Die Projektleiterin Natalie Savinov, die von Anfang an dabeigewesen ist, und der Schüler Aaron Burkert Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Das Albertus-Magnus-Gymnasium dokumentiert das Projekt Cannstatter Synagogenplatz, für das sich Schülerinnen und Schüler seit 20 Jahren engagieren und das die Erinnerung an das 1938 niedergebrannte Gotteshaus lebendig erhält.

Der kleine Platz, der sich an der König-Karl-Straße in Bad Cannstatt zwischen zwei Gebäuden eröffnet, ist zu einem beliebten Ort des Verweilens geworden. Die Bänke sind zu dieser Mittagsstunde besetzt, die Bäume spenden Schatten, die Hinweise auf die Geschichte werden wahrgenommen oder auch nicht. Doch wer sehen will, sieht.

Auf gläsernem Hintergrund das Foto der Synagoge, die seit dem Jahr 1876 Mittelpunkt des jüdischen Lebens in Cannstatt gewesen war und in der Nacht vom 9. November 1938 ein Raub der Flammen wurde. Auf einer zweiten Schautafel Texte und Fotos über das einstige jüdische Leben und jüdische Menschen in Bad Cannstatt. Und dann sind da noch seltsame Verkehrszeichen.

Ein Warndreieck mit Ausrufezeichen und der Inschrift „Anlieger frei bis 9.11.1938“. Oder das Schild mit P wie Parken. Weil der ehemalige Standort eines Gotteshauses als trivialer Parkplatz genutzt wurde. Das P aber so verfremdet, dass es einem Fragezeichen gleicht. Denn die Frage „Wie erinnern?“ steht am Beginn des Projekts Cannstatter Synagogenplatz, für das sich seit mehr als 20 Jahren Schülerinnen und Schüler des katholischen Albertus-Magnus-Gymnasiums in Bad Cannstatt-Sommerrain engagieren, das 40-jähriges Bestehen feiert.

Anregung kam durch Roman Herzog

Natalie Savinov war von Anfang an dabei. Auf einem der Fotos, die in der Aula das Prozedere dokumentieren, erkennt man sie kaum wieder. Damals hieß sie Huber, war im Leistungskurs Bildende Kunst der Jahrgangsstufe 13 und hatte kurze dunkle Haare. Jetzt leuchten sie lang wallend brandrot. Sie lacht und erzählt, dass sie sofort dabei war, als die Schule im Januar 2001 den Workshop „Denkmal, Mahnmal, Erinnerung“ mit dem Stuttgarter Künstler Michael Deiml anbot. Angeregt vom Appell des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog an Schulen, neuartige Formen des Erinnerns zu entwickeln. Begleitet von den Fachlehrern Matthias Lutzeyer (Kunst und Sport) und Alfred Hagemann (Religion und Deutsch). Und mit der Aufgabe, eine angemessene Gestaltung für den Gedenkort der ehemaligen Synagoge in Bad Cannstatt zu finden.

Zwar hatte die Stadt hier 1961 einen Gedenkstein mit Bronzetafel gesetzt. Und der Verein „Pflanzt einen Baum“ 1987 sieben Säulenhainbuchen gepflanzt, um „beim Besuch der ehemaligen jüdischen Mitbürger einen anständigen Eindruck zu hinterlassen“. Aber da war dieser Parkplatz! „Wir waren schockiert über diese unbefriedigende Form des Gedenkens und wollten bewusst ein bisschen provozieren“, erinnert sich die heute 43-jährige Mutter von zwei Kindern. Die Begeisterung über die kreative Herausforderung hört man ihr heute noch an.

Verfremdete Verkehrsschilder als Mahnung

Zusammen mit Sebastian Rupf und Andy Hortona entwickelte sie unter dem beziehungsreichen Wortspiel-Motto „Denkmal er-fahren“ die Idee mit den verfremdeten Verkehrsschildern. Insgesamt 24 Schülerinnen und Schüler hatten in Gruppen Vorschläge erarbeitet. „Als die Jury unser Projekt ausgewählt hat, war das sehr aufregend, denn es hat für mich auch eine große emotionale Bedeutung“, sagt Natalie Savinov. Erst recht, als die Idee nicht nur ein Modell blieb: „Ich habe ja nicht geahnt, dass unser Plan jemals umgesetzt würde. Aber die Erfahrung, dass man tatsächlich etwas bewegen kann, hat mich fürs Leben geprägt.“ Denn am 9. November 2004 wurde das „er-fahrbare Denkmal“ der Öffentlichkeit übergeben. Im Beisein des damaligen OB Wolfgang Schuster und Landesinnenminister Heribert Rech.

„Erinnerung darf nicht enden“

„Erinnerung darf nicht enden“, betont Schulleiter Georg Braun und hebt hervor, dass das Projekt auch den Anstoß gab für weitere Formen und Orte des Gedenkens in Stuttgart, wie zum Beispiel den Stolperstein-Initiativen, dem Zeichen der Erinnerung am Nordbahnhof und dem Lern- und Gedenkort Hotel Silber. Auch für den Synagogenplatz sann die Stadt nach zwei Jahrzehnten auf Optimierung, für die Antje Sartorius vom Amt für Stadtplanung und der Landschaftsarchitekt Wolfgang Blank das Schulprojekt mit einbezogen: „Die Ideen von 2004 waren prägend für die Neugestaltung, die irritierenden Verkehrsschilder sind die Schlüssel zum Verständnis“, bescheinigt Blank. Und wieder waren auch die Schülerinnen und Schüler gefragt, motiviert von Lehrer Alfred Hagemann: „Wir haben den Platz bis dahin nicht gekannt und kaum gefunden“, sagt Aaron Burkert, jetzt 16 Jahre alt und ein Jahr vorm Abitur. Weil er so unscheinbar gewesen sei. Aber es gab zu tun. Die Schilder abmontieren, reinigen, Lavendel pflanzen.

Im Oktober 2022 wurde der neugestaltete Platz eingeweiht, die Schüler waren dabei, Aaron hat eine Rede gehalten und war gerade eben wieder dort. Nicht zum Verweilen. Sondern mit dem Geschichtskurs. Damit die Erinnerung nicht endet.