Wie Eleanor Reissa vom Überleben und von der ersten Familie ihres Vaters erfuhr, berichtete sie im Hotel Silber. Chaskel Schlüsselberg sprach zeitlebens wenig über den Holocaust. Seine Tochter schrieb ein Buch über seinen Leidensweg.
Eleanor Reissa hatte ursprünglich Angst, „dass mein Vater nicht glücklich darüber gewesen wäre“. Er starb 1975 und hatte zeitlebens nicht viel über seine Leidensgeschichte preis gegeben. Gleichwohl wurden jetzt in der Silberburgstraße 88 im Stuttgarter Westen Stolpersteine verlegt. Dort wohnten Reissas Vater, der jüdische Kaufmann Chaskel Schlüsselberg, und seine erste Familie. Er hatte den Holocaust überlebt, wanderte in die USA aus und heiratete dort wieder. Nach der Stolpersteinverlegung sprach die 71-jährige Sängerin, Schauspielerin und Autorin am Mittwochabend mit der Journalistin Hilke Lorenz im Hotel Silber über ihre Familiengeschichte, die sie in dem Buch „The Letters Project: A Daughter’s Journey“ festgehalten hat.
Briefe nach dem Tod der Mutter gefunden
Nach dem Tod ihrer Mutter Ruth im Jahr 1986 habe sie viele Briefe gefunden, erzählt Eleanor Reissa vor rund 100 Gästen. Und erst 2017 habe sie sich um eine Übersetzung aus dem Deutschen bemüht. „Wenn man älter wird, wird man mutiger“, erklärte sie ihr Zögern. Die Briefe führten Eleanor Reissa nach Stuttgart: „Es war eine Art Mission“, berichtete sie. Sie recherchierte in Archiven und besuchte Mahnmale. Als sie die Namen der ersten Frau ihres Vaters, Chana, und deren Tochter Frida auf einem Mahnmal entdeckte – beide wurden von den Nazis ermordet –, sei sie schockiert gewesen. Es sei schwer zu begreifen gewesen, dass Frida ihre Halbschwester war. Auch einen Halbbruder hat sie: Heinrich überlebte in England.
Die Reise nach Stuttgart habe sie auch angetreten, weil der Vater nach dem Ende des Krieges zunächst hierher zurückgekehrt sei. „Er hat sich in Stuttgart mehr zuhause gefühlt als in Brooklyn. Dort ist er immer ein Fremder gewesen“, meint Reissa. In Stuttgart hatte es Chaskel Schlüsselberg als Kaufmann zu Wohlstand gebracht, bevor er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten alles verlor. In den USA seien beide Eltern schwerer Fabrikarbeit nachgegangen.
Das Erforschen der Vergangenheit hat auch die Tochter dem Herkunftsland des Vaters nähergebracht. Sie hat Deutsch gelernt und einen deutschen Pass beantragt und erhalten. Den Ausschlag dafür gab die erste Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im Jahr 2016. Ihr Vater habe einmal gesagt: „Wir konnten den Rauch riechen, aber wir sind nicht gegangen“. Die Situation in den USA bereitet ihr große Sorgen, in Deutschland fühlt sie sich dagegen „sehr zuhause“.