In Heilbronn steht das wohl älteste Weinberghaus im Land. Historisch Interessantes erfährt man auch aus einem Schulheft, in dem Weinbauern Buch geführt haben.
Ist die Weinlese abgeschlossen, sind die Rebstöcke kahl. Dann bleiben oft nur noch Weinberghäuschen als Orientierungspunkte einer industriell gestalteten Weinberglandschaft. Aber auch diese Zeugen einer historischen Weinkultur werden immer weniger.
Das älteste Weinberghäusle im Land steht am Heilbronner Wartberg – und stammt aus dem 16. Jahrhundert. Damals betrug die Rebfläche 45 000 Hektar, heute sind es 11 500. Davon entfallen 500 Hektar auf die älteste Weinbaustadt des Landes, auf Heilbronn.
Das gemauerte Häuschen wurde 1997 – unterstützt vom Denkmalschutz – erstmals aufwendig renoviert. 2013, zum 500. Geburtstag, bekam es eine weitere Erneuerung. Von 1513 bis 1561 diente es als Warte der Feinderkundung. Nach wechselvoller Besitzergeschichte verfügte 1912 die damalige Eigentümerfamilie Tscherning, das Häuschen solle immer in Familienbesitz bleiben.
Das werde es, versichert der heutige Hausherr Frank Walter Schilling. An der Rückwand steht seit dem 13. Oktober 1813 – dem Datum seines 400-Jahre-Jubiläums – geschrieben: Das Häuschen solle immer ein Ort der Gastfreundschaft sein. Lange galt das auch für viele andere solche Weinberghäuschen – bis sie bei der Flurbereinigung in den Zeit zwischen 1968 und 1971 oft jäh abgeräumt wurden.
„Das Weinberghäuschen hat überlebt“ – s o steht es, mit dickem Tintenstrich geschrieben, in einem Schulheft. Darin hat eine der letzten Nachfahren der weitverzweigten Heilbronner Bankiersfamilie Rümelin über ihre Nachlesefeste im Familienweinberg Buch geführt. Notizen aus einen frühen Kapitel der Weinkultur. Das Rümelin-Häusle hatte den Krieg und später die Besetzung durch Obdachlose überstanden. Auch nach einem Brand wurde es wieder aufgebaut. Die chronologische Schilderung der Feste ist ein Bericht aus einem fernen Jahrhundert. Sie zeigen in persönlicher Weise auf, dass sich der Weinbau genauso veränderte wie das tatsächliche und das gesellschaftliche Klima.
Der Bürgeradel blieb immer noch unter sich: Unternehmer, Industriekapitäne, Ärzte, Apotheker, Anwälte. Dazu zählte auch die „Gräßle-Gesellschaft“, ein Akademiker- und Honoratiorenzirkel, gegründet von dem Heilbronner Bäcker und Gastwirt David Gräßle, zu der auch Justinus Kerner gehörte, der Dichter.
Die Nachlesefeste fanden einst erst Ende Oktober, Anfang November statt. Der Ertrag wurde in der Zahl der Butten gemessen, auch die Anzahl der Flaschen und die Öchslegrade werden genau notiert. Ein „Wengerter des Vertrauens“ bewirtschaftete den Familienweinberg, er und seine Lesehelfer feierten auch, aber für sich. Küchengerät wurde angeschleppt, eingekauft wurde und alles feinsäuberlich aufgeschrieben: 3 Dosen Nescafé, 5 Büchsenmilch, 1 Pfund Zucker, 3 Hefezöpfe, 30 Schneckennudeln, 20 süße Brezeln, 4 Brote, 150 Knackwürste, 3 Pfund Schinkenwurst, 2 Pfund Leberwurst, 2 Pfund Gelbwurst, 4 Pfund Backsteinkäse. Pro Kopf rechnete man mit eineinhalb Liter Wein, von Wasser war nicht die Rede.
Der Heilbronner Stadtrat und Landtagsabgeordnete Nico Weinmann (FDP) erkundigte sich bereits 2017 im Landwirtschaftsministerium nach Bestand und Erhalt der Weinberghäuschen. Er will sie und ihre Tradition zu bewahren. „Gerade mit der Veränderung der Kulturlandschaft, der Umwidmung von seither als Weinberg genutzten Flächen in ‚Biotope‘ kommt deren Erhalt eine noch bedeutsamere Aufgabe zu“, so der Stadtrat. Der Heilbronner Wartberg soll als Muster dafür dienen.
Das will auch der Heilbronner Weinbauer Martin Heinrich. Die Weinbautradition seiner Familie reicht zurück bis 1545. Mit Blick aufs Remstal bemüht er sich seit Jahren, den hiesigen Wengerterstand angesichts von Klima- und Konsumwandels zukunftsfähig zu machen – vor Ideen sprühend, gelegentlich aber auch an der Trägheit mancher Kollegen und der Verwaltung verzweifelnd. In dem nach ihm benannten, neuen Wengerthäuschen am Wartberg schenken jeden Sommersonntag Jungwinzer ihre Wein aus.
Es bleibt bis auf Weiteres beim persönlichen Engagement der Winzer. Das Land plant aktuell keine Initiativen zum Erhalt von Weinberghäuschen. Die wiederholten Anfragen des Heilbronner Stadtrats Weinmann sowie eine Anfrage unserer Zeitung beantwortete das Landwirtschaftsministerium folgendermaßen: „Das Landesamt für Denkmalpflege (LAD) hat die Erfassung von Weinberghäuschen nicht weiterführen können. Aber wie bereits geäußert, sind die wichtigsten historischen Terrassenweinberge im Land samt Weinberghäuschen in den Denkmallisten enthalten.“ Außerdem verweist die Pressestelle darauf, dass auch Kleindenkmale wie Weinberghäuschen im regulären Denkmalförderprogramm des Landes gefördert werden könnten.
Auch sind die historischen Weinberghäuschen in der Denkmalkarte Baden-Württemberg des Regierungspräsidiums Stuttgart eingetragen: www.denkmalpflege-bw.de