkw-Marke Mercedes. Daimler hat die Schwedin vom Wettbewerber Scania abgeworben.
Stuttgart - Der Chefsessel bei der Lastwagenmarke Mercedes-Benz war bisher stets Männern vorbehalten. Karin Radström ist die erste Frau am Steuer dieses traditionsreichen Herstellers. Doch nicht nur dies ist ungewöhnlich. Die Spitzenmanagerin dieser urdeutschen Marke mit dem Stern kommt aus Schweden – wie Daimler-Chef Ola Källenius –, und sie hat auch nicht wie viele andere Topleute eine Kaminkarriere beim Stuttgarter Konzern gemacht, sondern wurde vom Konkurrenten Scania abgeworben.
Seit dem 1. Februar ist die Schwedin die erste Frau im Vorstand von Daimler Truck, wo sie für Mercedes-Benz Lkw sowie die Regionen Europa und Lateinamerika verantwortlich ist. Dies sind die wichtigsten Absatzregionen. Insgesamt wurden 2020 weltweit rund 100 000 Mercedes-Lastwagen verkauft. Rund 30 000 Mitarbeiter arbeiten in dem Bereich.
Warum verlässt eine Managerin, die Stufe um Stufe bei Scania aufgestiegen ist, das zum VW-Konzern gehörende Unternehmen, das als Perle der Branche gilt? „Es ist nicht so, dass ich aktiv einen neuen Job gesucht hätte“, stellt Radström im Videointerview klar. „Mir wurde eine neue Position angeboten, die mich gereizt hat. Mercedes-Benz war schon immer ein Wettbewerber, den ich bewundert habe. Die Marke ist eine Ikone. Die Produkte sind stark und werden von den Kunden geschätzt“, erläutert die 42-Jährige.
Daimler-Chef Källenius und Truck-Chef Daum warben für den Wechsel nach Stuttgart
Daimler-Chef Källenius und Truck-Chef Martin Daum warben für den Wechsel, sprachen über die Herausforderungen und ihre Erwartungen. „Ich mag Herausforderungen“, sagt Radström und zählt dazu auch ihren jetzt größeren Aufgabenbereich. „In meiner neuen Position bin ich nicht nur für den Vertrieb, sondern für das gesamte Geschäft mit Mercedes-Lastwagen verantwortlich.“ Die Entscheidung zum Wechsel sei auch dadurch erleichtert worden, dass ihr Mann und die beiden Söhne sehr aufgeschlossen für einen Umzug nach Stuttgart gewesen seien.
Bei Scania stieg die Wirtschaftsingenieurin mit einem Masterabschluss der Stockholmer Königlichen Hochschule für Technologie 2004 als Marketing-Trainee ein. Nach Stationen im Vertrieb arbeitete sie von 2009 bis 2011 Teilzeit als Produktplanerin und war zugleich Profi-Sportlerin im schwedischen Nationalteam der Ruderer.
Später lag ein Schwerpunkt der Arbeit bei der digitalen Vernetzung von Fahrzeugen. Darauf folgten ein Jahr bei Scania East Africa in Kenia, die Leitung der Bussparte sowie im März 2019 schließlich der Aufstieg zur Vertriebschefin des Unternehmens.
Die Lkw-Hersteller gehen unterschiedliche Wege bei den alternativen Antrieben
Die nächsten Jahre werden gewiss nicht einfach. Denn die EU-Kommission hat den Lastwagenbauern zur Bekämpfung des Klimawandels sehr scharfe Ziele für die Senkung des CO2-Ausstoßes gesteckt. Mehr als ein Jahrhundert wurden fast nur Dieselmotoren eingebaut. Nun werden in der Branche im Eiltempo mit hohen Investitionen Trucks mit alternativen Antrieben entwickelt.
Die Lastwagenhersteller gehen dabei jedoch unterschiedliche Wege. Daimler setzt auf Batterie und Brennstoffzelle, Scania testet dagegen neben Batterielastern auch Trucks, die den Strom aus Oberleitungen zapfen, und hält nicht viel von Brennstoffzellen.
„Es ist gut, dass in unserer Industrie unterschiedliche technische Lösungen geprüft werden“, urteilt Radström. Niemand könne vorhersagen, wie sich der Markt für alternative Antriebe entwickeln werde. Zu viele Fragen seien offen, wie etwa das Tempo des Ausbaus der E-Ladenetze und Wasserstoff-Tankstellen. Daimler sei mit Batterie- und Brennstoffzellen-Trucks gut aufgestellt.
Mit einem Sparprogramm sollen die Kosten gesenkt werden
Weil alternative Antriebe einen hohen Entwicklungsaufwand erfordern und die Produktion teuer ist, wächst der Druck zur Kostensenkung. Vor einiger Zeit wurde ein Sparprogramm gestartet. „Ich rechne damit, dass wir mit dem laufenden Sparprogramm unsere Ziele erreichen“, sagt Radström. Sie habe aber den Ehrgeiz, „dass wir nicht immer neue Sparprogramme auflegen müssen, um die Kosten zu senken“. Das setze voraus, „dass wir die Kosten ständig im Blick behalten. Das muss Teil unserer DNA werden.“ Denn die Höhe der Kosten sei entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit. „Wir müssen unseren Kunden das beste Paket aus Anschaffungs- und Betriebskosten bieten können.“
Die Kosten spielen auch eine Rolle in Verhandlungen des Managements mit dem Betriebsrat darüber, wo die Lastwagen mit alternativen Antrieben sowie die Batterien und die Brennstoffzellen produziert werden. Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht verlangt Zusagen für die Produktion von Zukunftstechnik im Montagewerk im rheinland-pfälzischen Wörth und in den Komponentenwerken Mannheim, Gaggenau und Kassel. „Die Gespräche laufen sehr gut. Wir haben aber noch kein Ergebnis“, bittet die Truck-Chefin von Mercedes noch um Geduld.