Hebammen sind im Kreißsaal unersetzlich. Doch Geburtshilfe ist ein Knochenjob und die Arbeitsbedingungen schlecht. Helena Pommerenke und Janine Brenner erzählen, warum sie die Klinik verlassen haben und was sich ändern muss, damit nicht noch mehr gehen.
Der Alltag im Kreißssaal einer Geburtsklinik ist hart. Wer es einmal selbst erlebt hat, der weiß: Hebammen hasten häufig von einem Zimmer zum Nächsten, betreuen mehrere Geburten gleichzeitig. Dabei die Ruhe zu bewahren, Schwangeren Halt und Sicherheit zu geben, während man selbst an seine Grenzen stößt, ist ein Kraftakt. Immer mehr Hebammen fühlen sich dem nicht mehr gewachsen und kehren dem Klinikalltag den Rücken.
Die Arbeitsbelastung ist hoch, die Verantwortung immens, die Bezahlung schlecht. Vieles von dem war Helena Pommerenke und Janine Brenner bewusst, als sie sich nach dem Abitur für den Hebammenberuf entschieden. Damals gab es deutlich mehr Interessentinnen als Stellen. Sie schickten viele Bewerbungen raus. Janine Brenner machte eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten in einer gynäkologischen Praxis und erst danach ihre Ausbildung zur Hebamme an der Uniklinik Heidelberg. Dann ging sie ans Olgahospital, bevor sie als selbstständige Hebamme ans Charlottenhaus wechselte. Helena Pommerenke machte ein Praktikum an der Filderklinik Bonlanden, lernte an der Uni Ulm und ging dann ebenfalls ins Charlottenhaus.
Die zwei jungen Frauen wissen, was es heißt, in einer Klinik zu arbeiten. Dort muss eine Hebamme oft mehrere Geburten gleichzeitig betreuen, der Takt ist hoch, die Zeit knapp. Auch für die werdenden Mütter ist das oft Stress. „Nach zwei Jahren am Olgahospital war ich ausgebrannt“, erzählt Janine Brenner. In dem mittlerweile geschlossenen Charlottenhaus sei die Situation besser gewesen, dort arbeiteten Beleghebammen. Das bedeutet, dass selbstständige Hebammen die Infrastruktur der Klinik nutzten.
Aber die Selbstständigkeit ließ keinen geregelten Arbeitsalltag zu: Nachtschichten, Rufbereitschaft, Einsätze an Wochenenden und Feiertagen. Das Telefon stand nie still. „Es war eine unglaublich harte Zeit“, sagt Helena Pommerenke. Sie sei an das Ende ihrer Kräfte bekommen.
Die beiden Stuttgarterinnen haben für sich die Reißleine gezogen. Helena Pommerenke hat vor zehn Jahren die Hebammenpraxis Freya ins Leben gerufen, Janine Brenner ist seit etwa fünf Jahren dabei. In der Freya betreut ein interdisziplinäres Team werdende und junge Mütter vor und nach der Geburt. Es gibt ein umfangreiches Kursangebot. Die beiden Hebammen schätzen vor allem das Netzwerk, den Erfahrungsaustausch und die Gewissheit, die Frauen so gut unterstützen zu können. Doch die Geburt selbst begleiten sie nicht mehr, und auch eine Wochenbettbetreuung bieten sie nicht mehr an.
Die Arbeit der Hebammen entlaste Praxen, Kinderärzte und Notaufnahmen
So wie Janine Brenner und Helena Pommerenke geht es vielen Hebammen. Die hohe Arbeitsbelastung ist ein Grund dafür, warum immer mehr aus dem Beruf ausscheiden. Schon 2022 war das ein großes Thema. Damals zeigte eine Umfrage des Deutschen Hebammen-Verbands unter mehr als 3500 Teilnehmenden, dass 70 Prozent nur noch in Teilzeit arbeiteten, dem Kreißsaal den Rücken zugekehrt oder ihren Beruf ganz aufgegeben hatten.
77 Prozent gaben damals an, dass sie wieder mehr im Kreißsaal arbeiten würden, wenn die Eins-zu-eins-Betreuung der Frau garantiert wäre, sie nur Hebammentätigkeit ausführen müssten und hebammengeleitete Geburtshilfe nicht nur leere Worte wären. Bei der hebammengeleitete Geburtshilfe übernehmen diese alle Aufgaben rund um das Thema, nur im Notfall wird ein Arzt hinzugezogen.
An der in der Umfrage von 2022 beschriebenen Situation habe sich nicht viel verändert, sage Helena Pommerenke. Und Janine Brenner ergänzt: „Wir lieben und leben diesen Beruf. Wir lassen die Frauen nicht im Stich. Aber wenn mal alle Hebammen auf einmal streiken würden, dann würde man deutlich spüren, welchen Beitrag wir leisten.“ Die Arbeit der Hebammen entlaste gynäkologische Praxen, Kinderärzte und Notaufnahmen. Sie seien die ersten Ansprechpartner bei einem Milchstau der Mutter oder wenn der Nabel des Kindes entzündet sei. „Für die Familien ist es nicht egal, ob wir da sind oder nicht. Wir sind diejenigen, die ihnen die Ängste nehmen“, sagt Janine Brenner.
Hebammen wünschen sich mehr Wertschätzung von Ärzten
Sie wünscht sich mehr Wertschätzung, zum Beispiel von Ärzten. Manche würden auf Hebammen herabschauen oder sich dagegen stemmen, Aufgaben an sie abzugeben. Dabei seien Hebammen speziell dafür ausgebildet, Frauen bei der Geburt ihres Kindes zu unterstützen und sie im Vorfeld und im Wochenbett gut zu betreuen. Im Sozialgesetzbuch sei festgeschrieben, dass Schwangere frei wählen dürfen, ob sie Vorsorgeuntersuchungen bei einem Arzt, bei einer Hebamme oder bei beiden im Wechsel in Anspruch nehmen wollen. Manche Ärzte haben jedoch Befürchtungen, dass eine Beteiligung von Hebammen an der Schwangerenvorsorge zu Abrechnungs- und Haftungsproblemen bis hin zu Regressforderungen führen könnte.
Vor diesem Hintergrund befürwortet Janine Brenner die Akademisierung des Hebammenberufs. Seit dem 1. Januar 2020 gilt: Wer Hebamme werden will, muss ein Bachelorstudium absolvieren. „Das könnte zu einem besseren Miteinander von Hebammen und Ärzten führen. Dank des Titels gewinnen die Hebammen an Augenhöhe“, sagt sie. Gleichzeitig hoffe sie, dass die Ausbildung nicht zu theorielastig werde. „Hebamme sein, ist ein Handwerk: man braucht viel Bauch- und Fingerspitzengefühl.“
Mehr Wertschätzung brauche es auch beim Thema Bezahlung, ergänzt Helene Pommerenke. Das betreffe vor allem die Wochenbettbesuche. Aktuell erhalte eine Hebamme 38,50 Euro für den Besuch der Mutter kurz nach der Geburt – unabhängig davon, wie lange der Termin dauert, und die Haftpflichtversicherung muss auch noch abgezogen werden. Das ist der Grund, warum ihre Kollegin und sie – ebenso wie viele andere Hebammen – keine Wochenbettbetreuungen mehr übernehmen.
Bei der Geburt gibt es längst eine Zweiklassengesellschaft
„So wenig Geld für so eine wichtige Aufgabe. Das ist eine Beleidigung“, findet Janine Brenner. Die Krankenkassen würden den Betrag festlegen, um ihn zu ändern, brauche es eine politische Entscheidung. Im Gegensatz dazu können Hebammen die Vorsorge und die Schwangerschaftsbegleitung nach Zeit abrechnen.
So wie den beiden Stuttgarterinnen geht es vielen Hebammen, weshalb werdende Mütter immer häufiger Probleme haben, eine Wochenbettbetreuung zu finden. Auch Beleghebammen, die die Frauen von der Feststellung der Schwangerschaft bis zum Ende des Wochenbetts zur Seite stehen, sind selten geworden – oder teuer. Denn um wirtschaftlich zu überleben, stellen viele auf privat zu zahlende Leistungen um. Das betrifft vor allem Geburten außerhalb der Klinik, also zum Beispiel in der eigenen Wohnung. Dafür muss sich die Hebamme Zeit frei halten. So entstehe eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, sagt Helena Pommerenke. Eine echte Wahlfreiheit, wo und wie Frauen gebären wollen, gebe es für viele nicht.
Was es braucht, um schwangere Frauen besser zu betreuen? Die beiden plädieren für mehr hebammengeleitete Kreißsäle. Darin würden gesunde Schwangere ausschließlich von Hebammen begleitet, wenn bei der Geburt keine Komplikationen auftreten. Sollte doch ein Facharzt gebraucht werden, steht die Versorgungsstruktur der Klinik zur Verfügung. Das Ziel ist es, dass Schwangere ihren Geburtsprozess so autark wie möglich erleben. Wenn es mehr solcher Kreißsaal gäbe, würden weniger Hebammen aus dem Beruf aussteigen oder ihre Arbeitszeit reduzieren, davon sind Helena Pommerenke und Janine Brenner überzeugt.
Dieser Text erschien erstmals am 24.12.2024.