Passanten vor dem Eingang der Metropole-Bäckerei Foto: Max Kovalenko

Schlendert man durch die Mauserstraße in Feuerbach, kommt man sich vor wie in Antalya. Rund um die Moschee haben Händler alte Fabriken übernommen. Nicht jedem gefällt der Strukturwandel.

Stuttgart - Nusret Aricak steht an einem Brunnen, aus dem ein joghurtähnliches Getränk sprudelt. Er füllt ein großes Glas damit, so dass eine mächtige Schaumkrone entsteht. „Wir bieten keinen Alkohol an, aber unser Ayran ist in der ganzen Stadt berühmt“, sagt der Geschäftsführer des Dedemoglu-Restaurants in der Mauserstraße in Feuerbach. Zu Aricaks Restaurant strömen mittags Angestellte benachbarter Firmen wie Bosch und Mahle mit knurrenden Mägen. Abends kommen traditionsbewusste Muslime. Er hat eine Marktlücke entdeckt. Und er ist nicht der einzige, der in Feuerbach auf die Interessen einer multikulturellen Kundschaft setzt.

Ähnlich ist es bei der Metropole-Bäckerei am anderen Ende der Straße. Hinter einer meterlangen gläsernen Auslage liegen vor Zuckerwasser triefende Gebäckstücke und sind knallbunte Torten ausgestellt. Metropole ist nicht nur eine Bäckerei, sondern auch eine Mischung aus Konditorei und Restaurant. Man merkt dem Gebäude kaum an, dass es früher eine Fabrikhalle war. „Als wir vor zwölf Jahren hier eingezogen sind, haben die Mäuse auf den Tischen getanzt“, sagt Seycan Öztürk, die Filialleiterin.

Seit sich in der Mauserstraße 1993 eine Ditib-Moschee angesiedelt hat, ist das Gebiet mehr und mehr zu einer Einkaufsmeile für Lebensmittel und Haushaltsgegenstände des östlichen Mittelmeers geworden. Es gibt dort Friseursalons, Geschäfte für Damenmode und Möbelhäuser. Gut ein Dutzend Läden sind es inzwischen, die sich in den alten Fabrikhallen zum Teil nur sehr provisorisch eingerichtet haben – mancherorts pfeift der Wind durch.

Glaubt man der Marketingberaterin Sevil Özlük, kommen monatlich 35 000 Menschen zum Einkaufen und Beten dorthin. Im Supermarkt Hak Verdi hört man die Leute neben Deutsch auch Türkisch, Arabisch, Hindi oder Amharisch sprechen. „Das Quartier ist ein Wirtschaftsfaktor, die Leute kommen sogar aus Heilbronn, um hier einzukaufen“, sagt Özlük. Parkplätze sind in der Straße kaum zu bekommen, vor allem freitags und am Wochenende wird oft in der zweiten Reihe geparkt.

Bei der Stadt sieht man die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Das Areal ist in einem der letzten klassischen Industriegebiete der Stadt. Direkt an der Bahnlinie gelegen, dürfen dort auch besonders lautstarke oder geruchsintensive Industrien angesiedelt werden. Bis vor drei Jahren schauten die Behörden zu, wie nach und nach immer mehr Einzelhändler und Restaurants in der Mauserstraße eröffneten. Dann gab der Autozulieferer Behr ein großes Werk direkt gegenüber der Moschee auf. Im Rathaus läuteten die Alarmglocken. Seitdem wird an einem neuen Bebauungsplan für das gesamte Gebiet gearbeitet. Einzelhandel und Vergnügungsstätten sollen untersagt werden. Bis der neue Bebauungsplan fertig ist, verhindert eine Veränderungssperre, dass neue Läden entstehen. Heute soll sie im Gemeinderat um ein weiteres Jahr verlängert werden.

Stuttgarts Baubürgermeister Matthias Hahn befürchtet, die Händler könnten in Konkurrenz mit der Feuerbacher Innenstadt treten. Für Seycan Öztürk von der Metropole-Bäckerei ist das nicht überzeugend. „Schauen Sie sich doch an, was man hier kaufen kann – alles Dinge, die man im Feuerbacher Zentrum nicht bekommt“, sagt sie. Und sie hat Recht. Bei dem Händler Fahri Aralan gibt es Samoware, Wasserpfeifen und Kostüme, die kleine Jungs beim Beschneidungsfest tragen. Für die Händler bedeutet die Veränderungssperre Stillstand. Viele von ihnen sind nur teilweise genehmigt oder geduldet. Solange die Sperre besteht, ist keine Genehmigung zu bekommen. „Die Händler wollen alle gerne ihre Läden renovieren – aber wer würde in so einer Situation schon Geld investieren?“, fragt Sevil Özlük.

Die Inhaber der Metropole-Bäckerei, Halil Selvi und Halil Aydin, haben das Behr-Werk inzwischen gekauft. Sie wollen dort ein Künstlerdorf mit Theater, Proberäumen, Ateliers und einer Behindertenwerkstätte einrichten – und hoffen, dass der Gemeinderat diese Nutzung ausnahmsweise erlaubt. Ende Februar wird darüber entschieden. Doch Özlük ist das nicht genug. Sie will jetzt beginnen, das ganze Areal aufzuwerten und hat dafür inzwischen das Mandat aller drei Grundstückseigentümer: des Moschee-Vereins, des Händlers Fahri Aralan und der Geschäftspartner Aydin und Selvi. Mit ihren Plänen geht Özlük bei den Gemeinderats- Fraktionen hausieren und hofft, dass sie damit überzeugen kann. Ein Abkommen soll der Stadt ermöglichen, das Behr-Werk in einigen Jahren zu kaufen, falls sich doch noch ein Interessent aus der Industrie findet. Dass es so kommt, glauben die Händler in der Mauserstraße nicht.Zu lange hält das Sterben der Industrie in dem Quartier schon an.