Ela Er und Matthewos Mebrahtu haben als Jugendräte einiges in ihrer Stadt Stuttgart bewegt. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Im Januar 2025 sind Jugendratswahlen in Stuttgart. Zwei Nachwuchspolitiker erzählen von vielen Erfahrungen, einigen Misserfolgen und warum es sich lohnt, sich zu engagieren.

Mehrere Jahre lang haben sich Ela Er und Matthewos Mebrahtu für die Belange junger Menschen in Stuttgart eingesetzt. Zusammen mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern haben sie viele Projekte angestoßen, Anträge geschrieben – und manchmal vergebens auf Antwort gewartet. Im Interview sprechen sie über ihre ersten Schritte in der Kommunalpolitik und darüber, was sich ändern muss, damit sich mehr Jugendliche einbringen.

 

Hallo Ela, hallo Matthewos. Warum engagiert ihr euch im Jugendrat?

Ela Er : Ich hatte nicht die Absicht, eine Revolution zu starten. Eine Freundin hat mich zur Kandidatur animiert. Sie wusste, dass ich politisch sehr interessiert bin. Es war ein großer Schritt für mich. Doch ich habe eine starke politische Meinung und will die auch zum Ausdruck bringen.

Matthewos Mebrahtu: Ich habe mich 2019 für die Fridays-for-Future-Bewegung interessiert. Vor diesem Hintergrund habe ich mich für den Jugendrat aufstellen lassen. Ich wollte mich engagieren und fand es cool, tatsächlich etwas für meinen Stadtteil bewirken zu können.

Ela Er will nach ihrem Studium beruflich auf alle Fälle in die Politik gehen. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Welche Projekte konntet ihr als Mitglieder des Jugendrats verwirklichen?

Ela Er: Es gibt nicht „mein Projekt“, wir engagieren uns immer als ganzer Jugendgemeinderat und arbeiten gemeinsam an Anträgen. Sehr viele dieser Anträge werden nicht beantwortet . . .

Matthewos Mebrahtu: Und selbst wenn wir eine Antwort von der Stadt bekommen, dauert das oft Monate. Und dann heißt es, der Antrag würde so nicht funktionieren, dann müssen wir alles noch einmal umstellen. Wir wollten zum Beispiel einen kostenlosen ÖPNV für Schülerinnen und Schüler wie in Straßburg. Doch das war in Stuttgart überhaupt nicht mehrheitsfähig. Die Mentalität hier ist eine andere, da muss eine Dienstleistung auch was kosten. Wir sehen das anders, für uns ist es wichtig, das Mobilität für Jugendliche in Stuttgart kostenlos ist.

Ela Er: Es gab sehr viele Sachen, die nicht durchgegangen sind und wo wir nicht nachvollziehen konnten, warum. Auch der Antrag für kostenlose Menstruationsartikel an Schulen wurde zuerst abgelehnt. Dann wurde aber zumindest das Schulbudget erhöht, und die Schulen sollten das für die Menstruationsartikel nutzen. Auch bei anderen Themen mussten wir uns mit weniger zufriedengeben, weil wir sonst gar nichts bekommen hätten.

Das bedeutet, die Umsetzung eurer Vorschläge darf nicht viel kosten?

Ela Er: Zum einen das, und es darf nicht viel Aufwand machen.

Fühlt ihr euch unter diesen Umständen überhaupt ernst genommen?

Matthewos Mebrahtu: Ernst genommen werden wir schon, wir reden über mögliche Lösungen. Aber am Ende wird oft nichts draus. Politikerinnen und Politiker sagen ja gerne: „Ich nehm das mal mit.“ Diese Floskel hören wir oft. Ergebnisse sehen wir aber immer erst recht spät.

Ela Er: Wenn wir überhaupt Ergebnisse sehen. Aber prinzipiell fühlen wir uns schon ernst genommen. Wir konnten auch unsere Rechte erweitern und haben nun ein Rederecht im Gemeinderat zu jugendrelevanten Themen. Aber über die Frage, was jugendrelevant ist, entscheiden auch wieder andere, also ältere Personen. Ich finde es schwierig, dass wir nicht einfach bei allen Themen mitreden können, die uns interessieren. Beim Thema Klima dürfen wir rechtlich gesehen nicht mitreden, weil es nicht jugendrelevant ist. Aber der Stuttgarter Gemeinderat hat dafür gesorgt, dass wir in Stuttgart mitreden dürfen. Einer unserer Vertreter hat in diesem Jahr dann auch die Möglichkeit bekommen, eine Rede zum Thema Klimawandel im Gemeinderat zu halten. Es kommt natürlich auch immer auf die Personen an, ob wir ernst genommen werden. Manche Politikerinnen und Politiker interessieren sich mehr für uns als andere.

Dass ihr euch mehr Rechte erkämpft habt, war ein großer Erfolg. Welche Meilensteine gab es noch?

Matthewos Mebrahtu: Wir haben viel mehr Menschen auf den Jugendrat aufmerksam gemacht und haben dieses Jahr einen Rekord an Bewerbungen für das neue Gremium. Wir haben viele Events organisiert, zum Btaeispiel eine Veransltung mit Künstlern auf dem Kleinen Schlossplatz. Dank solcher Veranstaltungen wissen jetzt mehr Menschen darüber Bescheid, was der Jugendrat eigentlich macht.

Ela Er: Ein weiterer Erfolg sind die Smart Benches. In fast jedem Stadtteil gibt es diese Bänke, wo man kostenlos sein Handy aufladen und WLAN nutzen kann. Jeder junge Mensch kennt sie, aber nicht alle wissen, dass der Jugendrat dahintersteht. Wir haben auch Calisthenics-Anlagen und in Stammheim ein Beachvolleyballfeld initiiert.

Ihr beide seid zu alt für den neuen Jugendrat. Was wollt ihr dem neuen Gremium mit auf den Weg geben, wo sollen eure Nachfolger und Nachfolgerinnen weitermachen?

Ela Er: Wir arbeiten gerade an einem Antrag, um Schülerinnen und Schüler, Studierende und Auszubildende von den Gebühren für die Nutzung der Stadtbibliothek zu befreien. Bisher müssen sie zahlen, wenn sie 18 sind. Ich wünsche mir vom nächsten Jugendrat, dass sie da mit anpacken. Und ich wünsche mir, dass sie sehr viel Durchhaltevermögen zeigen und hartnäckig bleiben, wenn Anträge nicht beantwortet werden. Je mehr Stress man macht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man zum Ziel kommt.

Matthewos Mebrahtu: Und mehr coole Events organisieren. Ich habe da viele positive Rückmeldungen bekommen, dass es mehr von solchen niederschwelligen Angeboten braucht.

Matthewos Mebrahtu kann sich vorstellen, später auch mal für den Bundestag zu kandidieren. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Welchen Nutzen zieht ihr aus eurer Arbeit im Jugendrat?

Matthewos Mebrahtu: Ich habe sehr viele Leute kennengelernt. Ich habe gelernt, geduldig zu sein, und weiß, dass ich was verändern kann. Der Jugendgemeinderat ist ein Ansporn, mich weiter politisch zu engagieren. Ich möchte mich in einer Jugendorganisation engagieren. Kommunalpolitik ist cool. Es reizt mich aber auch, mal in den Bundestag zu gehen.

Ela Er: Ich habe viele Politikerinnen und Politiker und jede Art von Institutionen kennengelernt. Ich wurde in den Gleichstellungsbeirat berufen, weil man auf mich aufmerksam wurde. Meine Amtszeit dauert bis 2029, ich denke, dadurch werden sich auch noch einige Türen öffnen. Ich würde auch gerne in den Gemeinderat, obwohl ich glaube, dass ich nicht dafür gemacht bin, politische Diskussionen zu führen, zumindest nicht mein ganzes Leben lang. Darum möchte ich lieber in die Verwaltung und im Hintergrund organisieren. Aber auf alle Fälle will ich beruflich in die Politik gehen.

Zur Person

Ela Er
Die 19-Jährige hat im Juli 2024 ihr Deutsch-Französisches Abitur am Wagenburg-Gymnasium gemacht. In den kommenden Monaten reist sie nach Kuba und Australien, anschließend will sie ein Praktikum beim Institut für Auslandsbeziehungen absolvieren und bei der Agentur für Arbeit jobben, bevor sie ihr Studium in Verwaltung und Politikmanagement an der Uni Konstanz beginnt. Als Jugendrätin vertritt sie seit zwei Jahren den Stadtbezirk Zuffenhausen.

Matthewos Mebrahtu
Der 20-Jährige hat im Juli 2024 am Wirtschaftsgymnasium West sein Abitur gemacht und studiert nun an der Universität Hohenheim Sustainability und Change. Als Jugendrat vertritt er seit fast fünf Jahren den Stadtbezirk Stuttgart-Nord.

Wahltermin
Die Jugendratswahlen finden vom 13. Januar bis 31. Januar 2025 statt. Alle Wahlberechtigten bekommen ihre Wahlunterlagen per Post geschickt. Gewählt werden kann an den Schulen, in den Jugendhäusern sowie per Briefwahl.