Die Königin auf der oberen Königstraße: In Stuttgart herrschte am 24. Mai 1965 Ausnahmezustand, als die damals 39-jährige Queen Elizabeth II. mit ihrem Mann Prinz Philip in getrennten Autos durch die Stadt fuhr Foto: Günther Schaile

Stuttgart im Ausnahmezustand: Vor 50 Jahren begeisterte die Queen die jubelnde Stadt. Mit dem Besuch ist eine legendäre Frage verknüpft: „Where are the horses?“ In Schillers Marbach soll sich die Königin nach Pferden erkundigt haben. Heute wissen wir: Das Zitat war eine Zeitungsente.

Stuttgart - Stuttgart im Ausnahmezustand: Vor 50 Jahren begeisterte die Queen die jubelnde Stadt. Mit dem Besuch ist eine legendäre Frage verknüpft: „Where are the horses?“ In Schillers Marbach soll sich die Königin nach Pferden erkundigt haben. Heute wissen wir: Das Zitat war eine Zeitungsente.

„Die Queen“, erinnert sich Paul Meyer, ein Kommentator des Stuttgart-Albums, „kam in den 1960ern in der Rangordnung der Deutschen gleich nach dem lieben Gott.“ Auf dem Schlossplatz ist’s um ihn geschehen, notierte er auf der Facebook-Seite unseres Geschichtsprojekts – dort hat ihm die britische Regentin zugewinkt. Natürlich nur ihm ganz persönlich. Die Wahrnehmung von Ralph H. Schübel – er stand als Siebenjähriger am Straßenrand – war eine etwas andere: „Ich fand den 600er-Pullman zehnmal beeindruckender als den ganzen Rest.“

Noch heute scheint der Stoff der kuriosen Anekdoten endlos, für den der Staatsbesuch 20 Jahre nach Kriegsende gesorgt hat. Pannen, Tricks und Legenden ranken sich um die Queen-Visite. Mehr als eine halbe Million Menschen, ist in alten Zeitungen zu lesen, säumen die Straßen, als die damals 39-jährige Königin (sie trägt Gelb, natürlich mit Hut) in einem offenen Mercedes 600 Pullman winkend durch die jubelnde Stadt fährt. Zu dieser Zeit reisen die Königs mit dem Zug. Ministerpräsident Hans-Georg Kiesinger holt die royalen Gäste am Hauptbahnhof ab.

Die Fans von Königin Elizabeth II. steigen an diesem Montag auf Kiosk-Vordächer, Bäume und Telefonhäuschen – die freien Plätze entlang der Fahrstrecke sind rar. Einfallsreichtum beweisen auch findige Rathausbeamte. Dass man frisch streicht, um einen guten Eindruck zu machen, ist nicht neu. Für die beliebte Monarchin wird sogar der Rasen angemalt. Um sich nicht mit dem spärlichen Graswuchs vor dem Fernsehturm zu blamieren, hilft die Stadt mit grüner Sprayfarbe nach.

Auf dem Fernsehturm trägt sich die Regentin ins Goldene Buch der Stadt ein. Darin hat das Protokoll als Datum den 23. Mai notiert. Wohlgemerkt: Die Queen ist erst am 24. Mai gekommen. Wenig später gibt’s die nächste Panne. Als Prinz Philip in einem offenen Mercedes 300 seiner vorausfahrenden Gattin folgen will, springt die Limousine nicht an. So muss der Herzog in einen geschlossenen Ersatzwagen umsteigen. Lästermäuler wollen beobachtet haben, wie er so ausgiebig mit dem elektrischen Fensterheber spielte, bis die Batterie leer war.

Der Rasen, das Datum, die Autopanne – und noch eine Anekdote wird bis heute gern erzählt. Wer an den Besuch der hippophilen Königin zurückdenkt, steht vor der klassischen Frage: Where are the horses? Wo sind die Pferde?

Diese Frage – die Zeitungsarchive sind voll damit – soll Queen Elizabeth gestellt haben, als man sie nach Marbach chauffierte. Angeblich hatte sie sich aufs Gestüt Marbach gefreut – doch es sollte das Marbach mit dem Schillermuseum werden.

Ist bei dieser Anekdote was durchgegangen? Also nicht mal ein Pferd, sondern nur die Fantasie eines Berichterstatters? Where is the Wahrheit? Die tausendfach zitierte Pferdefrage ist eine Legende. Eberhard Muff, einst Protokollchef des Stuttgart-Besuchs der Queen, hat den Stuttgarter Nachrichten wenige Jahre vor seinem 100. Geburtstag anvertraut, wie es wirklich war. Das berühmte Zitat ist die Erfindung eines Journalisten. Die Sache mit dem Pferd – eine Zeitungsente ist’s!

Das Thema Pferde sei damals heikel gewesen bei den Vorbesprechungen des Staatsbesuchs, hat Eberhard Muff den Stuttgarter Nachrichten verraten. Das Protokoll des Landes wollte dem hohen Gast eine Freude machen und schlug eine Fahrt zu den Pferden vor. Doch dies lehnten die Briten ab. Sonst würden die Zeitungen der Insel bissig schreiben, selbst im Ausland hat sie immer nur ihre Pferde im Kopf. Daher war jedem – auch der Queen – klar, dass es nicht zum Marbacher Gestüt ging, sondern ins Schillermuseum des anderen Marbachs.

Leserin Gertrud Schmidt liefert noch eine schöne Geschichte vom Fernsehturm: „Als Double von Elizabeth schrieb kurz vor der Queen eine SDR-Sekretärin im Probelicht ihren Namen Anneliese Motzer in ein Gästebuch.“ Hoch oben hatten die Fernsehleute die Fenster mit Folien beklebt, um die Königin in einem schönen Licht filmen zu können

„Am Morgen waren Wind und Wolken über Stuttgart“, erinnert sich Günther Schaile an den Ausnahmezustand in Stuttgart, „aber pünktlich zur Ankunft der Königin zeigte sich die Sonne über Stuttgart.“ Schaile, der bis zu seiner Pensionierung 1998 bei den Stuttgarter Nachrichten als Produktionstechniker arbeitete, hat den Poststempel der Queen mit dem historischen Datum 24. 5. 1965 aufbewahrt sowie etliche Fotos, die er damals gemacht hat. „Es herrschte eine gelöste und friedliche Stimmung“, erinnert er sich. Auch die Rückfahrt vom Fernsehturm zum Neuen Schloss habe einem „Triumphzug“ geglichen.

Zumindest einem Rössle hat die Königin im legendären Mai 1965 ihre Ehre erwiesen. dem Stuttgarter Wappentier.

Zu unserem Geschichtsprojekt Stuttgart-Album sind zwei Bildbände im Silberburg-Verlag erschienen. Weitere Fotos vom Queen-Besuch und Kommentare dazu finden Sie im Internet unter www.facebook.com/Album.Stuttgart.