Thomas Reusch-Frey von der Initiative führt Interessierte künftig auch zum Stolperstein für Karl Binder. Foto: Werner Kuhnle

Mit einem Stolperstein in der Hindenburgstraße in Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) wird an das NS-Verbrechen an Karl Binder erinnert.

Er war Tagelöhner und verdiente sich so den Lebensunterhalt für sich und seine Mutter. Doch den Nationalsozialisten war Karl Binder ein Dorn im Auge. Mit 35 Jahren wurde der Bietigheimer von ihnen verschleppt und kam schließlich auf besonders grausame Art ums Leben. Sein Schicksal hat die Initiative Stolpersteine nun recherchiert und aufbereitet.

 

Eine goldene Gedenktafel ist vor wenigen Wochen auf dem Gehweg in der Hindenburgstraße eingelassen worden. In der Hausnummer 16 wohnte die Familie Binder. Geboren wurde der Sohn im Oktober 1905 mit einer geistigen Behinderung. 1921 verlor der junge Karl bereits mit 16 Jahren seinen Vater. Seit diesem Zeitpunkt lebte er allein mit seiner Mutter in dem Haus in der Hindenburgstraße. Geld verdiente er als städtischer Tagelöhner.

Ärzte fällen hartes Urteil über den Bietigheimer

Ein Leistenbruch rückte Karl Binder im April 1940 ins Visier der Nationalsozialisten. Nachdem er im Krankenhaus von Bietigheim operiert worden war, befand ein dortiger Arzt, dass der Patient in eine psychiatrische Anstalt für Menschen für Behinderung aufgenommen werden müsse. Das ärztliche Zeugnis beschreibt den damals 35-Jährigen als einfachen und unselbstständigen Menschen. Karl Binder sei zwar arbeitsfähig und folgsam, müsse in seine Aufgaben aber immer genau eingewiesen und klar angeleitet werden, was häufig zu Konflikten führe, heißt es darin.

Karl Binder wurde ein Opfer der Nationalsozialisten. Foto: Archiv/Initiative Stolpersteine

Es dauerte noch mehrere Monate, aber im März 1941 wurde der Bietigheimer schließlich in Markgröningen eingeliefert. Bereits im folgenden August wurde er von dort in die Anstalt Zwiefalten (Landkreis Reutlingen) gebracht. In seiner Patientenakte heißt es, dass er sich zunächst gut eingelebt habe, in der Landwirtschaft helfe und sich selbst versorgen könne. Doch die Eintragungen werden im Laufe der Jahre immer negativer. Schließlich wird vermerkt, er sei „wertlos“.

Patient wird systematisch vernachlässigt

Die medizinischen und hygienischen Bedingungen in der Anstalt waren miserabel, die Versorgung mit Lebensmitteln schlecht. Die ärztlichen Aufzeichnungen belegen, wie stark Karl Binder während seines Aufenthalts abmagerte und wie unterernährt er war. Während er bei seiner Aufnahme im August 1941 noch 78 Kilo wog, waren es im Juni 1945 nur noch 50 Kilo. Am 6. Juli 1945 starb er schließlich an den Folgen einer Lungentuberkulose, kurze Zeit spät wurde er ohne Sarg auf dem Anstaltsfriedhof bestattet.

Dass der Tod Binders nicht nur in Kauf genommen wurde, sondern gewollt war und System hatte, erklärt Thomas Reusch-Frey, Koordinator der Initiative Stolpersteine. Er spricht von dezentraler Euthanasie. „Dabei wurden die Menschen nicht vergast oder vergiftet, sondern bewusst vernachlässigt“, sagt er. Vor allem in den letzten Kriegsmonaten des Jahres 1945 starben auffällig viele Patienten in Zwiefalten.

Schon elf Stolpersteine sind verlegt

Das Schicksal Binders haben Christian Hofmann und Sonja Eisele von der Initiative Stolpersteine in Bietigheim-Bissingen in den Archiven recherchiert. Das Besondere an diesem Fall ist es, dass sie die Lebensgeschichte nur anhand der detaillierten ärztlichen Unterlagen rekonstruieren mussten. „Wir konnten keine Angehörigen von Karl Binder ausfindig machen“, erläutert Reusch-Frey. Auch die heutigen Eigentümer des Hauses in der Hindenburgstraße wussten so gut wie nichts über die früheren Bewohner.

Die Initiative besteht bereits seit mehr als zehn Jahren. Der neueste Stolperstein ist bereits der elfte, der in der Stadt an Enz und Metter verlegt worden ist. Der Termin fand im Zusammenhang mit Jubiläum zum 50-jährigen Stadtbestehen statt und wurde von Gunter Demnig, dem Gründer des bundesweiten Stolperstein-Projekts begleitet. Schüler der Hillerschule sowie Vertreter örtlicher Vereine und Einrichtungen wie der Lebenshilfe, der Wobachspatzen und des Geschichtsvereins waren ebenfalls dabei.

Zwei geführte Touren in diesem Jahr geplant

Neben der kleinen Gedenktafel für Karl Binder gibt es fünf weitere Stolpersteine im Stadtgebiet von Bietigheim, vier in Bissingen und eine in Untermberg. „Uns ist es wichtig, dass wir nicht nur die Steine verlegen, sondern die Vergangenheit ins Bewusstsein bringen“, sagt Reusch-Frey. Er und seine Mitstreiter wollen die Erinnerung an das Unrecht mit Menschen mit Behinderung aufrechterhalten.

Eine goldene Gedenktafel erinnert in der Hindenburgstraße an das NS-Opfer. Foto: Werner Kuhnle

Seit 2016 bietet die Initiative daher Führungen an. Eine der Touren führt durch Bissingen und Untermberg. Der nächste Termin mit Thomas Reusch-Frey ist am Samstag, 28. Juni, 14 Uhr (Treffpunkt Bahnhofstraße 25). Eine weitere Route verläuft entlang der Stolpersteine in Bietigheim. Am Samstag, 27. September, startet um 14 Uhr die nächste Tour. Treffpunkt ist das Hornmoldhaus in Bietigheim, Hauptstraße 57. Dann wird auch das Mahnmal für die Zwangsarbeiter am Bahnhof besucht.

Gruppe sucht weitere Mitstreiter

Weil die Aufgaben der Stolpersteininitiative arbeitsintensiv sind, sucht die Gruppe derzeit nach Verstärkung. Wer Interesse daran hat, beim Erforschen von Biografien, beim Organisieren von Verlegungen und bei Führungen zu helfen, ist willkommen. Anfragen nimmt Thomas Reusch-Frey per E-Mail an ThomasReuschFrey@gmail.com entgegen.