2015 wurde das heute drittwertvollste Start-up der Republik, die Softwareschmiede Personio, von vier Studenten gegründet. Ihre Personalsoftware hilft vor allem kleineren Firmen, viele Aufgaben zu meistern.
München - Die Pandemie hat entlarvt, dass die Bundesrepublik kein digitales Vorzeigeland ist. Das gilt vor allem auch für Kleinfirmen und manchen Mittelständler. „Dort wird oft noch mit Excel-Tabellen oder Stift und Papier gearbeitet“, sagt Roman Schumacher. Wenn solche Firmen überhaupt eine IT haben, die ihren Namen wirklich verdient, dann sei die oft nicht sehr modern, will der Produktvorstand des Münchner Start-ups Personio damit sagen. So erklärt er den rasanten Aufstieg des vor sechs Jahren von ihm mitgegründeten Unternehmens, das Personalsoftware für Firmen im Schwerpunkt zwischen 100 und 250 Beschäftigten anbietet. Großkonzerne hätten Betriebssoftware des Dax-Riesen SAP. „Man kann sagen, wir sind eine Art SAP für kleine und mittelständische Unternehmen“, sagt der 30-Jährige.
Noch ist das Unternehmen nur wenigen bekannt
Er sitzt bei diesen Worten entspannt im Besprechungsraum im vierten Stock des Firmensitzes am Münchner Hauptbahnhof. Noch dürften in der breiten Öffentlichkeit nicht viele von der Softwareschmiede gehört haben. Wenn es weiterläuft wie bisher, wird sich das bald ändern. Seit einer jüngsten Finanzierungsrunde Ende 2021 ist Personio mit 5,6 Milliarden Euro bewertet. Nur der Datenschürfer Celonis und die Bank N26 werden unter deutschen Jungfirmen noch wertvoller eingeschätzt.
Lesen Sie aus unserem Angebot: SAP zieht Tempo im Cloud-Geschäft an
Dabei steht Personio noch so gut wie am Anfang, glaubt man Schumacher. „Allein in Europa haben wir eine relevante Zielgruppe von 1,7 Millionen Unternehmen“, sagt der jugendlich wirkende Manager. Mit aktuell rund 6000 Firmenkunden, die 2021 einen höheren zweistelligen Millionenumsatz eingebracht hätten, seien erst 0,3 Prozent dieses Potenzials erreicht. „Wir kratzen noch an der Oberfläche“, sagt Schumacher mit Blick auf die Marktdurchdringung. Trotzdem sieht sich Personio bei Personalsoftware für Kleinfirmen als europäischer Marktführer.
Die Software hilft bei vielfältigen Aufgaben
Optimistisch für die Zukunft macht den Medieninformatiker, dass die eigene Software, die von Stellenausschreibung über Schichtpläne und Zeiterfassung bis zu Gehaltsabrechnung und Urlaubsmanagement Kernbereiche des Personalwesens umfasst, relativ schnell und einfach in Unternehmen zu installieren sowie kostengünstig ist. Sie bindet neuerdings auch oft in Firmen genutzte Fremdsoftware wie MS Teams ins Personio-System automatisch ein. People Workflow Automation nennt das Start-up den neuen Technologieschritt. „Wenn sich ein Mitarbeiter über Sprachassistenten wie Alexa oder per App krank meldet, werden vom System automatisch alle Kalendertermine abgesagt und das Team informiert“, erklärt er an einem Beispiel.
Ein Verkaufsargument sei auch, dass Personio-Rechenzentren nicht in einem fernen Ausland, sondern in Frankfurt und Karlsruhe stehen. „Personaldaten sind mit die sensibelsten eines Unternehmens“, stellt der Jungmanager klar. Das Start-up sieht sich als Digitalunternehmen aus Europa für Europa.
Investoren haben viel Geld in Personio gesteckt
„Personio demokratisiert Technologie“, lobt Neil Mehta, Gründer des Personio-Investors Greenoaks. Kleine und mittlere Unternehmen seien zu lange durch etablierte Anbieter von Personalsoftware vernachlässigt worden, obwohl sie das Rückgrat der europäischen Wirtschaft seien. Vorigen Herbst ist Greenoaks deshalb eingestiegen. Insgesamt haben Investoren inzwischen rund eine halbe Milliarde Euro in das Start-up gesteckt, und sie halten die Mehrheit der Firmenanteile. Die Mehrheit der Stimmrechte liegt aber noch bei den Gründern.
Die erfüllen ihre Prognosen. Vor Jahresfrist wurde eine Verdoppelung des Kundenstamms von damals 3000 Firmen als Ziel genannt. Es ist eine Ziellandung geworden. Rund 6000 Kunden haben 2021 für einen höheren zweistelligen Jahresumsatz gesorgt. „Der Plan ist, uns auch 2022 bei Kundenzahl und Umsatz zu verdoppeln sowie noch zwei weitere Jahre nahe an einer Verdoppelung dran zu bleiben“, sagt Schumacher. In fünf Jahren könnte Personio dann im Umsatz an der Milliardenschwelle kratzen, schätzt er.
Personio will schon in wenigen Jahren an die Börse gehen
Schon in zwei bis drei Jahren sehen die Gründer ihr Unternehmen an der Börse, ob in Deutschland oder den USA sei noch offen. Zur Finanzierung des geplanten Wachstums nötig wäre das nicht wirklich, betont Schumacher. Investoren der ersten Stunde wollten irgendwann aussteigen. Neue Geldgeber wie Greenoaks wollen längerfristig an Bord bleiben, weil Personio eine lukrative Marktlücke gefunden habe.
Begrenzt werde das rasante Wachstum am ehesten vom Personalaufbau, meint Schumacher. Wenn Kundenzahl und Umsatz sich verdoppeln, sei parallel eine Aufstockung des Personals um die Hälfte nötig. Rund 1000 Mitarbeiter sind es heute, etwa 1500 Beschäftigte sind für Ende 2022 angepeilt. Der Jungmanager ist zuversichtlich, das zu schaffen, obwohl sich große Teile der Wirtschaft um Softwareexperten reißen.
Auch wenn Personio beim Grundgehalt seine Beschäftigten branchenüblich vergütet, stehen die Mitarbeiter am Ende meist doch etwas besser da, denn: „Alle Mitarbeitenden erhalten Firmenanteile“, verrät Schumacher. Zudem biete man ein modernes Arbeitszeitmodell abseits von Präsenzkultur. „Als Personalunternehmen haben wir eine Vorbildfunktion“, findet er.
Von vier Studenten gegründet
Gründung
Personio ist 2015 von den Studenten Hanno Renner (Vorstandschef, 31), Roman Schumacher (Produktvorstand, 30) , Arseniy Vershinin (Technologievorstand, 31) und dem zwei Jahre später ausgeschiedenen Ignaz Forstmeier gegründet worden. Wenige Monate nach Gründung ist der heute für das Tagesgeschäft zuständigen Vorstand Jonas Rieke (31) dazugestoßen. Das Start-up betreibt Standorte in London, Dublin, Amsterdam und Madrid. Am Münchner Firmensitz arbeiten knapp 700 der rund 1000 Beschäftigten.
Kunden
Die Personalsoftware von Personio wird im Abomodell vertrieben und kann über die Datencloud im Internet auf Monats- oder Jahresbasis gemietet werden. Für eine Firma mit 1000 Beschäftigten kostet das zum Beispiel 40 000 Euro jährlich. Personio-Programme können nach Angaben ihrer Erfinder binnen vier Wochen in Firmennetzen installiert werden, was verglichen mit anderer Personalsoftware vergleichbaren Umfangs eine kurze Zeit ist. Nutzer sind kleinere Unternehmen oder andere Start-ups wie die deutsche Limonaden-Kultmarke Fritz-Kola aus Hamburg.