Ein gestaltungsaffiner Bauherr verwandelt mit Hilfe eines Architekten eine Stuttgarter Dachwohnung in einen großzügigen Maisonette-Wohntraum mit Aussicht. Ein Besuch.
Manchmal überspringt ein Talent, eine Leidenschaft eine Generation. Oder auch mehrere. Genetisch oder nicht – so groß ist die Begeisterung von Hagen Ohm für Architektur und Wohnen, dass er beschließt, sich in ein Umbauprojekt zu stürzen und aus einer kärglich wirkenden Dachgeschosswohnung in einem Haus im Stuttgarter Osten eine großzügige Maisonettewohnung zu machen. Eine kluge Geldanlage – und weitaus mehr – ist daraus geworden. Ein Herzensprojekt, Lehrstunden in Sachen Handwerk inklusive.
Doch der Reihe nach. Die Eltern des Bauherren wollten die Wohnungen in einem vom Urgroßvater 1937 erbauten Mehrfamilienhaus verkaufen. Es liegt am Rande der Arbeiter- und Angestellten-Wohnsiedlung, die der jüdische Stuttgarter Bürger Eduard Pfeiffer zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Stuttgarter Osten erbauen ließ. Hagen Ohm (43) meldete Interesse an.
Eine Dachgeschosswohnung in Stuttgart-Ost
Er kauft das Dachgeschoss samt Spitzboden und bittet Hadi Tandawardaja vom Stuttgarter Architekturbüro SOMAA, den er über einen gemeinsam Freund kennengelernt hatte, um Umbauideen. „Umbauten sind für uns immer besondere Aufgaben, weil sie Geschichte mitbringen und im Entwurf weitergeschrieben werden“, sagt Hadi Tandawardaja: „Die Zusammenarbeit mit dem Bauherrn war dabei extrem wichtig, da viele Entscheidungen im gemeinsamen Prozess gereift sind. Das hat dem Projekt Tiefe gegeben.“
Die Planung dauerte einige Zeit – inzwischen lebt der Onkel in der Maisonettewohnung, was den Vorteil hat, dass der Bauherr oft zu Besuch ist und ein bisschen mitgenießen kann, was er geschaffen hat. „Mir hat das sehr viel Spaß gemacht, mich gemeinsam mit Hadi in jedes Detail hineinzufuchsen, um auch allein überlegte Entscheidungen, unter Berücksichtigung der Folgen, fällen zu können“, sagt der Bauherr, der in seinem Hauptberuf als Berater für IT-Regulatorik arbeitet, inzwischen aber auch weiß, wie man Fliesen verlegt und Holzböden aufarbeitet.
Dass der Architekt bei der Wahl mancher Materialien eine andere Entscheidung getroffen hätte, wie er seinem Bauherrn freimütig sagt, ist für beide Parteien in Ordnung. „Wir wollen etwas robust Nachhaltiges schaffen. Architektur muss etwas aushalten können“, sagt Hadi Tandawardaja. Ob das nun die Farbe (dunkelrot) der Lichtschalter ist oder die Wahl der Badezimmerfliesen.
Ein offener Wohnbereich
Klar war beiden, die kleinen Zimmerchen können so nicht bleiben. Daher gibt es nun neben dem Schlaf- und dem Badezimmer einen offenen Küchen-, Ess-, Arbeits- und Loungebereich. „Ein offener Grundriss braucht etwas, das ihn fasst: einen Nucleus, einen Orientierungspunkt – das war früher vielleicht die Feuerstelle, bei uns ist es die Treppe, die zum einen Funktionsmöbel und zum anderen skulpturales Gestaltungselement ist.“
Apropos Feuerstelle – Teil des Zentrums ist außerdem die Kochstelle: ein weißer Küchenblock mit Induktionskochfeld (und Gaskochmöglichkeit) samt besonders hochwertigen Messingarmaturen. Der Wohnbereich wird dominiert von im Internet ergatterten gebrauchten Tulip-Tisch samt sechs passenden Stühlen von Eero Saarinen. Eine ziemliche Investition, doch immerhin günstiger als im Laden waren die Designklassiker.
Mit einem klugen theatralen Effekt gespielt hat der Architekt mit einem Vorhang, der die komplette Breite der Wohnung abdeckt. Suggeriert er doch, hinter dem Vorhang befinde sich ein womöglich noch größerer Raum, farblich eindrucksvoll ist die Lachsfarbe noch dazu.
Hinter dem Stoff allerdings gibt es vor einer grün gestrichenen Wand gerade noch Platz für einen Arbeitstisch, die Ecken unter der Schräge werden praktisch als Stauraum für Staubsauger etwa genutzt. „Wir haben immer wieder überlegt und diskutiert, was brauchen wir wirklich, was kann man weglassen. Meine Philosophie ist, so wenig wie möglich zu machen, um die maximale Wirkung zu erzielen.“
Schon diese Wohnebene wirkt deutlich großzügiger als eine gewöhnliche 67-Quadratmeterwohnung, was auch daran liegt, dass sie über viel Luft nach oben verfügt. Der Raum ist offen bis zum First. Die oberste Ebene wurde aber nicht komplett geöffnet, ein kleiner Rückzugsraum durfte bleiben.
„Damit haben wir ein Loftgefühl kreieren können“, sagt Hadi Tandawardaja. Eine klassische Hühnerleiter kam nicht in Frage, eine angedachte Wendeltreppe aus Cortenstahl, die wie ein Kunstobjekt gewirkt hätte, schied aus: „Um sie in die Wohnung zu bringen, hätten wir das Dach öffnen müssen, da in geschlossenen Räumen nur Kaltschweißen gestattet ist“, hat der Bauherr gelernt.
Also wurde ein Treppenmöbel entworfen. Ein Schreiner hat ein imposantes, von Hadi Tandawardaja entworfenes Holzmöbel gebaut. Das schwarz gestrichene Objekt bietet einen schönen Kontrast zur weißen Küche. Und es fungiert sowohl als Bücherregal als auch als Treppe. Halbwegs schwindelfrei sollte man sein, auf einen Handlauf wurde verzichtet.
Holzboden aufarbeiten, mit Farbe experimentieren
Die monochromen Bilder in der Ecke unterm Dach sind Überbleibsel des Gestaltungsprozesses. Denn einige Elemente, der Kaminschacht etwa und die Balken, sind in sanften Rosatönen gestrichen. „Ich habe ungefähr 30 Probegrößen-Farbeimer gekauft und an übrig gebliebenen Rigipsplatten ausprobiert, bis ich mich für eine Farbe entschieden habe. Ein paar Farbmuster passen richtig gut zusammen und dürfen als Kunst verbleiben“, sagt der Bauherr.
Der Roséton passt gut zu dem hellen Holzboden. Der ist nun fast hundert Jahre alt, Dreck und Staub aus vielen Jahrzehnten hat der Bauherr selbst abgeschliffen – etliche Wochenenden und Feierabende hat das gedauert. „Das war extrem anstrengend und langwierig, aber das war es wert, es ist schön, Dinge, Werte zu erhalten, für mich war der Umbau eine schöne, bereichernde Zeit.“
Der eigene Einsatz lehrt auch, dass so ein Umbau Zeit braucht und daher – würde man damit Handwerker beauftragen – ziemlich viel Geld kosten kann. Altes rausreißen und neu verlegen mag günstiger kommen, zerstört aber den Charakter, die Atmosphäre des Objekts. Manchmal geht es nicht anders, wenn keine Substanz vorhanden ist.
Dann gilt es, den passenden Boden auszusuchen. „Die Auswahl des Bodens war schwierig“, sagt Hagen Ohm, „er sollte zum Baujahr des Hauses passen, gleichzeitig zeitlos und möglichst hell sein und irgendwo aus der Region stammen. Terrazzo war eine Idee, Linoleum oder ein geschliffener Estrich – die ersten Überlegungen schieden aus. Teils aus Kostengründen, teils auch wegen der baulichen Gegebenheiten.“ Letztlich fand der Bauherr einen Hersteller von Massivholzdielen aus schnell wachsender Douglasie im Schwarzwald.
Aber auch der Transport war zu bedenken. Die bis zu fünf Meter langen Dielen wurden durchs Treppenhaus hochgetragen, passten oben aber nicht mehr um die Ecke. Nur dank eines wagemutigen Fliesenlegers konnten etwa die extralangen Holzdielen über das Dach in die Wohnung hineingeschoben werden.
Die Strapazen sind fast vergessen, erst recht beim Blick aus den Dachfenstern mit Blick auf den Turm der Lukaskirche und die Dächer im Stuttgarter Osten. Den kann er immer wieder mal genießen, wenn er seinen Onkel in der Wohnung besucht. „Die Wohnung zu verkaufen, kann ich mir im Moment nicht wirklich vorstellen“, sagt Hagen Ohm. „Es sei denn, ich kann vom Erlös ein neues Projekt realisieren, vielleicht auch etwas Ausgefalleneres wie eine ehemalige Werkstatt oder ein Friesenhaus oder so.“