Rund 440 Tonnen Abfall landen jährlich in Tübingens öffentlichen Mülleimern. Foto: dpa/Marijan Murat

Die Tübinger Verpackungssteuer ist zulässig, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Doch erfüllt sie auch ihren Zweck? Der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Moderau hat daran Zweifel.

Hat Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer sich von der Verpackungssteuer für Fast-Food-Restaurants zu viel versprochen? Für eine Doktorarbeit hat der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Moderau (30) genau hingesehen – und kommt zu einem überraschenden Ergebnis.

 

Herr Moderau, Tübingen will mit der Verpackungssteuer in erster Linie die Müllmenge senken. Ist das gelungen?

Im Hinblick auf das Gewicht des Abfalls ist dieses Ziel nicht erreicht worden. Im Jahr 2022 sind in den etwa 500 öffentlichen Abfalleimern im Tübinger Stadtgebiet 440 Tonnen Abfall entsorgt worden. Im Vergleich mit den Vorjahren stellt das keine Reduktion dar. Auch in der Vergangenheit fiel Müll in ähnlicher Höhe an.

Wie sind Sie methodisch vorgegangen?

Das Müllaufkommen in den öffentlichen Abfalleimern wird vom Entsorgungsunternehmen für Abrechnungszwecke wöchentlich erfasst. Das Jahr 2022 mit Verpackungssteuer habe ich mit den Zahlen der vorherigen fünf Jahre verglichen. Ein einfacher Vorher-nachher-Vergleich reicht da aber nicht, weil er andere Einflussfaktoren wie das Wetter, das zunehmende Umweltbewusstsein und natürlich die Coronapandemie außer Acht lässt. Deshalb habe ich zusätzlich eine fiktive Kontrollstadt gebildet mit ähnlichen Merkmalen, beispielsweise Bevölkerungsdichte, Studierendenanteil und Durchschnittsalter. Die Zahlen stammen vor allem aus Landshut, Freiburg, Heidelberg und Konstanz.

Der Tübinger Wirtschaftswissenschaftler Stefan Moderau hat für seine Doktorarbeit in die Tübinger Mülleimer geschaut. Foto: red

Und das Ergebnis?

Auch im Vergleich zu diesem fiktiven Zwilling hat sich keine sichtbare Reduktion der Abfallmenge in Tübingen ergeben. Das Monatsaufkommen pendelt jeweils zwischen 300 und 500 Gramm pro Einwohner.

Sind Sie überrascht?

Als Wissenschaftler geht man so etwas natürlich unvoreingenommen an. Aber ich hätte schon erwartet, dass man etwas sieht. Andererseits ist Verpackungsmüll auch sehr leicht. Nach einer Untersuchung des Infa-Instituts aus dem Jahr 2020 machen Plastikverpackungen gewichtsmäßig nur neun Prozent der Abfälle in den öffentlichen Abfalleimern von deutschen Mittelstädten aus. Sektflaschen, die nicht besteuert werden, wiegen ja deutlich mehr als Pizzakartons.

Ende Januar 2022, kurz nach Einführung der Verpackungssteuer, hatte sich Oberbürgermeister Boris Palmer über einen deutlichen Rückgang des Müllgewichts im ersten Monat gefreut.

Ja, aber da die Verpackungssteuer da erst einen Monat in Kraft war, muss man dies wohl eher als Zwischenfazit bezeichnen. Zudem fiel eventuell weniger Silvestermüll an als in den Jahren vor der Pandemie. Inzwischen wird nach meinem Eindruck von der Stadt nicht mehr mit dem Gewicht argumentiert.

Ist die Verpackungssteuer aus Ihrer Sicht wirkungslos?

Ich würde nicht ausschließen, dass tatsächlich weniger Einweggeschirr herumliegt und sich das Stadtbild dadurch verschönert hat. Aber das lässt sich schwer messen. Dafür müsste man vielleicht die Einwohner befragen. Ein sehr deutlicher Effekt zeigt sich aber bei der Anzahl der Mehrwegrestaurants. Da liegt Tübingen relativ zur Einwohnerzahl deutschlandweit auf Platz eins. Allein in den drei Monaten vor dem Start der Steuer haben 30 Tübinger Betriebe das Mehrwegkaffeebechersystem Recup eingeführt. Aber das bloße Angebot sagt natürlich noch nichts darüber aus, ob das Mehrweggeschirr auch genutzt wird. Dazu fehlen bisher leider Zahlen.