Im Jahr 1909 gab's auf dem Cannstatter Wilhelmsplatz noch einen Springbrunnen Foto: Erika Lanz

Selten fallen die Urteile auf der eifrig kommentierten Facebook-Seite unseres Stuttgart-Albums so eindeutig aus wie beim Cannstatter Wilhelmsplatz. „Hässlicher geht nicht“ und „Schandfleck“ ist zu lesen. Wir blicken zurück auf alte Pracht und missglückte Pläne.

Selten fallen die Urteile auf der eifrig kommentierten Facebook-Seite unseres Stuttgart-Albums so eindeutig aus wie beim Cannstatter Wilhelmsplatz. „Hässlicher geht nicht“ und „Schandfleck“ ist zu lesen. Wir blicken zurück auf alte Pracht und missglückte Pläne.

Stuttgart – Selten fallen die Urteile auf der eifrig kommentierten Facebook-Seite unseres Stuttgart-Albums so eindeutig aus wie beim Cannstatter Wilhelmsplatz. „Hässlicher geht nicht“ und „Schandfleck“ ist zu lesen. Wir blicken zurück auf alte Pracht und missglückte Pläne. -

Keine Ampel, keine Blitzgeräte, keine Zebrastreifen – sehr beschaulich ging es 1909 auf dem Cannstatter Wilhelmsplatz zu, als noch mitten auf der Kreuzung ein Springbrunnen zwischen fünf Bäumen sprudelte. Das über 100 Jahre alte Foto, das Erika Lanz unserem Geschichtsprojekt Stuttgart-Album geschickt hat, lässt auf einen funktionierenden Mischverkehr schließen. Und das an einem Ort, an dem heute acht Straßenzüge und drei Stadtbahnlinien das Herz Cannstatts zerschneiden und sich ineinander so verknäulen, dass man als Fußgänger am liebsten Reißaus nimmt.

Vom heutigen hektischen Durcheinander ist die alte Idylle Lichtjahre entfernt. Ein Prachtboulevard führte vom Kurpark über die König-Karls-Brücke nach Stuttgart. Die wenigen Menschen, die auf dem Foto von 1909 zu sehen sind, konnten unbesorgt auf der Straße gehen, weil sie keine Störung fürchten mussten. Die langsam zuckelnde Straßenbahn verband den Bahnhof über die Marktstraße mit der Cannstatter Vorstadt.

1929 musste der Springbrunnen auf der Mitte des Platzes weichen, weil man dort einen hohen Stahlmasten für die Straßenbeleuchtung baute. Auf dem Foto von 1937 ist er zu sehen. „Im Gegensatz zum heutigen Zustand“, schreibt Rainer Müller, Kommentator auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums, „strahlt die Aufnahme von 1937 wenigstens einen gewissen Charme aus.“ Dazu habe der Rundbau des Café Widmann beigetragen: „Dies erinnert mich an das Café Kranzler am Berliner Kudamm und vermittelt sogar ein wenig Großstadt-Flair.“

Was ist von dem Platz übrig geblieben? Kann überhaupt noch von einem Platz gesprochen werden? „Wenn in Stuttgart eine Adresse auf -platz endet“, meint Tina Hoffmann, „kann man immer eine besonders große hässliche Straßenkreuzung erwarten.“ Bei den Kommentatoren des Stuttgart-Albums geht in der nahezu endlosen Debatte um den Cannstatter Wilhelmsplatz der Daumen klar nach unten, auch wenn es dieses Zeichen bei Facebook gar nicht gibt. Von einer „Bausünde“ und einer „grauen, tristen Betonwüste“ ist die Rede. Blogger Thorsten Puttenat schreibt: „Ein trauriger Ort für mich. Genau so macht man es besser nicht.“ Antonio Arnesano pflichtet ihm bei: „Diese Ecke ist so mies, dass selbst McDonald’s dort abgehauen ist. Furchtbar!“

Wie der Verkehr in den Wirtschaftswunderzeiten wächst, zeigen die Fotos von 1958 und 1965, die Michael Horlacher und Volker Grosser dem Stuttgart-Album geschickt haben. Immer mehr VW-Käfer rollen auf dem Wilhelmsplatz – in einer Stadt, deren neues Lieblingswort „autogerecht“ heißt.

Auf dem Foto von 1958 sieht man den Hochbunker und das Kaufhaus Pfullinger. 1965 war der heutige Medienberater Volker Grosser mit 17 Jahren Schüler des Gottlieb-Daimler-Gymnasiums. „Es war bekannt, dass der Wilhelmsplatz umgebaut werden sollte“, schreibt er, „deshalb ging ich mit meiner Adox Polomatic herum und machte diese Aufnahmen.“ 1997 gab er sieben Fotos dieser Serie als Postkarten heraus. Es sind noch einige übrig, zu bestellen für 7,50 Euro pro Satz über: vgrosser@gmx.de.

Die schon damals vorgebrachte Forderung, die Verkehrsströme wie beim Charlottenplatz unter die Erde zu legen, fand keine Zustimmung der Stadtplaner. Angesichts des Cannstatter Mineralquellen müsse man dies dringend unterlassen. „Heute bei den Bauarbeiten für Stuttgart 21 zählt dieses Argument nicht mehr“, bemerkt Volker Grosser. 1971 sind die Pläne für den Kaufhof vorgestellt worden. Prompt wehrte sich die Bürgerinitiative „Rettet die Cannstatter Innenstadt“ dagegen. Vor allem das geplante Parkdeck erschien vielen als völlig überdimensioniert. Im November 1976 feierte man Eröffnung der Filiale – ohne Parkdeck.

1982 wurde, wie Wilfried Weber schreibt, mit dem weiteren Umbau des Wilhelmsbaus „die schwäbische Erotik aus Cannstatt“ verbannt. Auf seinem Foto sieht man, wie Gleise verlegt werden. Ein Flachbau, auf dem „Erotic Show Center“ stand, musste weichen. Hier befand sich einst die Discobar Conny, wo der unvergessene DJ Lupus auflegte, bevor er ins Oz ging. Auch für die letzte Umgestaltung der Verkehrsdrehscheibe 2003 gab es wenig Beifall. Ein Facebook-User urteilt: „Die architektonische Hässlichkeit hat einen Namen – Wilhelmsplatz.“ Beim Bürgerhaushalt 2013 bekam der Vorschlag, „die schäbige Durchgangsstation ohne Aufenthaltsqualität“ zu begrünen, keine Zustimmung. An zentraler Stelle hat Cannstatt kein Herz – nur ein ungeliebtes Durcheinander.

Diskutieren Sie mit unter www.facebook.com/Album.Stuttgart. Das Stuttgart-Album ist im Silberburg-Verlag als Buch erschienen mit Texten von StN-Redakteur Uwe Bogen. Schicken Sie historische Fotos an info@stuttgart-album.de