Bei der Behandlung von Depression läuft vieles nach dem Try-and-Error (Versuch und Irrtum)-Prinzip. Der Erkrankte nimmt so lange Medikamente, bis irgendwann eines hilft. Das kann jedoch Monate oder Jahre dauern oder auch gar nichts bringen. Foto: Imago/IlluPics

Es gibt nicht die eine Depression, genauso wenig wie es das eine Medikament und die eine Therapie gibt. Forscher haben jetzt sechs verschiedene Unterarten dr psychischen Erkrankung ausgemacht, die sich mithilfe von Hirnscans erkennen lassen. Dies könnte es künftig erleichtern, die wirksamsten Behandlungsmethoden anzuwenden.

Depressionen sind weltweit die am häufigsten auftretende psychische Erkrankung. Das Bundesgesundheitsministerium schätzt, dass bis zu vier Millionen Deutsche davon betroffen sind und fast zehn Millionen Menschen in Deutschland bis zum 65. Lebensjahr mindestens einmal eine Depression durchleiden.

Depression ist nicht gleich Depression

Wie US-Forscher jetzt herausgefunden haben, gibt es bei Depressionen offenbar sechs verschiedene Unterarten, sogenannte Biotypen. Dafür untersuchte das Team um Leanne Williams und Leonardo Tozzi von der Stanford University (US-Bundesstaat Kalifornien) die biologischen Vorgänge bei dieser psychischen Erkrankung genauer. Die sechs Biotypen lassen sich anhand von Hirnscans erkennen. Ihre Studie ist im Fachmagazin „Nature Medicine“ erschienen.

Blick ins Gehirn von psychisch Kranken

Die Wissenschaftler beobachteten mithilfe funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) die Gehirnaktivität von 801 Personen, die an Depressionen oder einer Angststörung litten, sowie von 137 gesunden Menschen.

Die Hirnscans offenbarten bei den Patienten sechs unterschiedliche Aktivitätsmuster in den untersuchten Hirnregionen:

  • So wies einer dieser Depressions-Biotypen (DC+SC+AC+) beispielsweise eine grundlegend höhere Aktivität in drei neuronalen Schaltkreisen auf, die an der Verarbeitung von Aufmerksamkeit beziehungsweise Ruhe beteiligt sind. Diese Areale werden auch zur Problemlösung verwendet.
  • Bei einem anderen Biotypen (AC-) war hingegen einer dieser für Aufmerksamkeit zuständige Schaltkreise deutlich weniger aktiv als bei gesunden Menschen.
  • In einem weiteren Biotypen (NSA+PA+) zeigten sich wiederum auffällige Aktivitätsmuster beim Lösen emotionaler Aufgaben. Im Gehirn dieser Personen waren die Affektschaltkreise überaktiv, was für negative beziehungsweise positive Affekte bei traurigen und fröhlichen Reizen sorgte.
  • Am häufigsten trat jedoch ein Biotyp auf (CA+), bei dem die Neuronen zur kognitiven Kontrolle überaktiv waren.
  • Einer der beiden selteneren der sechs identifizierten Biotypen ist neurologisch betrachtet unauffällig. Die Hirnaktivität dieser Testpersonen mit psychischer Erkrankung unterschied sich nicht von der von Gesunden.

Sechs Biotypen von Depression

Tozzi und seine Kollegen schließen aus diesen Ergebnissen, dass sich Depressionen in sechs Biotypen unterscheiden lassen. Die verschiedenen Subtypen sind mit unterschiedlich starken und teilweise verschiedenen Symptomen verknüpft:

  • Die Betroffenen aus den Gruppen NSA+PA+ und CA+ empfanden beispielsweise noch weniger Freude als die anderen Testpersonen.
  • Der Subtyp CA+ war zudem ängstlicher, während der Typ NSA+PA+ mehr grübelte.
  • Menschen mit dem Biotyp AC- litten hingegen unter weniger Spannungen.
  • Der therapeutische Erfolg unterschied sich ebenfalls je nach Biotyp, wie die Psychiater feststellten. Demnach linderte das Antidepressivum Venlafaxin (es gehört zur
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  • Klasse der so genannten selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, SSNRI) die Depressions-Symptome bei den Testpersonen mit dem Subtyp CA+ deutlich besser als bei den anderen Patienten.

Gesprächstherapie hilft nicht allen

  • Bei dem Biotypen mit den drei überaktiven Hirnregionen, die zur Problemlösung verwendet werden (DC+SC+AC+), half am besten eine Verhaltens- und Gesprächstherapie.
  • Bei dem Biotypen, bei dem die Nerven zur Steuerung der Aufmerksamkeit weniger aktiv waren (AC-), half diese Art der Behandlung hingegen am wenigsten.

Neue Therapieansätze durch Gehirnscans

„Dies ist das erste Mal, dass wir zeigen konnten, dass Depressionen durch verschiedene Funktionsstörungen des Gehirns erklärt werden können“, erläutert Williams. Je nach Depressionsform und Biotyp ergeben sich aus den Gehirnscans nun unterschiedliche Therapieansätze.

Damit eröffnet die Studie erstmals eine personalisierte Medizin für die psychische Gesundheit, so das Team. Künftig könnten demnach Gehirnscans dazu beitragen, schneller hilfreiche und insgesamt wirksamere Therapien zu entwickeln. Auch neuartige Medikamente dabei erforscht werden. Das soll eine noch passgenauere Zuordnung und eine bestmögliche Therapie gewährleisten.

Info: Depression – Ursachen, Therapien, Medikamente

Ursachen
Biochemisch resultiert die Depression aus einem Wirrwarr jener Botenstoffe – sogenannte Neurotransmitter –, die im Gehirn für die Übertragung zwischen den Nervenzellen sorgen. Solange ihre Speicher gefüllt sind, läuft der „Motor“ des Gefühlslebens normal. Bei einer Störung des empfindlichen Nervenstoffwechsels aber kann wie aus heiterem Himmel eine Depression auftreten. Warum gerade bei Depressiven Produktion und Verteilung der Botenstoffe aus dem Ruder läuft, ist bis heute nicht genau geklärt. Neben erblicher Veranlagung sind es etwa schwere Schicksalsschläge wie der Tod eines geliebten Menschen oder die Trennung von einem Partner, welche zu einer Depression führen können.

Therapien
Psychische Erkrankungen sind oft schwer zu diagnostizieren - und noch schwerer zu therapieren. Bei etwa 30 Prozent der Betroffenen sind weder Antidepressiva noch Psychotherapie hilfreich. Es gebe viele Arzneien, die „wirksam sind, aber nicht allen helfen“, erklärt der Psychiater Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. So spreche beispielsweise nur ein Teil der Patienten auf Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) an. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Antidepressiva, die bei diesem Krankheitsbild zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten gehören.

Try-and-Error
„Zurzeit läuft vieles nach dem Try-and-Error (Versuch und Irrtum)-Prinzip“, erläutert der Molekularbiologe Sven Cichon, Leiter der Medizinischen Genetik des Universitätsspitals Basel. Der Patient nehme so lange Medikamente, bis irgendwann eines hilft. Das kann jedoch Monate oder Jahre dauern oder auch gar nichts bringen. Während dieser Zeit des Wartens verschlimmert sich oftmals die Depression. Die Medikamente wirkten sehr unspezifisch und hätten daher oft starke Nebenwirkungen hätten, so Cichon.