Zeitreise in die Kindheit: Kunterbunte Apachen, Sioux und Cheyenne attackieren zu Fuß oder auf Mustangs Fort Laramie, das von der Kavallerie und Cowboys bis auf den Skalp verteidigt wird. Foto: Peter-Michael Petsch/Fotodesign

Sammler sind immer auf der Suche nach Stücken, die sie an früher erinnern. Sie erschaffen sich kleine Universen – zum Beispiel aus ihrer Kindheit mit Cowboys und Indianern aus Plastik.

Stuttgart - Hinter den braunen Plastik-Palisaden hat sich ein Häuflein Blauröcke und Cowboys verschanzt. Die Rothäute, die ihre Tipis auf dem Bürotisch aufgeschlagen haben, wollen sich die Skalps der Bleichgesichter holen.

Die Szene auf dem Bild oben könnte so oder so ähnlich auch vor 50 Jahren gespielt haben, als der Autor noch ein kleiner Western-begeisterter Junge war. Die Figuren, knapp sechs Zentimeter große Timpo Toys aus thermoplastischem Polyethylen oder einer PC-ABS-Kunststoffmischung, sind mehr als ein halbes Jahrhundert alt und stammen aus der Blütezeit der Aufstellfiguren – als Playmobil und Spielkonsolen noch Zukunftsmusik waren.

Legendäre Figuren im Spritzgussverfahren

Allein der Marktführer, die britische Spielzeugfabrik Timpo Toys Importers Ltd. im schottischen Shotts, stellte von 1964 bis 1980 mehr als 40 Millionen dieser Plastik-Steckfiguren her. Indianer, Cowboys, Ritter und Soldaten, die weltweit Abnehmer fanden.

Nachdem die ersten Playmobil-Figuren 1974 und Spielkonsolen 1980 auf den Markt kamen, ging es mit dem Unternehmen steil bergab. 1980 meldete Timpo Toys Ltd. Konkurs an. Seitdem sind die Figuren begehrte Sammelobjekte von Erwachsenen, die „damals“ als Kind damit spielten.

Das Markenzeichen dieser im Spritzgussverfahren hergestellten Figuren war, dass sämtliche Einzelteile – Hut, Kopf, Rumpf, Beine und Waffen – zusammengesteckt werden konnten. Bei der Internet-Tauschbörse Ebay sind die bunten Figürchen ein großer Renner: Fast 36 000 Treffer für Aufstellfiguren werden dort aufgelistet, darunter rund 5000 Timpo-Toy-Angebote. Ritter mit schwarzer, grüner, gelber oder weißer Rüstung, grau gekleidete Südstaatler und blaufarbene Nordstaatler aus dem Bürgerkrieg, Indianer und Cowboys, dazu allerlei Zubehör wie Postkutschen, Saloons und Kanonen.

Neben Timpo Toy kann man auch die Figuren anderer legendärer Hersteller ersteigern wie Elastolin, Plasty, Jean Höfler (heute BIG) oder Britains.

Das Sammelfieber lässt einen nicht mehr los

„Wen einmal das Timpo-Fieber gepackt hat, den lässt es nicht mehr los“, sagt Andreas Laubert aus Dachau, der seine illustre Sammlung im Internet unter „CoolNiro’s TIMPO TOYS Show“ präsentiert. „Nie hatte ich diese kleinen Indianer, Cowboys, Ritter, und was es sonst noch gab, während ihres 25-jährigen Dornröschenschlafs vergessen.“

Der 2011 verstorbene Psychoanalytiker Werner Muensterberger („Sammeln: Eine unbändige Leidenschaft. Psychologische Perspektiven, Suhrkamp-Verlag 1999), selbst ein leidenschaftlicher Kunstsammler, definiert Sammeln als „Auswählen, Zusammentragen und Aufbewahren von Objekten, die einen subjektiven Wert haben“.

Für den Historiker und Schriftsteller Philipp Blom („Sammelwunder, Sammelwahn. Szenen aus der Geschichte einer Leidenschaft“, Eichborn Verlag 2004) sind Sammelobjekte aus der „ökonomischen Zirkulation“ herausgenommen. Sie besäßen eine neue Art von Wert. „Sammeln ist, wenn Menschen Dinge anhäufen, die sie eigentlich nicht brauchen.“

Vielfach seien Sammelobjekte Memorabilien (Erinnerungsstücke), erklärt Blom. Sie erinnerten an etwas oder jemanden. Entscheidend sei, dass es etwas gebe, das die einzelnen Objekte miteinander und zugleich mit dem Sammler verbinde – wie vor allem die eigene Kindheit.

Legendäre Spielzeughersteller

Heute werden Timpo Toys & Co fast ausschließlich von erwachsenen Männern gesammelt, die als Kind damit spielten. Neben den Steckfiguren der 1938 gegründeten Firma Timpo Toy Importers Ltd. gab es die Elastolin-Figuren der 1904 gegründeten Q. & M. Hausser Qualitätsspielwaren und die Firma Plasty Spielzeug GmbH in Neulußheim, die 1980 vom britischen Modellbauer Airfix übernommen wurde.

Lineol, eine andere Traditionsfirma, die 1906 gegründet wurde, produziert noch heute Massenfiguren im ostwestfälischen Marienmünster. Auch die silberfarbenen Ritterfiguren von Jean Höfler, einem 1923 in Fürth gegründeten Spielwarenhersteller, waren der Renner. Die Firma wurde 1962 in „BIG“ umbenannt. Höfler produzierte Blechspielzeug und später Kunststoffspielzeug wie Bobby-Cars und Play-Big-Figuren. In den 1970er Jahren begann die Produktion von Weichplastikfiguren im Maßstab 1:30 für Wundertüten.

Schließlich gab es noch die 1893 vom Spielzeugproduzenten William Britain Jr. gegründete Firma, die wie Timpo Toys ein Drittel des Weltmarktes für Aufstellfiguren beherrschte. 1966 zog die Firma nach Hongkong um.

Kaum einer kann sich von liebgewonnenen Gegenständen trennen

30 Prozent der gesamten Timpo-Produktion wurden in Deutschland abgesetzt. Nach dem Konkurs wurde die Restproduktion von der britischen Firma Toyway aufgekauft. Heute bekommt man originale Teile und Konvolute nur noch bei Ebay, auf den Figurenbörsen in Herne, London oder Birmingham sowie bei einer Handvoll Händler. Seltene Figuren können 100 Euro und mehr kosten.

Einer Umfrage von www.-immowelt.de. zufolge können sich fast 90 Prozent der Deutschen nicht von liebgewonnenen Gegenständen trennen. In der Hitliste stehen Tonträger, Reisesouvenirs und altes Spielzeug ganz oben. Die Lust am Jagen, Entdecken und Besitzen spiele dabei eine große Rolle, betont der Münsteraner Psychologieprofessor Alfred Gebert. „Oftmals wird damit auch eine Sehnsucht, ein Verlust oder eine Angst kompensiert.“

Das Sammelfieber steckt dem „Homo collector“ in den Genen

Der Münchner Sozialpsychologe Dieter Frey ist der Ansicht, dass Menschen durch das Sammeln erst eine Orientierung darüber erhalten würden, was positiv oder negativ sei. Sammeln könne aber auch Flucht bedeuten, um der als Chaos erlebten Realität zu entfliehen. So entstünden Ersatzwelten, die bei Messies zum krankhaften Wahn werden.

Das Sammelfieber steckt dem „Homo collector“ – dem sammelnden Menschen – in den Genen. Früher hortete er Nahrungsmittel, um die Winter zu überstehen. Heute, in Zeiten des materiellen Überflusses, lassen Spielzeug-Sammlungen Kinderträume wieder aufleben. Jürgen Krause, Kurator für Design am LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster, meint: Zur Psychologie des Sammelns gehöre zwingend die Jagd nach verlorenen Schätzen. „Sammeln ist fast wie Indiana Jones’ Schatzsuche.“

Sammlerträume aus Metall und Hartplastik

DDR-Spielzeug

Besonders begehrt sind alte Spielsachen dann, wenn sie aus einem Land stammen, das es nicht mehr gibt. Wie das Spielzeug der 1990 untergegangenen DDR. Auch wenn der Arbeiter-und-Bauern-Staat von der historischen Landkarte verschwunden ist, die bunt bemalten Hartplastik-Figuren und Kindheitsträume sind geblieben. Als Spielzeugland hat die DDR alle Untiefen der Weltgeschichte umschifft.

Allein bei der Intenernet-Auktionsplattform Ebay finden sich über 19 500 Einträge beim Stichwort „DDR Spielzeug“. Weil den DDR-Bürgern damals die Aufstellfiguren vom Klassenfeind verwehrt blieben, entstand eine eigenständige Spielzeugindustrie mitWild-West-Romantik und Elastolin-Charme. Der Geheimtipp unter Sammlern sind hölzerne Westernstädte und Forts aus demWilden Osten – dem sozialistischen Pendant zu Amerikas Wild West.

Matchbox-Autos

Die Modellautos wurden in der 1952 gegründeten britischen Produktionsstätte Lesney Products & Co. Ltd. hergestellt. 1982 ging die Firma bankrott. Der Markenname wurde 1997 vom US-Konkurrenten Mattel aufgekauft, der die Hotwheel-Serie rausbrachte. Bis heute ist Matchbox der größte Autohersteller der Welt geblieben – im Maßstab 1:64. Mehr als drei Milliarden Zinkgussdruck-Flitzer sind vom Band gelaufen.

Carsten Oettler ist einer der größten Händler von alten Matchbox-Autos. In seinem Berliner Laden „Cars and Boxes“ hortet er rund 10 000 Minis in Originalverpackung. Für Raritäten würden die Sammler auch mal einen Tausender hinblättern, so Oettler. Die deutsche Szene bestehe aus kaum mehr als 1000 ammlern – vorwiegend Männern 30 plus. „Die meisten kaufen die Autos ihrer Kindheit.“ Er gehöre zu einer aussterbenden Spezies. „Wenn die Kinder von heute mal erwachsen sind, werden sie sich wohl kaum für Matchbox-Autos interessieren. Irgendwann müsse er sein Sortiment auf Spielkonsolen umstellen.

http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.kolumne-zehn-dinge-zehn-dinge-mit-denen-man-frueher-spielte.8a0181c8-7005-4fc6-8cb2-81b99596a5b9.html