Während Betriebsrat und Gewerkschaft noch für die Erhaltung der Arbeitsplätze in der näheren Umgebung kämpfen, organisiert die Geschäftsleitung des Rudersberger Fensterbauers Weru eine Jobbörse – und lädt auch die Konkurrenz ein.
Markus Hehr ist mit Herz und Verstand das, was man hier einen Weruaner nennt. Seit 33 Jahren arbeitet der ausgebildete Schreiner bei dem Unternehmen, das seit ziemlich genau 181 Jahren in Rudersberg Fenster und Türen produziert. Direkt nach der Lehre hat er bei Weru angeheuert und der Firma ununterbrochen die Treue gehalten. Zuletzt hat das in ganz Deutschland bekannte Unternehmen von seinem reichen Erfahrungsschatz bei der Produktion ihrer aus Aluminium gefertigten Premiumprodukte profitiert. Jetzt allerdings muss sich der 53-Jährige wohl nach einem neuen Arbeitgeber umschauen – wie rund 150 andere Facharbeiter auch.
Spur der Verwüstung in den Fertigungsanlagen
Weru will nicht mehr an seinem Stammsitz produzieren. Die Geschäftsleitung des seit drei Jahren zum dänischen Dovista-Konzern gehörenden Unternehmens begründet das damit, dass die bei dem verheerenden Hochwasser zerstörten Fertigungsanlagen vor Ort nicht mehr wirtschaftlich tragbar neu aufgebaut werden könnten. Anfang Juni war nach extremen Regenfällen eine gut zweieinhalb Meter hohe Flutwelle quer durch das Firmengelände geschwappt und hatte eine Spur der Verwüstung hinterlassen.
Die Arbeitnehmervertreter hingegen sind überzeugt, dass die Flut nur das beschleunige, was ohnehin angedacht gewesen sei. Denn schon bei einer Betriebsversammlung Ende 2023 sei angekündigt worden, dass die Geschäftsleitung beabsichtige, eine der Produktionslinien – nämlich die der Hebe-Schiebe-Türen – ins rund 350 Kilometer entfernte Schwesterwerk im ostthüringischen Triptis zu verlagern, sagt Rüdiger Augustin, der Betriebsratsvorsitzende. Die eigentlich angedachten Verhandlungen darüber seien indes nie angelaufen.
Nun verhandelt man stattdessen über einen Interessensausgleich für die komplette Schließung der Produktion. Doch die anfangs konstruktiven Gespräche seien vor rund einem Monat abrupt abgebrochen worden, sagt Augustin. Stattdessen sei das Arbeitsgericht eingeschaltet worden, um – mittlerweile in zweiter Instanz – über eine allgemeingültige Vereinbarung für die vorübergehende Entsendung von Rudersberger Mitarbeitern zur Mithilfe beim Aufbau der Produktion in Thüringen zu befinden.
Die Verwaltung soll in Rudersberg erhalten bleiben
Gut 15 Facharbeiter sind der mit Sonderkonditionen versüßten Bitte der Geschäftsleitung bereits ohne eine solche Betriebsvereinbarung gefolgt. Doch die würde sich noch ein paar mehr wünschen. „Wir brauchen den Wissenstransfer, um so schnell wie möglich wieder komplett lieferfähig zu sein“, sagt der Geschäftsführer Frank Fleissner. Denn Zeit sei nicht nur Geld, es gehe um die Zukunft des Unternehmens – und damit auch um den Standort Rudersberg, wo der Verwaltungssitz mit seinen weiteren rund 150 Mitarbeitern erhalten bleiben soll. Der Wiederaufbau der ebenfalls durch die Flut massiv geschädigten Räumlichkeiten gestalte sich zwar schwierig – die reguläre Stromversorgung habe erst vor wenigen Tagen wiederhergestellt werden können –, aber man hoffe, dass die zurzeit vorwiegend im Homeoffice tätige Belegschaft im November wieder in ihre Büros zurückkehren könne.
Das hört Rüdiger Augustin, der zusammen mit seinen Betriebsratskollegen in einem Raum des örtlichen Turn- und Sportvereins eine provisorische Anlaufstelle eingerichtet hat, gern. Doch in Sachen Produktion hat er eigentlich noch nicht aufgegeben. Die Arbeitnehmervertreter haben sich selbst auf die Suche nach geeigneten Flächen im Rems-Murr-Kreis gemacht – und sind in einer Halle bei Winterbach fündig geworden. Einen Neustart dort hätte man gerne zusammen mit einer eigens beauftragten betriebswirtschaftlichen Beratungsgesellschaft durchgerechnet, sagt Thomas Martin von der IG Metall. Was seiner Meinung nach auch im Interesse des Arbeitgebers sein müsste, schließlich ginge bei einer Verlagerung in den Osten unglaublich viel Wissen, Können und Identifikation verloren. Doch an diesem Punkt habe die Geschäftsleitung die Gespräche abgebrochen.
Geschäftsführer: Alle Alternativen sind geprüft
Diese erteilt dem Projekt einer weiterhin lokalen Produktion auf Nachfrage unserer Zeitung allerdings eine kategorische Absage. „Wir haben alle Alternativen – auch diese – eingehend geprüft“, sagt Frank Fleissner. Es sei wirtschaftlich nicht darstellbar eine Kleinstorganisation neben der Serienproduktion aufzubauen. Die soll nun vielmehr an den beiden thüringischen Standorten in Triptis und Gomlar mit ihren jeweils rund 500 Mitarbeitern konzentriert werden. Fleissner: „Wir bekennen uns damit zu made in Germany.“
Für jeden Rudersberger, der mit nach Thüringen gehen möchte, könnte sofort ein Blankovertrag ausgestellt werden, sagt Frank Fleissner, jede Fachkraft würde mit Kusshand genommen. Doch er weiß auch, dass dies für die wenigsten eine Option darstellt. Schließlich sind fast alle in der Region verwurzelt, einige haben hier Wohneigentum erworben.
Job-Börse mit 13 Firmen exklusiv für Weruaner
Die Geschäftsleitung ist deshalb bemüht, Alternativen aufzuzeigen – notfalls auch bei der Konkurrenz. In der Rudersberger Gemeindehalle ist eigens eine Jobbörse organisiert worden, insgesamt 13 Firmen aus dem Rems-Murr-Kreis haben sich hier präsentiert – und das ausschließlich den vom Verlust ihres Arbeitsplatzes bedrohten Weru-Fachkräften.
Peter Gadhof, der für Zentraleuropa zuständige Dovista-Personalchef, sieht darin ein Signal, dass sich Weru um seine Mitarbeiter kümmere. „Uns allen ist daran gelegen“, sagt Gadhof bei der Eröffnung der Job-Börse, „dass sie schnell ein neues berufliches Zuhause finden“.
Am liebsten würden alle weiter bei Weru arbeiten
Auch Markus Hehr informiert sich bei der exklusiven Messe in der Rudersberger Gemeindehalle. Ein Fensterbauer aus der Nähe seines Wohnorts Aspach ist unter den Ausstellern. Doch Hehr ist zwiegespalten. „Ich schaue nach vorne“, betont der langjährige Weru-Monteur, der von vielen mit Handschlag begrüßt wird. „Aber will ich mit 53 Jahren und meiner Erfahrung noch Fenster auf Baustellen einbauen?“ Unabhängig davon wisse er nicht, wie er einem Jobangebot begegnen soll. „Was soll ich sagen? Dass ich morgen anfangen kann? Und was ist dann mit einer möglichen Abfindung?“
Wie Hehr geht es den anderen auch. „Die Mitarbeiter wollen eine Perspektive und konkret wissen, was Sache ist“, sagt der Betriebsrats-Chef Augustin, der selbst seit 36 Jahren mit dem Unternehmen verbunden ist. „Am liebsten aber würden sie weiter bei Weru arbeiten.“
Seit 181 Jahren in Rudersberg
Produktion
Die Weru GmbH fertigt seit 1843 Fenster und Türen in Rudersberg. Angefangen hatte man damals mit Rollladenkästen, Zuletzt wurden in der rund 12 000 Einwohner zählenden Kommune im Wieslauftal Alu- und Kunststofftüren sowie Hebe-Schiebetüren hergestellt. Aktuell stehen hier 295 Menschen auf der Lohnliste, gut die Hälfte im Bereich der Produktion. Rudersberg ist Sitz der Geschäftsleitung und Verwaltung. Im Schwesterwerk im rund 350 Kilometer entfernten thüringischen Triptis werden überwiegend Kunststofffenster produziert. Rund 500 Mitarbeiter sind dort beschäftigt.
Inhaber
Der Name Weru ist ein Akronym von „Willy Eppensteiner, Rudersberg“ – Willy Eppensteiner leitete den Betrieb ab 1935. Das Unternehmen wechselte ab den 1990er Jahren dann mehrmals den Besitzer. Seit 2021 gehört die Weru-Gruppe dem dänischen Fensterbauer Dovista.