Foto: dpa

Der britische Rockstar Joe Cocker ist im Alter von 70 Jahren in den USA gestorben. Der Sänger hat den Kampf gegen seine Krankheit verloren.

Crawford/Stuttgart - Er krümmt sich, er quält sich. Der Mann mit den wirren Locken und den unanständig dichten, buschigen Koteletten windet sich auf der Bühne, scheint mit seinen fuchtelnden Armen, seinen zuckenden Fingern alle Instrumente gleichzeitig spielen zu wollen: die kreischende Gitarre, die wummernde Orgel, den polternden Bass – all die Instrumente, die dann fast verstummen, als dieser Mann ans Mikro geht und zu singen beginnt, jeden Ton aus sich herauszupressen scheint und schließlich im ekstatischen Finale des Songs „With A Little Help From My Friends“ einen Schrei ausstößt, den man sein Leben lang nicht mehr vergessen wird.

Es sind Momente wie dieser am 17. August 1969 beim Woodstock-Festival, die für das stehen, was Rockmusik so außergewöhnlich macht. Dieser Moment wird bleiben. Auch wenn dieser unglaubliche Sänger tot ist. Am Montag ist Joe Cocker im Alter von 70 Jahren einem Krebsleiden erlegen.

Bei den zahlreichen Konzerten, die der Mann, der 1944 im britischen Sheffield zur Welt kam, in den vergangenen Jahren in Stuttgart gab, durfte man sich nie vom ersten Eindruck täuschen lassen: nicht vom dunkel-eleganten Maßanzug, in dem er inzwischen am liebsten auf die Bühne kam, nicht von den filigranen Arrangements, in die er Hits wie „Up Where We Belong“ oder „You Can Leave Your Hat On“ verpackte, nicht von der Hochglanz-Optik des Bühnenbilds und nicht von den Videoschnipseln, die den Sänger auch mal beim Flirt mit Catherine Deneuve zeigten. Wenn Joe Cocker sang, blieb nichts übrig von Süffisanz und süßer Leichtigkeit. Schmerz, Tränen und Leidenschaft lauerten überall in den Liedern.

Joe Cocker war als Sänger ein Schwerarbeiter. Jeden Ton schien er gegen den Widerstand seines Körper herauspressen zu müssen, der sich zappelnd zur Wehr setzt. Etwa in „I Put A Spell On You“, diesem Song über einen Mann, der so viel Angst davor hat, von seiner Geliebten verlassen zu werden, dass er sie mit einem Fluch belegt: Joe Cockers Stimme ist da pure Verzweiflung. Der betuliche Schlagzeugrhythmus versucht ihn zu bremsen, die Synthie-Streicher wollen ihn besänftigen, ein Gitarrensolo möchte alles schönreden. Alles vergebens: Die gequälte Seele schreit auf.

Solche Gänsehautmomente sind es, die den Klempner aus Sheffield zur Legende gemacht haben. Und solche Momente sorgten auch dafür, dass Joe Cocker bis zuletzt immer die ganz großen Hallen füllte. Noch im Mai 2013 begeisterte er 10 500 Zuhörer mit einer soulig-bluesigen Show in der Stuttgarter Schleyerhalle.

Cocker fand in seinen Liedern emotionale Abgründe

Denn so ungelenk sich Cocker auf der Bühne bewegte, so geschickt war er stets bei der Auswahl seines Repertoires. Wenn der wohl beste weiße Bluessänger Marvin Gayes „What’s Going On“, „The Letter“ von den Box Tops oder Ray Charles’ „You Are So Beautiful“ sang, bescherte er seinen Zuhörern stets ein Wechselbad der Gefühle. Und Joe Cocker fand in den Liedern, die er für seine Platten und seine Shows auswählte, immer wieder emotionale Abgründe, die man dort nie vermutet hätte. Die im Original so zart-leichtgewichtige Beatles-Nummer „With A Little Help From My Friends“ ist da nur ein Beispiel von vielen.

Nicht nur seine Lieder, auch sein Leben war voller solcher Abgründe. Eigentlich sprach Joe Cocker nicht gerne über die Schatten seiner Vergangenheit. Über seine Alkoholabhängigkeit, seine unausstehliche Art als Säufer, über seinen Entzug vor 13 Jahren. Beim Interview, das er unserer Zeitung vor seinem Konzert im Mai 2013 gab, das sein letztes in Stuttgart werden sollte, wurde aber schnell klar, dass das nicht geht. Sein Alkoholismus gehörte zu ihm wie seine zuckenden Handbewegungen auf der Bühne, hinterließ Spuren in der Biografie des 68-Jährigen. „Ich war ganz unten. Als ich trank, durchlebte ich die mieseste Zeit meines Lebens“, erzählte Cocker damals ernst, aber ohne Verbitterung.

Und er verriet, dass er vielleicht schon viel früher mit dem Musikmachen aufgehört hätte, wenn es die deutschen Fans nicht gegeben hätte: „Ein Freund erzählte mir, dass ihr Deutschen mich wirklich liebt. Er sagte das in einer Phase, in der ich einmal mehr all das infrage stellte, was ich tue. Ist es das wirklich alles wert?“ Letztlich waren es die magischen Momente besonderer Konzerte und Aussagen wie die seines Freundes, die ihn weitermachen ließen. „Diese Momente entschädigen für alles. Außerdem wüsste ich nicht, was ich sonst tun würde. Tomaten anbauen wahrscheinlich.“

Dazu sollte es nicht kommen. Am Montag verlor er den Kampf gegen den Lungenkrebs. Seine gewaltige Stimme wird fehlen.