Ein Paar aus Tunesien will den VfB Stuttgart im Stadion anfeuern – doch dann kommt ihre Tochter zur Welt. Nun hat die Familie den gemeinsamen Arenabesuch nachgeholt.
Aus dem gemeinsamen Stadionbesuch war Ende September nichts geworden. Selma und Emir Gharbi waren in den Flieger nach Stuttgart gestiegen, um den VfB Stuttgart in der MHP-Arena anzufeuern. Die Tunesier kommen öfter hierher ins Stadion. Doch dieser Besuch verlief anders als geplant.
Emir Gharbi ist immer wieder geschäftlich in Deutschland unterwegs, der 47-Jährige kennt fast alle Bundesländer. Stuttgart hat es ihm besonders angetan – sogar ihre Hochzeitsreise vor neun Jahre führte das Paar in die schwäbische Landeshauptstadt.
Am 6. Oktober dieses Jahres war wieder ein Heimspiel eingeplant. Die beiden wollten den VfB gemeinsam von der Tribüne aus anfeuern. Doch es kam anders. Selma Gharbi war zu diesem Zeitpunkt am Anfang des neunten Schwangerschaftsmonats.
VfB-Mützchen und Brezeldecke für das Neugeborene
Zwei Tage vor dem Spiel kam ihre Tochter Sarah im Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus zur Welt. Vater Emir Gharbi bejubelte alleine den späten Ausgleichstreffer des VfB gegen die TSG Hoffenheim. Doch er brachte allerlei Fanartikel mit und stattete seine Tochter mit VfB-Mützchen, Brezeldecke und Body mit der Aufschrift „Ich bin Stuttgarter“ aus.
Den geplanten Rückflug am 7. Oktober verschob die Familie und verbrachten stattdessen vier Wochen in Stuttgart mit ihrer neugeborenen Tochter.
Die Geschichte der Gharbis erreichte auch den VfB. Am vergangenen Donnerstag wartete eine besondere Überraschung auf die Familie. Timothy Holzhäuer, zuständig für den Kinder- und Familienbereich, lud die drei Tunesier in die MHP-Arena ein. Er sagt: „Wenn die Familie schon nicht zusammen ins Stadion gehen konnten, dann eben jetzt.“ Eine Einladung, die sie sich nicht entgehen ließen.
Seit sieben Jahren regelmäßig im Stadion
Als Holzhäuer das Tor zum Eingang der MHP-Arena aufschließt, erleben die Gharbis das Stadion von einer Seite, die nur wenige zu sehen bekommen: leer und fast schon ehrfürchtig still. Hier und da sind noch Arbeiter unterwegs, die die Überbleibsel des Championsleague-Spiels vom Vortag aufräumen.
„Seit 2017 komme ich hierher“, erzählt Emir Gharbi, während er in die leeren Ränge blickt und sich an sein erstes Spiel in Stuttgart erinnert. Es endete mit 0:0 gegen Augsburg. Seitdem versucht er alle drei Monate bei den Heimspielen dabei zu sein, manchmal in Begleitung seiner Frau und seinen älteren Kindern, die ebenfalls von der Stadt und dem Verein begeistert seien.
Sein Highlight bisher: Das Spiel im September gegen Dortmund. „Es war schwer an Tickets zu kommen“, sagt Gharbi. „Letztendlich habe ich 429 Euro dafür ausgegeben. Aber es hat sich gelohnt!“ Der VfB glänzte an diesem Tag und schickte die Dortmunder mit einem spektakulären 5:1 nach Hause. „Jetzt fehlt nur noch der FC Bayern München“, sagt er, dann habe er alle seine Wunschgegner einmal live miterlebt.
„Undav und Führich sind meine Lieblingsspieler“
Auf dem Arm ihrer Mutter darf die kleine Sarah dort Platz nehmen, wo sonst Sebastian Hoeneß und sein Team sitzen. Immer wieder rutscht ihr die Mütze mit den VfB-Farben ins Gesicht. Ihr Papa zückt erfreut das Handy und hält die besonderen Einblicke fest.
Seit der Geburt des Kindes ist Selma Gharbi in Stuttgart. Ihr Mann war zwischenzeitlich aufgrund seiner Arbeit bei der Polizei wieder in Tunesien. Anfangs waren sie im Hotel untergebracht, doch nach der Geburt haben sie sich eine Wohnung für ihren Aufenthalt gemietet. Das war nicht billig, geben die beiden zu. „Meine Frau hat dafür sogar ihr Auto verkauft“, verrät der Tunesier.
Die Zeit in Stuttgart sei ihnen wichtig. Besonders begeistert seien sie von den Menschen, die hier leben. „Die sind einfach so freundlich!“ Aber auch eine andere Sache genießen sie, wenn sie hier in Deutschland sind: „Sauerkraut“, sagt Emir Gharbi und seine Frau lacht zustimmend.
Holzhäuer führt die beiden durch den Gang, wo sonst die Fußball-Stars einlaufen. Dann geht es weiter in die Kabinen. Der Raum wird von einem LED-Licht an der Wand ausgeleuchtet, das VfB-Logo prangt an der Decke. Die Trikots der Spieler hängen an der Wand, darüber leuchten Nummer und Name. „Undav und Führich sind meine Lieblingsspieler“, merkt Gharbi an, während er in Richtung der Trikots steuert.
Überraschungsbesuch sorgt für Emotionen
Sarah kann mit all dem noch nichts anfangen. „Wenn sie älter ist, kommen wir wieder“, sagt ihr Vater und lacht. Zurück im Stadion steht die Familie am Spielfeldrand und genießt die besondere Atmosphäre. Doch eine Überraschung hat Holzhäuer noch auf Lager. Aus Richtung des Eingangs kommt ein weiß-rotes Trikot zum Vorschein, heraus ragt ein grüner Kopf. „Das Krokodil“, ruft Emir Gharbi.
VfB-Maskottchen Fritzle läuft winkend auf die Familie und nimmt das Baby sanft in seine Arme. Sarah döst seelenruhig weiter. In Fritzles Arm scheint es der Kleinen zu gefallen.
Die Familie ist vom Stadionbesuch berührt: „Der heutige Tag war ein Traum“, sagt die Mutter der kleinen Sarah. In den kommenden Tagen soll es zurück nach Tunesien gehen. Die Familie freut sich auf die Rückreise, doch ein bisschen Wehmut, die Stadt zu verlassen, ist auch mit dabei. Eines ist sicher: Es soll nicht der letzte Stuttgart-Trip gewesen sein.