Urteilsverkündung am Stuttgarter Landgericht Foto: StZN/ceb

Eine 15-Jährige ist allein zu Hause, als ein Einbrecher ins Haus kommt. Er findet die Tochter im Jugendzimmer und sticht im Schlaf auf sie ein.

Man will sich nicht vorstellen, was eine Familie aus Stuttgart-Süd seit dem vergangenen August durchmacht. Die Eltern und der Bruder sind für ein paar Tage weggefahren, die 15-Jährige ist allein zu Hause. Freunde der Familie wissen Bescheid und sind Ansprechpersonen – falls was ist. Im Souterrain wohnt ein älterer Mann. Das Haus ist also nicht ganz leer. Und dann die entsetzliche Nachricht am Morgen des 17. August: Die Tochter schickt den Eltern Aufnahmen von ihren schweren Verletzungen – Stichwunden im Gesicht und am Oberkörper. Im Schlaf erlitten durch einen Einbrecher, der in ihr Schlafzimmer kam. Bis heute hat sie Narben, und die psychischen Folgen sind längst nicht ausgestanden: Die Jugendliche ist in Behandlung.

 

Der Angeklagte hat Totenköpfe auf den Armen tätowiert

Der Mann, der ihr das aus Sicht der Kammer angetan hat, sitzt reglos im Saal. Ein eng anliegendes Sportshirt zeigt, wie muskulös er ist – die starken Arme führten das Messer gegen die Jugendliche. Auf der Haut an den Armen reihen sich Totenköpfe aneinander. Er hört zu, nickt kaum wahrnehmbar, als ihn der Vorsitzende Richter fragt, ob er alles verstanden habe, was er ausgeführt habe.

Mehrere Male hat der Vorsitzende Richter Norbert Winkelmann am Donnerstagnachmittag deutlich gemacht, wie schlimm die Tat für die Betroffenen war – und in ihrer Nachwirkung bis heute ist: „Es ist ein Angriff im innersten Bereich des Privaten gewesen, wo man sich zu Recht sicher fühlen sollte“, betonte er. Und das allein macht für ihn noch nicht deutlich, wie schlimm der Angriff war. Das Urteil für den 24-Jährigen: Zwölf Jahre Haft und die Anordnung der anschließenden Sicherungsverwahrung, weil er als sehr gefährlich eingestuft wird. Keine drei Wochen waren seit seiner Haftentlassung vergangen, als er die Tat im vergangenen August beging.

Sicherungsverwahrung nach Haftende

Die Sicherungsverwahrung zu fordern, das hatte der Staatsanwalt schon beim Auftakt angedeutet. Er sah in dem Angriff drei Mordmerkmale: Die Habgier, weil er schon Diebesgut bereitgestellt hatte, die Verdeckung einer Straftat, weil er befürchtete, die 15-Jährige könnte ihn verraten, und die Heimtücke, weil er die Jugendliche im Schlaf überfallen hatte, als sie arg- und wehrlos war.

Was geschah in jener Nacht? Der Mann habe zunächst bei zwei Häusern weiter oben in der Straße versucht einzubrechen. Dann sei er zu dem Haus gekommen, in dem die 15-Jährige war. Über eine Mülltonne sei er durch ein Fenster eingestiegen, das er mit einer Kelle aufgemacht hatte. Es sei gekippt gewesen, so der Richter. Dann sammelte er im Erdgeschoss schon erste Beutestücke ein. Dort habe die Mutter der Teenagerin unter anderem ihre Geschenke zum 40. Geburtstag abgestellt gehabt, die Räume waren seit dem Tod der Schwiegermutter unbewohnt: Handtaschen von Nobelmarken im Wert von mehreren Tausend Euro suchte er zusammen und stellte sie für den Abtransport bereit.

Dann soll er in der Wohnung der Familie weitere Beute gefunden haben, unter anderem zwei Smartphones, Schmuck und Bargeld. Insgesamt fand er Gegenstände im Wert von mehreren Zehntausend Euro. Er ging aber weiter, und kam so ins Zimmer der Tochter. Als er sie schlafend fand, habe er wohl Angst bekommen, es gebe eine Zeugin. Daher habe er zugestochen – was die von der Staatsanwaltschaft und von der Kammer erkannten drei Mordmerkmale erfüllte.

Dennoch ist die Tat nicht als versuchtes Tötungsdelikt gewertet worden. Das lag daran, erläuterte Winkelmann, dass der heute 24-Jährige nach acht Messerstichen auf die Jugendliche von ihr mit einem Fußtritt weggestoßen wurde. Danach habe er sie in Ruhe gelassen und sei geflüchtet. Juristisch ist das als ein Rücktritt von der Tötungsabsicht zu werten. Und ein solcher wirke strafbefreiend – natürlich nur für den Vorwurf des Tötungsdeliktes, nicht für die Tat insgesamt. Deswegen wurde er für eine gefährliche Körperverletzung verurteilt – und für schweren Raub.

Videoaufnahmen führen auf die Spur des Mannes

Der 24-Jährige wurde unter anderem deshalb gefasst, weil er von Videokameras aufgenommen wurde bei einem der Einbruchsversuche. Da er polizeibekannt war, konnte er anhand der Aufnahmen identifiziert werden. Außerdem wurden Spuren von ihm im Haus und am Messer gefunden, das er in Vaihingen entsorgt hatte. Ein Zeuge fand es dort tags drauf. Der Angeklagte hatte im Laufe des Verfahrens zwar den Einbruch zugegeben. Den Angriff auf die Jugendliche aber nicht. Den sollte ein Mann verübt haben, den er eingelassen haben wollte. Weder hatte diesen die Jugendliche wahrgenommen, noch fand man von ihm Spuren im Haus. Die Kammer glaubte dem Angeklagten diese Version daher nicht.

Der Angeklagte nahm das Urteil zumindest äußerlich regungslos hin. Die Familie der Jugendlichen, die als Nebenkläger aufgetreten war, war im Saal. Neben der Haftstrafe und der Sicherungsverwahrung sieht das Urteil auch ein Schmerzensgeld von 37 500 Euro für die Jugendliche vor.

Dem Richter war es ein Anliegen, dass die Familie, auch wenn kein Mord- oder Totschlagsurteil erfolgte, „Genugtuung“ erfahre. Er hatte deshalb seiner Urteilsbegründung vorangestellt, dass es in dem Verfahren auch um eines ganz besonders gegangen sei: Um das Wohl der 15-Jährigen. Sie habe Narben, die zwar sichtbar seien, aber sie nicht „entstellten“, erläuterte er. Gesundheitlich leide sie gelegentlich unter Atemnot, eine Folge der Verletzungen des Brustkorbs. Er hoffe, dass das Urteil dazu beitrage, dass die Familie das Geschehen weiter verarbeiten könne.