Diese Nachricht legte eine Tochter der Mutter im Corona-Lockdown auf die Tastatur, während die in einer Videokonferenz war. Foto: Landesmuseum Württemberg, Jonathan Leliveldt, CC BY-SA 4.0

Die Mitmachausstellung „We are Family“ im Museum der Alltagskultur in Waldenbuch fragt ab dem 16. Mai, wie Familie gelernt und gelebt wird, und was sie zusammenhält. Wir zeigen, was Kinder und Erwachsene dort entdecken können.

Der Duft von gelierenden Zwetschgen in Oma Marias Kessel unter Akazienbäumen. Das Hochzeitsfoto der Ururgroßeltern, auf dem alle so schrecklich ernst vor dem Aussteuerwagen sitzen. Ein Zettel im Corona-Lockdown auf die Computertastatur der Mutter gelegt: „Mama kannst du bitte bissle leiser reden?“

 

Familie, das zeigt die Mitmachausstellung „We are family“ im Museum der Alltagskultur in Waldenbuch, ist ein Schatzkästle voller Bilder, Gefühle, Erinnerungsschnipsel. Gefüllt mit dinggewordenen Momenten und Lebensbedingungen, denen immer auch die Zeitläufte, der Zufall und die gesellschaftlichen Zwänge eingeprägt sind.

40 Objekte zu vier Themenfeldern

Was ist Familie, wie wird sie gelernt, gelebt, von wem und was gehalten? Das wollen Kuratorin Raffaela Sulzner und ihr Team die Besucher mit dieser Schau aus 40 Objekten vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute fragen. Die Räume, vier Themenfeldern zugeordnet, lassen sich immer auch spielend erschließen.

Ein Puppenhaus etwa lädt ein, eigene und andere Familienbilder zusammen zu setzen. Geräusche, Gerüchen und Materialien zum Tasten sollen Verwandtschaftsbeziehungen in sinnliche Erinnerungen übersetzen. Dass sich die Definition dieser kleinsten sozialen Einheit immer wieder neu zusammensetzt – dafür stehen zum Beispiel die Anzüge des ersten Männerpaares, das seine Lebenspartnerschaft eintragen ließ.

Eine polyamore Frau mit drei Partnern

In der Ausstellung erzählen Familien, die teils in Videos zu sehen sind, ihren Alltag. Eine Frau, die polyamor lebt, erklärt, wie sie die Zeit mit ihren drei Partnern und Kindern per Google-Kalender organisiert. Die Mutter eines behinderten Kindes zeigt ihre Alltagsretter – ein Zimmeruntergestell und die Musik –, während eine Ghanaerin die Sehnsucht nach ihrer Tochter in der alten Heimat umtreibt. Und schließlich nisten in der BDM-Uniform einer geschätzten Tante, entdeckt auf dem Dachboden lange nach deren Tod, jener Abgrund und diese Düsternis, die Familie eben auch sein kann.

Stellvertretend zeigen wir hier sieben Objekte aus der Ausstellung und wofür sie stehen:

Corona lässt grüßen

Eine Mutter versucht im Lockdown im Homeoffice zu arbeiten, die Tochter sitzt nebenan an ihren Schulaufgaben. Während einer dieser kuriosen neuen Telefonkonferenzen („Haaaaalloooo, hört ihr mich?!?“) schiebt das Kind ein Zettelchen herüber. „Mama, kannst du bitte bissle leiser reden“. 11 Gegenstände hat das Museum aus der Coronazeit in die Sammlung aufgenommen. Auf einen Aufruf hin hatten Menschen 600 Fotos und Texte aus ihrem Alltag in der Pandemie eingesandt. In der Ausstellung erzählt nun die Nachricht der Tochter von dieser anstrengenden, angstmachenden, ein bisschen irren, aber eben auch nahen Zeit in den Familien – und davon, wie sich diese immer wieder neu organisieren.

Patchwork voller Leben

„Auf Kante“ heißt die Arbeit der Künstlerin Anna Gohmert, hier zu sehen bei einer Ausstellung im Haus der Katholischen Kirche Stuttgart.

Fast 200 Jahre war diese Schreinerwerkstatt in Aulendorf Lebensgrundlage der Familie Boos, bis in die 60er Jahre arbeitete der letzte Schreiner der Familie darin. Heute steht sie im Museum Waldenbuch. Nun hat in diesem historischen Ambiente die zeitgenössische Arbeit der Stuttgarter Künstlerin Anna Gohmert ihren Platz gefunden. Die hörte für ihr 25-minütiges multimediales Werk mit dem Titel „Gescheite(rte) Familienplanung“ unter anderem bei Alleinerziehenden, Patchworkfamilien, homosexuellen und kinderlose Paaren nach, was sie umtreibt. Die multimediale Installation aus Glasobjekten, Ton und Licht bildet den Abschluss der Ausstellung. Ein anderes Werk Gohmerts hingegen begrüßt zu Beginn die Besucher (im Bild): Von der Decke hängt ein 3,60 langer Quilt mit dem Titel „Auf Kante“. Dafür vernähte die Künstlerin Stoffe verschiedener Familien zu einem Patchwork-Muster, das keinen klaren Regeln folgt.

Die Hochzeit der Dinge

Hochzeitsgesellschaft vor Aussteuerwagen. /Landesmuseum Württemberg, Jonathan Leliveldt, Alexander Lohmann, CC BY-SA 4.0

Von wegen Junggesellinnenabschied und Honeymoon – Heiraten war früher eine todernste Angelegenheit. Zumindest wenn man nach der Fotografie „Hochzeitsgesellschaft mit Aussteuerwagen im Hintergrund“ (Heilbronn, 1880-1920) geht. Zu sehen sind die frisch Vermählten mit Gästen, Wirtsleuten und Gesinde. Aber lachen tut nur der junge Mann in der letzten Reihe, der einen Bierkrug halten darf. Dass sich Familie auch über die Ausstattung eines Haushalts definiert, dass sich manchmal wohl weniger zwei Herzen als vielmehr Besitzstände finden, auch davon erzählt das Bild in „We are Family“. Was da alles hergezeigt wird! Bettzeug, Stühle, Kommode, Hemden, Tücher, eine Wäscherumpel. Der über allem thronende Stubenwagen erinnert das junge Paar daran, was nun von ihm erwartet wird. Da können einem schon mal die Gesichtszüge entgleisen.

Familie hat viele Räume

Wie wird Familie konstruiert, fragt dieses Puppenhaus aus den 50er Jahren. /Landesmuseum Württemberg, Jonathan Leliveldt, Alexander Lohmann, CC BY-SA 4.0

Zahlreiche Puppenhäuser finden sich in der Sammlung des Museums. Traditionell als Spielplatz für Mädchen gedacht, sollten diese kleinen Stuben sie auf den Bestimmungsort Haushalt vorbereiten. Ein Exemplar aus den 50er Jahren hat Kuratorin Raffaela Sulzner für die Schau ausgewählt: Dieses Schwarzwaldhaus hat viele Räume, in denen die Zeit festgegossen wie Blei scheint. Umso mehr fordern sie aber auch auf, sie zu dekonstruieren, neu zu bestücken und bespielen. Das Haus selbst ist nur als großes Bild zu sehen, auf Tischen laden Figuren ein, sich eigene Familienwelten zusammen zu bauen.

Wonach riecht Kindheit?

Gabor Balasz malte diese Szene aus seiner Kindheit in Ungarn. /Landesmuseum Württemberg, Jonathan Leliveldt, Alexander Lohmann, CC BY-SA 4.0

Ein Augustnachmittag Mitte der 50er Jahre auf einem Hof in Ungarn: Oma Maria kocht im Freien Marmelade, Enkel Gabor hilft, den Kessel mit getrockneten Maiskolben zu beheizen. Viele Jahre später, als er längst in Stuttgart lebte, hat Gabor Balasz diese Szene seiner Kindheit gemalt. Vielleicht hatte er dabei den Duft der heißen Früchte im Kessel wieder in der Nase, das „Gokgok“ der Hühner im Ohr. In der Ausstellung soll das Bild seine Betrachter fragen, welche Düfte, Geräusche, taktilen und visuellen Erinnerungen für sie Familie sind, sagt Kuratorin Raffaela Sulzner. Aber auch Gerüche wie Kaffee, Eukalyptus, Weihnachtsgewürze inspirieren zum Nachspüren.

Was die Eltern weiterreichen

Nur zu Weihnachten durfte Cordula mit dem Zirkuswagen spielen. Danach ging er auf Reisen. /Landesmuseum Württemberg, Jonathan Leliveldt, Alexander Lohmann, CC BY-SA 4.0

Der zerliebte Teddybär, das Hanni-und-Nanni-Buch mit dem bemalten Buchdeckel, die Puppe mit dem Hängeaugen – fast jeder hat noch so ein altes Spielzeug, von dem er sich nicht trennen konnte. Manchmal wohnt es im Zimmer der eigenen Kinder weiter. Besonders aufgeladen sind Stücke, die die Eltern selbst hergestellt haben. So wie diesen Zirkuswagen. Den baute in den 50er Jahren der Stuttgarter Maler und Grafiker Nikolaus Plump für seine Tochter Cordula. Großmutter Louise, Puppenspielerin von Beruf, fertigte die Miniatur-Bewohner dazu. Spielen konnte Cordula nur jedes Weihnachten damit. Danach ging die Zirkusfamilie für ein Jahr auf Reisen und schickte dem Mädchen Brieflein mit Geschichten aus ihrem aufregenden Nomadenleben, die wohl Nikolaus Plump schrieb. Die Briefe sind verloren, im Wagen aber leben die Generationen, die ihn fertigten, ebenso weiter wie die, die damit spielten.

Der Stoff aus dem die Liebe ist

Die Anzüge des ersten Männerpaares, das seine Lebenspartnerschaft in Baden-Württemberg eintragen lies, hängt auch in der Schau. /Landesmuseum Württemberg, Jonathan Leliveldt, Alexander Lohmann, CC BY-SA 4.0

Familie, das ist eine Konstante im Fluss, für die der Staat oft mit Verzögerung einen normativen Rahmen setzt. Seit 2001 können homosexuelle Paare ihre Lebenspartnerschaft eintragen lassen, seit 2017 sich vermählen. Die Hochzeitsanzüge des ersten Männerpaares, das seine Liebe im Land offiziell festhalten ließ, hängen in Waldenbuch (Foto). Ebenso ein getrockneter Strauß Wiesenblumen, den eine Familie pflückte, nachdem die Adoption ihrer Tochter amtlich wurde. Die polyamore Identität einer Frau hingegen passt noch in kein Behördenformular, stattdessen in einen Google-Kalender, mit dem sie das Miteinander mit ihren drei Geliebten organisiert. Oder auch in die Tupperboxen, in denen sie die Reste des Abendessens mit dem einen zum mittäglichen Rendezvouz mit der anderen trägt.

Ein Jahr lang „We are Family“

Ausstellung
Vom 16. Mai bis 27. April 2025 ist die Schau „We are Family“ im Schloss Waldenbuch zu sehen. Weitere Informationen unter www.museum-der-alltagskultur.de

Veranstaltungen
Am Freitag, 17. Mai, 18 Uhr, thematisiert ein Kamingespräch mit zwei Expertinnen den Wandel der Familienformen und Lebensrealitäten von Familien. Am Sonntag, 19. Mai, 10 bis 17 Uhr, lädt das Museum zu einem Eröffnungsprogramm, unter anderem mit Workshops und Theater ein. Der Eintritt ist an diesem Tag frei.