Bezahlbarer Wohnraum ist und bleibt ein schwieriges Thema. Eine Lösung sind Baugenossenschaften. Aber funktioniert das Modell auch noch in Zeiten stark gestiegener Baupreise?
Für die drei Marbacher Brigitte Lehmann, Odette Mann und Erich Wahl war es eine gute Entscheidung. Im Fall von Lehmann und Wahl sogar eine fürs Leben. Die beiden erwarben vor 52 respektive vor 60 Jahren Anteile an der in Kornwestheim angesiedelten, aber im ganzen Landkreis agierenden Bezirksbaugenossenschaft Altwürttemberg. Damit erhielten sie das Recht auf eine günstige und kündigungssichere Wohnung in der Schillerstadt. „Wenn man sich nichts zuschulden kommen lässt, kann man sein Leben lang dort wohnen – ohne Angst vor einer Kündigung wegen Eigenbedarfs“, sagt Brigitte Lehmann.
Eine Eigenbedarfskündigung sei auch oft der Grund, warum Menschen zur Bezirksbaugenossenschaft kämen, hat Eduard Schilling, der kaufmännische Vorstand, festgestellt. „Sie sagen uns dann: So etwas wollen wir nicht noch einmal haben.“
Anteile kosten etwa so viel wie eine Kaution
Die Besonderheit einer Mitgliedschaft: Anteile zu erwerben, ist nur möglich, wenn man auch eine Wohnung mietet. Und zwar nicht über einen Mietvertrag, sondern über einen sogenannten Nutzungsvertrag. Zwei Pflichtanteile müssen dazu erworben werden, die aktuell je 160 Euro kosten, die übrigen Anteile richten sich nach der Größe der Wohnung. „In der Regel ist das etwa so viel wie eine Kaution“, erklärt Melanie Klinger, die unter anderem die Genossenschaftswohnungen in Marbach, Aldingen und Benningen betreut.
Die Durchschnittsmiete aller insgesamt 2281 Wohnungen der Bezirksgenossenschaft liegt aktuell bei knapp acht Euro, bei Neubauten wie in der Haffnerstraße ist sie höher. Aber: „Wir vermieten immer zum Mittelwert des jeweils gültigen Mietspiegels und liegen damit deutlich unter dem Marktpreis“, betont Schilling.
Bauen ist auch für Genossenschaften schwieriger geworden
Aber rechnet sich das noch in einer Zeit, in der private Wohnungsbauunternehmen Insolvenz anmelden müssen und kommunale Wohnungsbaugenossenschaft ihre geplanten Neubauten verschieben, weil der Verkauf von Wohnungen nur schleppend läuft und preiswerter Wohnraum deshalb nicht mehr gegenfinanziert werden kann?
Tatsächlich sei der Neubau wegen gestiegener Zinsen und Baukosten nicht mehr so einfach wie früher, räumt Eduard Schilling ein. Erschwerend hinzu komme eine „volatile Förderpolitik“, die beispielsweise dazu geführt habe, dass man geplante Bauvorhaben in Ludwigsburg verschoben habe. Da die Planungszeit für einen Neubau bis zu zehn Jahre betragen könne, dürfe man sich nicht auf zu Planungsbeginn noch geltende Förderungen verlassen.
Das Ziel bleibt Wohnraum zu sozial verträglichen Preisen
Dennoch baue man auch weiterhin neue Mietwohngebäude, zumal man auch noch Grundstücke habe. „Doch wir werden neu bewerten müssen.“ Eigentlich müsste man bei doppeltem Investment auch die doppelte Miete verlangen, sagt Schilling. „Aber das passt nicht zu unserem Ziel, Wohnungen zu sozial verträglichen Preisen anzubieten.“
Aktuell seien 74 Wohnungen im Bau. Die Genossenschaft profitiere vom hohen Eigenbestand, über den immer wieder Umsatzerlöse hereinkämen. Soweit wirtschaftlich sinnvoll, werden ältere Bauten modernisiert und energetisch saniert.
Auch Ersatzwohnungen können gestellt werden
In der Marbacher Haffnerstraße war das nicht mehr möglich, einige Häuser wurden daher abgerissen. Auf der Straße saßen die Mieterinnen und Mieter aber deshalb nicht. Die Genossenschaft stellte Ersatzwohnungen zur Verfügung. Und zwar, wo immer möglich, in der Nachbarschaft, damit ein Besuch beim vertrauten Arzt ebenso möglich war wie der enge Kontakt zu Freunden und Bekannten vor Ort. Nur wenige mussten interimsweise nach Ludwigsburg umziehen.
Erich Wahl konnte bereits seine neue Wohnung beziehen, die nicht nur energetisch auf dem neuesten Stand ist, sondern sogar über einen Aufzug verfügt. Nur eines vermisst er: den alten, kühlen Keller, in dem man prima Kartoffeln lagern konnte. Auch Odette Mann und ihr Ehemann, der sich als Hausmeister um alles kümmert, fühlen sich in der neuen Wohnung pudelwohl. Die beiden Lehmanns hingegen wohnen noch in einer Interimswohnung um die Ecke, bevor auch sie umziehen können.
Doch schon jetzt kennen sie viele ihrer künftigen Mitbewohner. „Wir achten darauf, dass die Hausgemeinschaften zusammenbleiben“, betont Klinger. Und so kann sich auch eine 92-Jährige, die wegen des Abrisses noch umgezogen ist, darauf verlassen, dass die vertrauten Nachbarn nach ihr schauen. „Das ist mehr als Wohnen, das ist ein Stück Heimat“, findet Brigitte Lehmann.
Wohnen in der Genossenschaft
Gesamtzahl
In Deutschland gibt es rund 2000 Wohnbaugenossenschaften, die Wohnungen für fünf Millionen Menschen zur Verfügung stellen. Seit Oktober gehören dazu auch Gästewohnungen, die Mitglieder an unterschiedlichen Standorten zu günstigen Preisen für kurze Zeit mieten können.
Bezirksbaugenossenschaft
Die Bezirksbaugenossenschaft Altwürttemberg besitzt im ganzen Landkreis Wohnungen: aktuell 994 in Kornwestheim, 547 in Ludwigsburg, 32 in Marbach, 29 in Gerlingen, jeweils sechs in Remseck und in Benningen. In Marbach sind weitere 21 Wohnungen in Bau, in Gerlingen elf, die im Frühjahr fertig werden sollen. Hinzu kommen 449 Wohneinheiten in Stuttgart.