Christoph Daum (rechts) unterlief der verhängnisvolle Wechselfehler. VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder (links) musste deshalb auf acht Millionen Mark verzichten. Foto: Bongarts

Vor 25 Jahren hätte der VfB Stuttgart als erste deutsche Mannschaft in die neu gegründete Champions League einziehen können. Dann wechselte Christoph Daum Innenverteidiger Jovica Simanic ein.

Stuttgart - An der Elland Road bricht gerade die 80. Minute an. Der VfB Stuttgart liegt gegen Leeds United 1:3 zurück. Es ist das Duell zwischen dem deutschen und dem englischen Meister, es geht um die Qualifikation für die neue Champions League. Die Königsklasse Europas.

Für das Team von Trainer Christoph Daum ist die drohende Niederlage kein Problem. Noch nicht. Solange der VfB es schafft, dieses Ergebnis über die restlichen Minuten zu retten, ist der Einzug in die zweite Runde der Königsklasse sicher, danach würden dann die Gruppenspiele warten. Das Hinspiel in Stuttgart endete 3:0. Die Königsklasse ist erst kurz zuvor gegründet worden und hat den Europapokal der Landesmeister abgelöst. Der VfB könnte damit ein Club der ersten Stunde werden. Der 30. September 1992 würde in die Vereinsgeschichte der VfB eingehen.

Dann erzielt Lee Chapman für die Engländer das vierte Tor. 4:1 für Leeds.

Plötzlich ist das Auswärtstor der einzige Grund, weshalb der VfB noch auf den Einzug in die Champions League hoffen kann. Leeds erhöht weiter den Druck, deshalb nimmt Daum in der 83. Minute den offensiven Mittelfeldspieler Maurizio Gaudino aus dem Spiel und bringt den Innenverteidiger Jovica Simanic. Es sind noch sieben Minuten plus Nachspielzeit. „Ich brauchte einen großen, kopfballstarken Abwehrspieler“, erklärt der Trainer später. Simanic spielt eigentlich in der Amateurmannschaft des VfB. Die Sache geht gut. Zumindest auf dem Rasen. Der deutsche Meister verliert zwar 1:4, zieht aber trotzdem in die Gruppenphase ein. Die Freude ist riesig.

Doch schon auf der anschließenden Pressekonferenz schießt Manager Dieter Hoeneß der Regelverstoß des VfB Stuttgart „siedend heiß durch den Kopf“, wie er später sagt. Als Daum Simanic einwechselt, sind bereits der Schweizer Adrian Knup, der Isländer Eyjólfur Sverrisson und der Jugoslawe Slobodan Dubajic auf dem Platz. Drei Ausländer, Simanic ist der vierte. Laut den damaligen Regularien einer zu viel. Doch zunächst ist das niemandem aufgefallen. Selbst Leeds legt erst einige Zeit nach dem Spiel Protest bei der Europäischne Fußball-Union (Uefa) ein.

Fritz Walter schließt sich in der Bordtoilette ein

Auf dem Rückflug nach Stuttgart herrscht im Flugzeug eisige Stille. Manager Hoeneß und Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder sind im Krisenmodus. „Thomas Strunz, Fritz Walter, Günther Schäfer und Gaudino spielen Karten. Aber tief drinnen gärt es“, berichtet Thomas Näher, Reporter der „Stuttgarter Nachrichten“. Er ist in dieser Nacht mit an Bord. Andere Spieler rätseln, wie es weitergeht. Kurz machen sogar Gerüchte die Runde: „Der Trainer schmeißt den Bettel hin.“ An Bord schließt sich Fritz Walter in der Toilette ein.

Tags darauf herrscht weiterhin Ratlosigkeit am Trainingsgelände des VfB. Christoph Daum ist nicht zurückgetreten, sagt aber: „Mein Fehler, da halte ich den Kopf hin.“ Die „Stuttgarter Zeitung“ schreibt, Daum und Hoeneß fühlten sich „wie der Lottogewinner, der sechs richtige angekreuzt, aber den Schein nicht abgegeben hat“. Die Uefa prüft derweil, wie es weitergehen kann. Uefa-Generalsekretär Joseph Blatter betont, dass von einem Entscheidungsspiel bis hin zum Ausschluss wegen Unsportlichkeit alles denkbar sei. „Da waren Amateure am Werk. Wer sich mit Real Madrid messen möchte, darf nicht wie der SV Hintertupfingen handeln“, kommentiert die StZ. Gerhard Mayer-Vorfelder sorgt sich vor allem um die acht Millionen Mark, die dem Verein durch einen Ausschluss verloren gehen würden.

Ganz so schlimm kommt es für den VfB Stuttgart vorerst nicht. Das Spiel wird mit 3:0 für Leeds gewertet, das Hinspielergebnis ist damit egalisiert. Für den 9. Oktober 1992 wird ein Entscheidungsspiel auf neutralem Boden angesetzt. Doch die Moral in der Mannschaft ist am Boden. Vor lediglich 8000 Zuschauern im rieseigen Stadion Camp Nou des FC Barcelona verliert der VfB mit 1:2 gegen Leeds United. „Die Partie der großen Torchancen war es wirklich nicht“, schreiben die „Stuttgarter Nachrichten“. „Da musste der VfB schon wieder einen seiner gefürchteten Abspielfehler machen.“ Der Schuldige: Andreas Buck. Wie „von allen guten Geistern verlassen vertändelte er den Ball vor dem eigenen Strafraum“, heißt es in der Zeitung.

Der VfB wird zur „Lachnummer der Nation“

Damit endet der Traum des VfB Stuttgart, als erste deutsche Mannschaft in der Champions League zu spielen. „Mir geht es saudreckig“, sagt Christoph Daum. Der VfB ist „die Lachnummer der Nation“ und „das Gespött der Fans in den Bundesligastadien“, kommentiert die Stuttgarter Zeitung. Trotz des selbst verschuldeten Dramas und den damit verbundenen Rücktrittsforderungen bleiben sowohl Daum als auch Hoeneß zunächst im Amt. Erst anderthalb Jahre später trennen sich der VfB und Daum. Hoeneß wird von Präsident Mayer-Vorfelder 1995 entlassen.

Für Jovica Simanic sind die sieben Minuten auf dem Rasen der Elland Road im Übrigen die einzigen, die er je für Stuttgart spielt. Anschließend stellt Christoph Daum den Jugoslawen bei keinem Spiel mehr auf. Und der 30. September 1992 geht tatsächlich in die VfB-Geschichte ein.